Del Ponte übers Hinterherlaufen, Doping-Vorwürfe und Seuchen-Saison
«Wenn mich dieses Jahr nicht umhaut, haut mich nichts um»

Ajla Del Ponte zieht den Stecker: Der Sprint-Star löscht nach Saisonende App um App. Der Neustart soll dafür umso furioser werden.
Publiziert: 24.09.2022 um 16:23 Uhr
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Ein Bild, das für ihre Saison steht: Del Ponte wirkt zwischenzeitlich ratlos.
Foto: keystone-sda.ch
Emanuel Gisi

Wenn dieser Artikel online geht, wird ihn Ajla Del Ponte (26) wahrscheinlich nicht lesen. Die Schweizer Top-Sprinterin macht sich in diesen Tagen rar. Instagram und Twitter löscht sie vom Handy, die Facebook-App hat sie schon eine Weile nicht mehr installiert.

Del Ponte taucht ab. «Digital Detox» nennt man das. «Ich mache das zweimal im Jahr für ein paar Wochen», sagt sie am Telefon aus dem Tessin, im Hintergrund rauscht Wasser. «Ich stehe gerade in einem Fluss, es ist richtig schön», sagt sie und führt aus, warum sie sich ausklinkt. «Es tut mir gut. Wir gewöhnen uns zu sehr daran, den anderen zuzuschauen, wie sie ihr Leben leben – oder zumindest dem, was sie im Hochglanz-Stil von ihrem Leben preisgeben.»

Del Ponte geriet in einen Teufelskreis

Die Sprint-Rakete kann die Pause gut gebrauchen. Durchgestartet ist sie in dieser Saison nie. Lief sie vor einem Jahr sensationell zu einem neuen Schweizer Rekord über 100 m (10,90 Sekunden) und auf Platz 5 im Olympia-Final, rannte sie diesen Sommer der Konkurrenz hinterher. Eine halbe Sekunde verlor sie regelmässig auf ihre persönliche Bestzeit. Auf Touren kam sie nie, an der WM schied sie im Vorlauf aus, vor der EM in München brach sie die Saison schliesslich ab. «Nicht unbedingt, weil es körperlich nicht gegangen wäre», sagt ihr Trainer Laurent Meuwly. «Aber wir wollten, dass ihr Selbstvertrauen nicht noch mehr Schaden nimmt. Sie war in einem Teufelskreis gefangen.»

Del Ponte ist eine Athletin, die viel nachdenkt. «Sie ist sehr intelligent», sagt Meuwly. «Manchmal ist das ein limitierender Faktor.» Die Hoffnung ist, dass es nach der Auszeit ohne weitere Rückschläge weitergehen wird. Aber auch hier ist man flexibel. Vielleicht steigt die Hallen-Europameisterin von 2021 Anfang Oktober schon wieder ins Training ein, vielleicht erst Mitte Monat. «Manchmal braucht es einfach Zeit, einen neuen Start und Geduld, um das Selbstvertrauen nach und nach aufbauen zu können. Das ist während der Saison schwierig, wenn es Wettkämpfe gibt und Leistungsdruck.»

Erst machte der Körper nicht mehr mit, dann litt der Geist

Erst einmal heisst es: durchatmen. «Mit dem Körper macht man das auch», sagt Del Ponte. «Wenn es nicht mehr geht, braucht man eine Pause. Mit der Psyche ist es gleich. Ich bin froh, dass die Saison vorbei ist.»

Auslöser für den psychischen Kampf war ein körperlicher Rückschlag. Eine Verletzung am Oberschenkel hatte sie mächtig zurückgeworfen. «Ich hatte schon im Dezember Schmerzen, konnte drei Monate lang nicht so trainieren, wie ich das normalerweise kann. Erst Ende April bin ich auf die Spikes gewechselt. Und dann habe ich den Anschluss nie gefunden.»

Die Online-Trolle und die Doping-Vorwürfe

Zur Frustration und zum Druck wegen der ausbleibenden eigenen Leistung kam irgendwann auch noch der Online-Hass, der auch auf sie einprasselte. «Die Athletics Integrity Unit hat ein Video von mir online gestellt, in dem es darum geht, dass sauberer Sport wichtig ist», erzählt sie. «Woraufhin es Kommentare gab, ich sei gedopt gewesen. Nur so sei mein Leistungsabfall zu erklären.» Ohne Verdacht, ohne Anhaltspunkte. «Ich weiss, dass ich sauber bin. Ich mache meinen Sport, um mein persönliches Limit zu finden. Aber solche Nachrichten lösen etwas aus bei mir.»

Die erreichen sie im Moment nicht mehr. Del Ponte ist nicht nur offline, sie ist auch im Ferienmodus. «Ich mag es, keinen Wecker stellen zu müssen und weniger Programmpunkte in der Agenda stehen zu haben», sagt sie. Überbordet wird nicht, sogenannte Cheat Meals, wie es andere Athletinnen halten, wenn sie an manchen Tagen überborden, gibt es bei ihr nicht. «Ich mag eh kein ‹McDonald’s›. Das fehlt mir gar nicht, ich esse gerne gesund. Natürlich gibt es jetzt ein Glace mehr und ich trinke ein Bier mehr, als ich es sonst vielleicht würde. Aber das ist nichts Verrücktes.»

Schon bald will sie wieder auftauchen. Und dann soll wieder der Turbo gezündet werden. Sie ist überzeugt: «Wenn mich dieses Jahr nicht umhaut, dann haut mich nichts um.»

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