Auf einen Blick
Beim FC Luzern ist Thibault Klidje (23) in der Hinrunde so richtig angekommen. Dabei ist er schon fast drei Jahre in der Zentralschweiz. Doch der Anfang war schwer: Zunächst versemmelte er praktisch alle Chancen. Dann riss er sich das Kreuzband. Inzwischen hat er die Pechsträhne überwunden und blüht so richtig auf. Viel weiss man aber gar nicht über den so ruhigen und schüchtern wirkenden Togolesen. Höchste Zeit, das zu ändern.
Blick: Zuallererst gehts um Ihren Namen. Mal ist er mit und manchmal ohne Accent aigu geschrieben. Was ist korrekt?
Thibault Klidje: (Lacht.) Es ist kompliziert. In unserer lokalen afrikanischen Sprache haben wir eine Art, den Namen auszusprechen, die hier unbekannt ist. Deshalb denken viele, man setzt ein Aigu auf das E. Aber das ist nicht der Fall.
In welchen Verhältnissen sind Sie in Togo aufgewachsen?
Die Situation im Land ist im Allgemeinen nicht mit der Schweiz zu vergleichen. Meine Kindheit war alles andere als rosig. Es war sehr schwer. Entsprechend muss man, wenn man es aus der Armut herausschafft, alles tun, um auf Kurs zu bleiben.
Wie gross ist Ihre Familie?
Sehr gross (lacht). Mein Vater lebte bis zu seinem Tod polygam und hatte mehrere Frauen. Deshalb sind wir im Ganzen siebzehn. Auf Mutterseite sind wir zu siebt: Da habe ich zwei grosse Brüder, eine grosse Schwester sowie drei kleine Brüder.
Ist es schwierig für Sie, mit allen Geschwistern den Kontakt aufrechtzuerhalten?
Auf keinen Fall. Zwar leben alle in Togo, aber es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht höre. Und während der Ferien gehe ich sie immer besuchen.
Sie sind einer von wenigen togolesischen Fussballern in Europa. Die erfolgreichen Zeiten, als sich Togo 2006 zum ersten und bisher letzten Mal für eine WM qualifizierte, sind lange her. Damals waren Sie gerade einmal fünfjährig. Haben Sie Erinnerungen daran?
Nein, denn wir hatten kein Fernsehen. Erst viel später habe ich Videos gesehen und erfahren, dass wir auch gegen die Schweiz spielten. Aus Erzählungen weiss ich, dass es für das ganze Land eine wunderschöne Erfahrung war.
Der grosse Star Togos war damals Emmanuel Adebayor. Auch für Sie ein Idol?
Für das ganze Land ist er ein Idol.
Haben Sie mit ihm noch zusammengespielt?
Nie in einem offiziellen Spiel. Wir waren zweimal gleichzeitig im Aufgebot in der Nationalmannschaft. Aber die Emotionen waren riesig. Wenn du mit dem besten Spieler aus Togo spielen darfst, gibst du automatisch immer alles, spielst ihm Bälle zu und hörst ihm zu, ob du etwas von ihm lernen kannst.
Wie sind Sie überhaupt zum Fussball gekommen?
Ich habe sehr früh damit begonnen, an Turnieren teilzunehmen, die gelegentlich im näheren Umkreis organisiert wurden. Und an solchen waren auch immer Männer, nennen wir sie Agenten, die dich beobachten, dir helfen wollen und versuchen, dich unter ihre Fittiche zu nehmen. Das war mein Glück. Denn dadurch fand ich früh den Weg zu einem Klub, damit ich in einer regulären Meisterschaft spielen konnte. Und wir hatten damals in Togo mit Claude Leroy einen Nationalcoach, der viel auf die Jungen setzte. So kam ich auch schnell zur Nationalmannschaft.
Die Bekanntschaft mit einem früheren Agenten wurde Ihnen aber fast zum Verhängnis.
Es ist eine Geschichte, die ich nicht gerne erzähle. Dieser Mann hat mir zunächst geholfen, was ich für immer respektiere. Aber danach gab es Missverständnisse.
Im April 2018 zwang er Sie und Ihre Eltern, die Analphabeten waren, dazu, einen Vertrag zu unterschreiben. Darin soll festgelegt worden sein, dass er von Ihnen Provisionen weit über den Normen kassieren dürfe sowie die Exklusivität auf Ihr Leben auf und neben dem Platz erlange. Zudem soll er Sie gewalttätig angegangen sein und Ihre Familie auch nach der Unterschrift immer wieder bedroht haben.
Es war sehr hart. Ich hielt ihn für einen Bruder. Und dann änderte sich alles von einem Moment auf den anderen. Was er mir angetan hat, ist wirklich ... ich kann nicht sagen unmenschlich, aber es hat mich wirklich zutiefst berührt. Und wenn ich zurückdenke, berührt es mich heute noch sehr.
Die Situation eskalierte im Sommer 2019. Statt nach Europa wollte der Agent Klidje bei TP Mazembe in der Demokratischen Republik Kongo unterbringen. Mit fragwürdigen Druckmitteln forderte er ihn dazu auf, einen Fünfjahresvertrag zu unterschreiben. Es war der Moment, in dem Klidje vor seinem Agenten flüchtete. Über Umwege und mit neuen Beratern an der Seite kam im Februar 2020 ein Transfer zum (damals noch) grossen Girondins Bordeaux zustande. Allerdings schaltete sich daraufhin der Agent ein und pochte auf Gültigkeit seines Vertrags mit der Familie Klidje. Es folgte ein jahrelanger juristischer Streit, der 2023 vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) in Lausanne endete. Die für Klidje wichtigste Erkenntnis: Sein Vertrag mit dem Agenten wurde für nichtig erklärt. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens sei Klidje bei Vertragsabschluss minderjährig gewesen. Zweitens seien die Eltern Analphabeten gewesen und hätten gar nicht gewusst, wozu sie sich mit ihrer Unterschrift verpflichteten.
Haben Sie diesen Agenten jemals wieder gesehen?
Seit ich Togo verlassen habe, um in Bordeaux zu spielen, hatte ich keinen Kontakt mehr zu ihm.
Durch diese Geschichte dürfte Ihr Vertrauen in die Mitmenschen massiv gelitten haben?
Wenn dir so was passiert, ist es sehr schwierig, jemandem noch zu vertrauen. Aber es ist nicht das Ende der Welt. Im Leben trifft man auch immer wieder auf Personen, die einem guttun.
Eine solche Person ist Sportchef Remo Meyer. Beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu ihm.
Ich spreche fast noch lieber mit ihm als mit dem Trainer (lacht). Ich betrachte ihn wie meinen Vater. Er ist immer für mich da. Noch heute wiederholt er, dass wenn ich etwas brauche, immer zu ihm kommen kann.
Erinnern Sie sich noch an das erste Treffen?
Daran erinnere ich mich zu gut. Das war in der Wirtschaft zum Schützenhaus gleich neben dem Stadion. Wir assen zusammen. Ich hatte Nudeln mit einer Rahmsauce. Und er erzählte mir vom Klub. Viel spannender waren aber die ersten Tage nach der Unterschrift.
Erzählen Sie.
Ich lebte in einer Wohnung direkt neben dem Stadion, und Remo kam mich jeden Tag besuchen. Dabei erzählte ich ihm, dass ich Angst vor Hunden habe und ein älterer Nachbar einen grossen Hund besitzt, der mich stets anbellt. Als er dann ein paar Tage später mit seinen eigenen Augen sah, wie heftig der Hund tatsächlich auf mich reagierte, sagte er unverzüglich, dass ich da unmöglich länger wohnen könne und er mir eine neue Wohnung besorgen werde. Was er dann auch getan hat.
Inzwischen sind Sie seit fast drei Jahren in Luzern. Und man spürt dieses Jahr, Sie fühlen sich pudelwohl.
Die Atmosphäre im Team ist super. Das war in den vergangenen Jahren nicht vergleichbar. Alle sprechen miteinander. Wir necken uns gegenseitig und lachen viel. Diese Saison ist wirklich die beste bis anhin.
Ist das auch der Grund, dass es endlich mit dem Toreschiessen klappt?
Der Schlüssel zum Erfolg war, dass ich im letzten Sommer zum ersten Mal die Vorbereitung mit dem Team machen konnte. Als ich 2022 hier unterschrieb, war es Ende August, und die Saison lief bereits. 2023 war ich verletzt. Und diesmal war es endlich so weit.
Mit acht Toren liegen Sie in der Torjägerliste auf Platz 2. Das Ziel für die Rückrunde kann nur eines sein?
Genau, ich würde schon ganz gerne Torschützenkönig der Super League werden.
Dafür müssen Sie aber auch Ihre Torausbeute zu Hause verbessern. Bisher schossen Sie sieben von acht auswärts.
Ich weiss nicht, woran es liegt. Aber auswärts kam ich bisher irgendwie zu mehr Chancen als in der Swissporarena. Aber so ist Fussball. Das wird schon noch kommen.
Abschlussfrage: Leben Sie gerade Ihren eigenen Traum?
Ich habe mir nie vorgestellt, in der Schweiz zu leben. Deshalb kann man das schon sagen. Es ist ein wunderbares Land. Kann sein, dass ich es eines Tages wieder verlasse. Aber ich werde auch dann sicher wiederkommen. Vielleicht für die Ferien, wer weiss.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Lugano | 20 | 7 | 35 | |
2 | FC Basel | 20 | 24 | 34 | |
3 | FC Luzern | 20 | 5 | 33 | |
4 | FC Lausanne-Sport | 20 | 8 | 31 | |
5 | Servette FC | 20 | 2 | 31 | |
6 | FC Zürich | 20 | -2 | 30 | |
7 | FC St. Gallen | 20 | 7 | 29 | |
8 | FC Sion | 20 | 0 | 26 | |
9 | BSC Young Boys | 20 | -4 | 25 | |
10 | Grasshopper Club Zürich | 20 | -9 | 19 | |
11 | Yverdon Sport FC | 20 | -13 | 18 | |
12 | FC Winterthur | 20 | -25 | 14 |