Bei Mujinga Kambundji (29) geht es gerade rasant zu. Das mag bei einer Sprinterin, die gerade ihr bestes Jahr hingelegt hat, nicht erstaunen. Aber wenn Kambundji einmal durchatmen muss, dann kommt sie hierher: Auf einen alten Bauernhof in Seftigen, oberhalb von Thun. Hier ist Kambundjis Grosi Hanny daheim. Hier ist Pause von allem: Vom Training, vom Druck, vom Stress.
Und es gibt ein paar Rituale im Berner Oberland. Eines davon: Weihnachtsguetzli backen. Oder «Güetzele», wie das bei den Kambundjis heisst. Das machen sie jedes Jahr und sie machen es mit Begeisterung. «Wir haben einen sehr hohen Qualitätsanspruch hier», sagt Mujinga lachend und nimmt zusammen mit Schwester Muswama die ausgestochenen Spitzbuben ganz genau unter die Lupe. «Wenn sie nicht schön herauskommen, dann nehmen wir sie vom Blech. Wir können nicht alles durchgehen lassen.»
Bei Grosi Hanny wird auch Weihnachten gefeiert. Am 25. Dezember kommt hier die Familie von Mujingas Mutter Ruth zusammen. «Onkel, Tanten, Cousinen und Cousins.» Zu essen gibts Party-Filet, erklärt Kambundji. «Normalerweise wird es ein grosses Fest. Wegen Covid ist es dieses Jahr leider eine Nummer kleiner.»
An Heiligabend gibt es afrikanisches Essen
Tags vorher ist der Rahmen etwas intimer. «An Heiligabend sind wir zuhause bei unseren Eltern.» Die vier Kambundji-Schwestern Kaluanda, Mujinga, Muswama und Ditaji, Papa Safuka und Mama Ruth, dazu die Tante. «Wir sind dieses Jahr mehr als auch schon, weil Kaluanda mit ihrem Mann und dem Baby kommt.» Das Essen das aufgetischt wird, ist «eher in Richtung afrikanisch: Gemüse, Poulet an Champignonsauce, Kochbanane.»
Das wichtigste aber: «Weihnachten bei uns ist unkompliziert. Wir kommen an, helfen noch bei den Vorbereitungen, schmücken vielleicht den Baum. Und dann wird gegessen, später singen wir ganz traditionell Weihnachtslieder. Es ist ein gemütlicher Abend mit Dessert und am Ende den Güetzi.»
Vom Fussbruch bis zu den Zeiten unter 11 Sekunden
Durchatmen am einen oder anderen gemütlichen Abend kann Kambundji nicht schaden. Es ist ein Wahnsinnsjahr, das sie hinter sich hat. «Es fing negativ an», erinnert sich die Bernerin. Im vergangenen Dezember knackste es im Training plötzlich – Fussbruch! Sie war erst einmal raus, musste sich wieder herankämpfen. Die Hallensaison, die sie sich eigentlich vorgenommen hatte, war futsch, bevor sie überhaupt losging.
Erst im Mai lief sie ihren ersten Wettkampf 2020. Aber von da an lief es richtig gut. «Eines meiner erfolgreichsten Jahre», sagt sie im Rückblick. Sie ist dabei bescheiden: Es ist ihr bestes. Bei den Olympischen Spielen in Tokio läuft sie über 100 m auf den 6. Platz, über 200 m auf Platz 7, mit der 4x100-m-Staffel springt der 4. Rang heraus. Drei Wettbewerbe, drei Mal im Olympia-Final in der Weltsportart Leichtathletik, dazu sieben Mal mit einer Zeit von unter 11 Sekunden gestoppt – das ist nicht nur für Schweizer Verhältnisse phänomenal. Dass sich Schwester Ditaji (19) über 100 m Hürden ebenfalls für die Spiele qualifiziert hat, macht Tokio für die Kambundji noch einmal spezieller.
Grosi Hanny ist stolz
Zurück zu den Weihnachtsguetzli. «Das mit dem Qualitätsanspruch ist erst in den letzten Jahren aufgekommen», sagt Mujingas Mutter Ruth und lacht. «Früher lagen die Prioritäten anders.» Grosi Hanny erinnert sich: «Als Kind war Mujinga ein ‹Gumpibälleli›. Sie war immer ein bisschen in der Luft. Aber sie war immer eine brave.» Und heute? «Sie ist eine schöne, junge Frau geworden», sagt die Grossmutter. «Ich bin stolz auf sie.»
Gründe dafür dürfte es auch im nächsten Jahr viele geben. Und Momente, in denen sich Kambundji, die im Juni 30-jährig wird, beweisen kann, ebenfalls. 2022 stehen mit WM, EM und Hallen-WM drei Höhepunkte an. «Ich lerne jedes Jahr noch dazu», sagt Kambundji. «Mittlerweile bin ich in meinen Leistungen sehr stabil geworden. Aber ich hoffe, dass mein Niveau noch einmal höher wird.»