Stell dir vor, Real Madrid gewinnt die Champions League, obwohl sich der Erfolgstrainer erst seit zwei Jahren intensiv mit Fussball beschäftigt. Undenkbar? Nicht in der Leichtathletik. Hinter dem EM-Coup der neuen Europameisterin Angelica Moser (26) steckt mit Adrian Rothenbühler (51) ein Coach, der sich noch nicht lange mit Stabhochsprung beschäftigt.
Doch die Zusammenarbeit der Überfliegerin aus Andelfingen ZH und dem Berner ist ein Volltreffer. Rothenbühler ist sich Erfolge sowieso gewöhnt. Er ist einer der grössten Namen im Schweizer Leichtathletik-Coaching, trainierte lange Sprintstar Mujinga Kambundji (31) sowie die erfolgreiche Frauenstaffel und war Schweizer Trainer des Jahres 2019.
Erfolgstrainer lernt die Sportart immer noch kennen
Die Zusammenarbeit mit Moser entstand eher zufällig. 2022 war er schon sporadisch bei ihr dabei, als noch Nicole Büchler (40) Mosers Trainerin war. Es ging vor allem um Details beim Anlaufspeed. Doch Büchler trat aus familiären Gründen kürzer, Rothenbühler übernahm bis auf weiteres das ganze Mandat – nun lässt er Moser zu EM-Gold fliegen.
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Auch wenn selbst in der goldenen Nacht von Rom die Disziplin Stabhochsprung noch immer ungewohnt für ihn war, wie er bei SRF sagt: «Als es Angelica am Anfang nicht lief, war es für mich wohl härter als für sie. Da fehlt mir noch die Erfahrung als Stab-Coach. Ich muss lernen, ruhig zu bleiben!» Mit Kambundjis Ex-Trainer zum Stab-Coup. Aber auch Büchler sitzt im Stadion, auch sie ist weiterhin Teil des Moser-Erfolgs. Und erlebte zuvor als Trainerin viele Höhen und Tiefen mit.
Büchler ist noch Haupttrainerin, als Moser kurz nach Olympia 2021 einen schweren Unfall im Training erleidet. Ein Stab bricht, sie knallt heftig in den Einstichkasten. Die Verletzungen: Pneumothorax, Muskelfaserrisse, der linke Arm ist eine Zeitlang wie gelähmt. Aber Moser hat auch Glück im Unglück: Eine Österreicherin war bei einem vergleichbaren Crash im Rollstuhl gelandet.
Die Reha ist langwierig. Doch Moser fasst wieder Vertrauen, dass der Stab hält. Es geht zurück an die Weltspitze. Der Horrorunfall war nicht das erste Hindernis auf dem Weg an die Weltspitze des Riesentalents, das schon auf Juniorenstufe alles abräumte.
Im Jahr 2020 enthüllt Moser, dass sie an einer Essstörung litt. Fressattacken nach Wettkämpfen, Sucht nach Süssem, Belohnungsessen und «extrem unregelmässiges Essverhalten», wie sie es schilderte. Doch die Frau aus dem Zürcher Weinland hat ihre Essstörung dank Therapiegesprächen überwinden können. Ihr Verhältnis zum eigenen Körper längst wieder intakt. «Das Essen als fixes Thema raubte mir extrem viel Energie für den Sport», sagte Moser damals.
Tempi passati. Moser ist Europameisterin – als erst dritte Frau aus der Schweiz nach Mujinga Kambundji und Lea Sprunger. Auf der Tribüne im Olympiastadion erleben ihre Liebsten den Titelgewinn mit der Schweizerrekordhöhe von 4,78 Metern live mit.
Moser stammt aus einer regelrechten Sportlerfamilie. Ihre Eltern Monika und Severin machten ebenfalls Spitzensport. Vater Moser war an den Olympischen Spielen 1988 in Seoul im Zehnkampf dabei (Rang 27). Danach folgte die Business-Karriere, Moser ist Swiss-Life-Verwaltungsrat und Präsident des Arbeitgeberverbands. Die Mutter war ebenfalls Mehrkämpferin und betrieb Hürdenlauf, später wurde sie Angelicas erste Trainerin. Auch ihre Schwester Jasmine ist im Juniorenbereich mit dem Stab unterwegs.
Eltern von Freund Kevin betrieben ebenfalls Spitzensport
Auch Mosers Freund Kevin Bozon (28) fiebert mit seinen Eltern Helene und Philippe mit – ebenfalls eine echte Sportlerfamilie. Mosers Freund ist Eishockey-Profi bei Ajoie, der Vater eine Hockey-Legende und die Mutter war Weltklasse-Skifahrerin. «Unsere Eltern verstehen sich sehr gut. Das liegt sicherlich auch daran, dass alle diesen Charakter des Sportlers in sich tragen», sagte Moser einst über die enge Verbindung der Mosers mit den Bozons.
Kennengelernt hat sich das Paar, als Bozon noch beim EHC Winterthur spielte und eine Kollegin von Moser mit einem Winti-Spieler liiert war. Jetzt leben sie im Jura – Magglingen BE ist nahe. Der Ort also, an dem Moser mit Rothenbühler die Basis für ihren EM-Titel legte.