Vor zwei Jahren schockte er die Sportwelt: Der Italiener Marcell Jacobs (28) war durchaus als Finalkandidat an die Olympischen Spiele in Tokio gereist. Doch bei den Spielen explodierte er richtiggehend. In 9,80 Sekunden lief er der Konkurrenz davon und sprintete zu 100-m-Gold – eine Hundertstelsekunde schneller, als es Usain Bolt fünf Jahre zuvor in Rio gelungen war. Und zwei Zehntel schneller als vorher in derselben Saison in der Diamond League.
Ein unglaublicher Leistungssprung, der Fragen aufwarf. Hatte der in Texas geborene Jacobs etwa mit unlauteren Mitteln nachgeholfen? Kurz nach dem grossen Coup wurde bekannt, dass er sich erst kurz vor den Spielen von seinem «Ernährungsberater» Giacomo Spazzini getrennt hatte. Spazzini, aus der Bodybuilder-Szene stammend, hatte eine polizeiliche Untersuchung wegen illegalen Vertriebs von anabolen Steroiden in der Bodybuilding-Welt am Hals. Dafür wurde er im März 2022 für 15 Jahre wegen Dopingvergehens gesperrt, ehe ein Panel des Nationalen Olympischen Komitees die Sperre kürzlich wieder aufhob.
Der dubiose Betreuer liess sich als Muskel-Mastermind feiern
Es bleibt also auch zwei Jahre nach Tokio verwirrend, wenn es um Jacobs geht. Wobei festzuhalten ist, dass er nie direkt ins Visier der Dopingfahnder geriet. Doch Spazzini hatte sich in den Tagen nach dem Olympia-Triumph in den italienischen Medien als Mann hinter dem Erfolg feiern lassen. «In einem Jahr gemeinsamer Arbeit haben wir seine Muskelmasse um vier Kilogramm erhöht und sein Körperfett um vier Prozent reduziert», sagte er zu «Il Foglio». «Und das alles durch die richtige Ernährung.» Sätze, die plötzlich hohl klangen. Auch, weil Jacobs es in den zwei Jahren danach nie mehr auf das Level von Tokio schaffte. An der WM in Eugene 2022 zog er sich vor dem Halbfinal zurück, an der EM in München im selben Jahr siegte er in 9,95 Sekunden.
«Es war sehr schwierig, mit der insgesamt weniger erfolgreichen Zeit nach den Olympischen Spielen umzugehen», sagt Jacobs selber. Körperliche Probleme sind für ihn der Grund, warum er nicht mehr auf volle Touren kam. Nachdem er dieses Frühjahr in Europarekordzeit Hallen-Weltmeister über 60 m wurde, machten ihm wieder Verletzungen Ärger. «Ich habe viel trainiert und versuche, mich perfekt auf die WM vorzubereiten. Tatsächlich haben wir seit letztem Jahr das Training auf den Höhepunkt in Budapest ausgerichtet.»
Hughes, die Amis und drei Afrikaner in der Pole-Position
Hier wird er nun von einer Reihe von Hochkarätern gefordert werden. Der Jahresweltbeste Zharnel Hughes (28, Gb) lief dieses Jahr schon 9,83, insgesamt sechs Athleten auf der Startliste legten die 100 m dieses Jahr schon in 9,90 Sekunden oder schneller zurück. Und da sind US-Star Noah Lyles, die Südafrikaner Shaun Maswanganyi und Akani Simbine und Letsile Tebogo aus Botswana gar noch nicht dabei – ihnen allen wird das Zeug zum Weltmeister zugetraut.
Jacobs dagegen kommt mit einer Jahresbestzeit von 10,21 nach Ungarn. Und ist jetzt in einer unmöglichen Situation. Wird er klar geschlagen, bleibt das Doping-Gemurmel laut. Legt er einen immensen Leistungssprung hin, ebenfalls. Ruhig wird es um den Überraschungsmann von 2021 so bald nicht. Am Samstagabend bleibt er in seinem Vorlauf mit 10,15 jedenfalls sehr diskret.