Was läuft da genau in Budapest?
Die Weltmeisterschaften vom 19. - 27. August sind der Saisonhöhepunkt der Leichtathleten in diesem Jahr. Gleichzeitig sind sie auch der Moment, wo die Karten auf den Tisch gelegt werden: Jetzt ist Schluss damit, sich aus dem Weg zu gehen, wie es zum Beispiel im Männer-Sprint die Kontrahenten in den letzten Monaten gemacht haben. Wer Edelmetall will, muss sich in Budapest beweisen. Gute Nachricht: ein grosser Teil der Tickets im nigelnagelneuen 36’000-Zuschauer-Stadion in Budapest sind schon weg. Nach mehreren athmosphärisch miesen Grossanlässen (WM in Doha 2019, Covid-Spiele in Tokio 2021, WM in Eugene 2022) dürfen wir uns also endlich wieder einmal auf Leichtathletik-Festspiele freuen.
Welches werden die Höhepunkte?
Natürlich gehören die Sprintfinals bei den Frauen (Montag) und Männern (Sonntag) zu den Highlights. Vor allem bei den Frauen ist das Level derzeit sehr hoch, die Männer sind nach Usain Bolt auf der Suche nach dem nächsten grossen Star. Mit Italiens Marcell Jacobs (28) hat sich der Überraschungs-Olympiasieger von 2021 nach langer Pause und mit nur einem Saison-100er in den Beinen für die WM angekündigt. Er trifft unter anderem auf den Amerikaner Noah Lyles (26), der Doppel-Gold über 100 und 200 m anvisiert. Ganz heiss erwartet: Das Duell von Karsten Warholm (27) und Rai Benjamin (26) über 400 m Hürden, wo es zur Olympia-Revanche von Tokio kommt. Aber wer weiss: Vielleicht lacht da mit dem Brasilianer Alisson dos Santos (23) sogar ein Dritter. Auch bei den Frauen sind die 400 m Hürden hochinteressant. Die Frage da: Wie nahe an die 51-Sekunden-Marke kann Femke Bol (23, Ho) laufen?
Welche Weltrekorde könnten in den nächsten Tagen fallen?
Es könnte schnell gehen. Schon am ersten Tag geht die Kenianerin Faith Kipyegon (29) über 1500 m ins Rennen. Eine Disziplin, in der sie dieses Jahr schon eine Allzeit-Bestmarke gesetzt hat. Warum nicht noch einmal ein paar Sekunden unter ihrer bisherigen Bestzeit laufen? Auch über 5000 m hat Kipyegon den Weltrekord dieses Jahr schon verbessert. Dem Norweger Jakob Ingebrigtsen (22) fehlen keine zwei Sekunden mehr auf den 25 Jahre alten 1500-m-Weltrekord von Hicham El Guerrouj. Wie sein Landsmann Karsten Warholm (27), der über 400 m Hürden seinen eigenen Weltrekord jagt, aufgestellt vor zwei Jahren bei den Sommerspielen in Tokio, könnte Ingebrigtsen in Budapest noch einmal einen draufsetzen. Ebenfalls im Auge zu behalten gilt es Kugelstösser Ryan Crouser (30, USA), Stabspringer Mondo Duplantis (23, Sd), Dreispringerin Yulimar Rojas (27, Ven) und Steeple-Läufer Lamecha Girma (22, Äth), die alle ihre eigenen Weltrekorde verbessern könnten. Letzterer ist kurioserweise in seiner Disziplin nicht der Topfavorit: Diese Ehre kommt seinem Erzrivalen Soufiane El Bakkali (27, Mar) zu.
Aus Schweizer Sicht: Wem ist eine Medaille zuzutrauen?
In der Weltsportart Leichtathletik schon nur einen Final zu erreichen, war noch vor ein paar Jahren das höchste der Gefühle für Schweizer Sportler. Jetzt dürfen einige sogar mit einer Medaille liebäugeln, auch wenn 2023 keiner als Top-Favorit auf Gold gilt. Die beiden Hauptkandidaten: Weitspringer Simon Ehammer (23, letztes Jahr WM-Bronze) und Hürdensprinter Jason Joseph (24, EM-Gold in der Halle im Frühjahr). Beide hatten nicht die perfekte Saison, aber beide haben bewiesen, dass sie an die absolute Weltspitze gehören – und beide haben ihren besten Wettkampf wohl noch vor sich. Warum nicht an der WM? Sprint-Star Mujinga Kambundji (31) hat dagegen mit einer hartnäckigen Fussverletzung zu kämpfen und mit dem hochkarätig besetzten Feld im 100-m-Sprint der Frauen. Die Final-Quali ist für sie möglich, mehr wäre eine Sensation.
Welche Schweizer sollten wir sonst noch im Auge haben?
Mujingas jüngere Schwester Ditaji Kambundji (21) hat über 100 m Hürden den Schweizer Rekord auf 12,47 Sekunden gesenkt und kann damit in den Final laufen – was beim aktuellen Leistungsniveau in dieser Disziplin schon eine Riesenleistung ist. Gespannt darf man auch auf die Starts von Jonas Raess (5000 m), Annik Kälin (Siebenkampf) und 800-m-Juwel Audrey Werro (19) sein. Die 4x100-m-Staffel der Frauen, sonst jeweils erstgenannter Medaillenkandidat, muss diesmal auf Mujinga Kambundji und Ajla Del Ponte verzichten und fliegt deswegen unter dem Radar. Insgesamt gehen in Budapest 38 Schweizer an den Start. Das sind 13 mehr als vor einem Jahr in Eugene (USA) und Schweizer WM-Rekord.
Sind alle Stars am Start?
Leider nicht. Bereits eine Reihe von Top-Shots hat abgesagt, darunter auch Hürden-Superstar Sydney McLaughlin-Levrone, die einzige Frau, die die 400 m Hürden bisher unter 51 Sekunden laufen konnte. Begründung ihrer Absage: eine «leichte Verletzung». Das sorgt für Unmut in der Szene, schliesslich kann die Leichtathletik in einem Jahr ohne Olympische Spiele jede Aufmerksamkeit gebrauchen. Daneben fehlt eine Reihe von weiteren prominenten Athletinnen und Athleten. Auch die Tessiner Sprinterin Ajla Del Ponte fehlt verletzt.