Auf einen Blick
Eigentlich ist er überpünktlich. Aber dann muss Leon Avdullahu nochmal kurz runter in die Kabine. Befehl des Medienchefs: Freizeitkleider weg, Trainingsanzug an. Schliesslich werden Fotos geschossen.
Also gibt es doch noch eine kurze Verzögerung vor dem Gespräch. Aber auf die paar Minuten kommt es nun wirklich nicht mehr an. Auf einen wie ihn hat Basel schliesslich lange gewartet.
Endlich wieder einer aus dem Basler Nachwuchs
Es gab eine Zeit, da wirkte es wie ein Naturgesetz: Alle paar Jahre entspringt dem FCB-Nachwuchs ein Talent, bei dem klar ist: Diese Karriere kann noch weit führen. Ivan Rakitic, Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka, Yann Sommer, Breel Embolo – und das ist nur die verkürzte Liste.
Bloss wird irgendwann aus dem Talentstrom ein Tröpfeln. Und dann versiegt er ganz. Ein gewisser Noah Okafor spielt sich noch in die erste Mannschaft. Das ist 2018. Seither scheint der Weg vom Campus in den St.-Jakob-Park steiler als die Eiger Nordwand. Wer es trotzdem in die Super League schafft, nimmt den Weg über andere Klubs.
Aber dann taucht er plötzlich auf: Leon Avdullahu, defensiver Mittelfeldspieler. Keiner, dem schon früh das Etikett Supertalent angeklebt worden wäre. Ja, er wird immer wieder für Schweizer Nachwuchs-Nationalteams aufgeboten. Mehr als fünf Spiele bestreitet er allerdings in keiner Alterskategorie.
Und jetzt: Gilt dieser 20-Jährige plötzlich als einer der interessantesten Spieler – nicht nur in der Schweiz. Sondern gleich weltweit. Zumindest behaupten das die Zahlen des Forschungszentrums CIES in Neuenburg. Auf Rang vier aller «spielmachenden Mittelfeldspieler» unter 21 setzt das Datenmodell Avdullahu.
Transfergerüchte nimmt er als Kompliment
So etwas könnte einem jungen Mann schon mal den Kopf verdrehen. Aber Avdullahu wirkt anders. Geerdet. Ruhig. Wenn plötzlich Transferflüsterer auf sozialen Medien seinen Namen mit Clubs wie Wolfsburg in Verbindung bringen, nimmt er das als Kompliment für seine Leistungen. Mehr auch nicht.
Er sei neben dem Platz «eher zurückhaltend», sagt er über sich selber. Wohl genau darum hat er in Basel etwas erreicht, was vielen verwehrt geblieben ist: seinen Platz in der ersten Mannschaft. «Ich hatte die Geduld, die andere vielleicht nicht immer hatten», sagt Avdullahu nüchtern.
Wo Nachwuchsspieler nervös wurden, wenn sie nicht mit der ersten Mannschaft trainieren durften, blieb er besonnen: «Ich habe bei einigen gesehen, dass sie zu früh hochgegangen sind. Danach waren sie schnell wieder weg.» Lieber mit der U-21 spielen und Erfahrung sammeln, als bei den Profis bloss zuzuschauen.
Liefern statt fordern, erst einmal bescheiden bleiben. Das passt zu einem, der in einer Arbeiterfamilie gross geworden ist. Seine Eltern sind im Kosovo geboren und kommen in die Schweiz, weil Avdullahus Grossvater bereits hier lebt. Die Mutter arbeitet heute noch in der Gemüsefabrik, der Vater auf dem Bau. Er selber hat seine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen.
Der Dialekt hat sich der neuen Heimat angepasst
Als der kleine Leon in Gerlafingen aufwächst, tut er es in einem familiären Umfeld. Die Eltern und sämtliche Geschwister seines Vaters leben ebenfalls in der solothurnerischen 6000-Seelen-Gemeinde. Die Bindung ist eng. Wenn Avdullahu im St.-Jakob-Park aufläuft, sind mindestens zehn Familienmitglieder im Stadion.
Und doch verlässt er bereits als Teenager sein Zuhause. Seit der U-14 spielt er für den FCB. Der Dialekt ist längst eingebaslert. Erst pendelt er, weil er in Solothurn das neunte Schuljahr beenden muss. Dann zieht er ins FCB-Wohnheim in der Nähe des Stadions. Für ihn kein Problem, «ich hatte ja viele Kollegen». Für die Mutter schon eher.
Sie darf sich damit trösten, dass sie dem Sohn ihren ausgesprochenen Ordnungssinn weiter gegeben hat. Heute teilt sich Avdullahu mit Arlet Junior Zé (18) eine Wohnung, einem anderen FCB-Talent. Sein Zimmer dort? «Immer top aufgeräumt», sagt er.
Also genau wie sein Spiel. Denn das macht diesen Avdullahu ja so interessant: dass er im Herzen der Basler Mannschaft kaum einmal die Ordnung verliert.
Dabei ist das zentrale Mittelfeld kein einfacher Ort für einen Jungprofi. Er soll mutig sein, Risiko eingehen, aber dabei keine Fehler begehen. Er muss ständig den Ball fordern, darf ihn aber nie verlieren. Er soll das Tempo des Spiels diktieren, kann dabei aber aus allen Himmelsrichtungen vom Gegner attackiert werden.
Das Lob des FCB-Sportchefs
Viele Zentrumsspieler mussten zum Start ihrer Profikarriere auf den Flügel ausweichen. Weil ihnen ihre Trainer das grosse Verkehrschaos in der Mitte nicht zutraute und ihnen die Seitenlinie als Leitplanke mitgeben wollte: Hakan Yakin, Ivan Rakitic, Fabian Frei.
Avdullahu aber ist in der Mitte des FCB-Spiels gesetzt. Egal, ob sein Chef gerade Timo Schultz, Heiko Vogel, oder Fabio Celestini heisst. Dass sich ein junger Spieler gleich unter drei verschiedenen Trainern im Team hält? Das ist für Daniel Stucki eine Auszeichnung. Und der FCB-Sportchef weiss auch, warum das Talent bei den Coaches so beliebt ist: «Leon hört ihnen zu. Danach setzt er das um, was von ihm gefordert wird.»
Die statistischen Werte unterstreichen das: Kaum ein Mittelfeldspieler in der Super League spielt mehr erfolgreiche Pässe pro 90 Minuten, hat eine bessere Passquote und verliert weniger Bälle.
Es sind erstaunliche Werte für einen Spieler in seinem Alter. Und sie machen klar, warum ein 20-Jähriger den Publikumsliebling Taulant Xhaka auf die Ersatzbank verdrängen konnte. Wobei es Avdullahu wichtig ist, zu betonen, dass er trotzdem ein gutes Verhältnis zum 33-Jährigen hat: «Er hilft mir immer wieder mit Tipps, auch neben dem Platz.»
Noch könnte er auch für den Kosovo spielen
Vielleicht geht es da ja bald um die Wahl der Nationalmannschaft. Avdullahu hat für die Schweizer Nachwuchsteams gespielt, dürfte aber auch für den Kosovo auflaufen. Noch hat ihn der kosovarische Verband nicht kontaktiert. Ein Aufgebot für das Schweizer A-Team fehlt ebenfalls. «Grosse Gedanken» über seine Nationenwahl hat er sich deswegen noch nicht gemacht. Bloss, dass er mal für ein Nationalteam spielen will, das ist klar.
Je besser er spielt, umso offener dürfte auch seine Zukunft im Klubfussball werden. Sein Vertrag mit dem FCB läuft zwar bis Sommer 2028. Dass ihn seine Leistungen interessant machen für Vereine in grösseren Ligen, ist trotzdem logisch.
Aber das ist die Zukunft. Was im Fussball zählt, ist die Gegenwart. Und in der hat Leon Avdullahu ein klares Ziel: «Wir wollen um die Meisterschaft spielen.»
Der Meistertitel – auch so etwas, worauf man in Basel schon lange wartet.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Lugano | 20 | 7 | 35 | |
2 | FC Basel | 20 | 24 | 34 | |
3 | FC Luzern | 20 | 5 | 33 | |
4 | FC Lausanne-Sport | 20 | 8 | 31 | |
5 | Servette FC | 20 | 2 | 31 | |
6 | FC Zürich | 20 | -2 | 30 | |
7 | FC St. Gallen | 20 | 7 | 29 | |
8 | FC Sion | 20 | 0 | 26 | |
9 | BSC Young Boys | 20 | -4 | 25 | |
10 | Grasshopper Club Zürich | 20 | -9 | 19 | |
11 | Yverdon Sport FC | 20 | -13 | 18 | |
12 | FC Winterthur | 20 | -25 | 14 |