Herr Fringer, stimmt die Geschichte, dass Ihnen die Liebe zum Fussball mal fast das Leben gekostet hat?
Welche Geschichte meinen Sie?
Die mit der Sihl.
Ja, die stimmt. Unsere Familie hatte kaum Geld. Weil ich aber schon früh anfing, Zeitungen auszutragen, konnte ich mir als Kind irgendwann einen wunderschönen Fussball aus echtem Leder leisten. Der war mein ganzer Stolz. Doch eines Tages flog der Ball über die Bäume hinweg in die Sihl, die an jenem Tag Hochwasser führte. Ich wollte dann in den Fluss springen und ihn holen, doch zum Glück hat mich ein Lehrer zurückgehalten. Das hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet, aber leider musste ich meinem geliebten Ball zuschauen, wie er Richtung Zürich trieb.
Sie sind in der Zürcher Vorortsgemeinde Adliswil aufgewachsen. Wie war Ihre Kindheit?
Als ich noch ein Baby war, trennten sich meine Eltern, und mein leiblicher österreichischer Vater zog ins Welschland. Meine Mutter heiratete danach einen Italiener, der dann gefühlt mein Vater war und als Magaziner arbeitete. Wir lebten in bescheidenen Verhältnissen.
Was heisst das konkret?
Wir wohnten in einer kleinen Wohnung, rechts der Zug und die Strasse, links die Kirche. Geld gab es bei uns kaum. Wenn wir spazieren gingen, erhielten wir zum Abschluss keinen Coupe als Belohnung, weil wir uns das schlicht nicht leisten konnten. Einmal wünschte ich mir zu Weihnachten ein tolles Spielzeug, doch das Geld reichte nur für Notwendiges. Ich erhielt deshalb Hosenträger und einen Sack Orangen.
Weitere Gespräche mit Sporthelden
Der Legende nach soll Ihr erstes Wort Fussball gewesen sein.
Das ist richtig, der Ball hat mich schon als Kleinkind fasziniert. Als ich dann anfing, Zeitungen auszutragen, las ich immer den Sportteil. Da wuchs in mir der Wunsch, später mal im Fussball-Business zu arbeiten.
Was waren Sie für ein Kind?
Ich war lange Zeit immer der Kleinste, hatte eine grosse «Schnurre», Märzenflecken und rote Haare. Ich liess mich aber nicht föppeln, sondern war meistens der Anführer. Rückblickend kann man sicherlich sagen, dass ich hyperaktiv war. Ich wollte immer Action und habe auch viel «Seich» gemacht.
Seine grössten Erfolge als Spieler waren der Aufstieg mit Zug 1984 in die Nati A und der Cupfinal mit Schaffhausen 1988. Als Trainer wurde er mit Aarau 1993 und GC 1998 Meister.
Seit 2017 arbeitet er als TV-Experte für Blue. Der zweifache Vater lebt mit seiner Frau Sabina in Hergiswil NW.
Seine grössten Erfolge als Spieler waren der Aufstieg mit Zug 1984 in die Nati A und der Cupfinal mit Schaffhausen 1988. Als Trainer wurde er mit Aarau 1993 und GC 1998 Meister.
Seit 2017 arbeitet er als TV-Experte für Blue. Der zweifache Vater lebt mit seiner Frau Sabina in Hergiswil NW.
Wie kamen Sie zum Fussball?
Erst spät, zu den C-Junioren des FC Adliswil. Dort spielte ich, bis ich 20 war und machte eine Lehre zum Autoersatzteilverkäufer. 1978 ging ich nach Genf, um Französisch zu lernen und in einer Jaguar-Garage zu arbeiten. In der Zeit spielte ich über ein halbes Jahr gar nicht mehr. Irgendwann fragte ich bei Chênois, ob ich im Nachwuchs mittrainieren dürfe.
Bis Sie im Spitzenfussball ankamen, waren Sie aber schon 23.
Nach eineinhalb Jahren in Chênois wollte mich der Klub ins Trainingslager der 1. Mannschaft mitnehmen, doch ich wollte dafür nicht zehn Tage Ferien opfern und sagte ab. Dann aber verletzte sich der beste Mittelfeldspieler. Ab diesem Moment gehörte ich zur 1. Mannschaft.
Eine grosse Karriere als Spieler hatten Sie danach aber nicht. Woran lags?
Ich war körperlich schmächtig und hatte oft mit starken Rückenproblemen zu kämpfen. Trotzdem spielte ich mehrere Jahre in der Nati B und in der Nati A, auch weil ich den Fussball gut lesen konnte.
Doch 1985 hatten Sie auf einmal keinen Job mehr.
Damals ging der SC Zug Konkurs. Ich war 28 und bekam dann ein Angebot vom FC Altdorf als Spielertrainer in der 1. Liga. Rückblickend betrachtet war das meine Trainer-Schnupperlehre. Diese Zeit war sehr lehrreich. Ich musste lernen, mich vor die Mannschaft zu stellen, ein gutes Vorbild zu sein und Kollegen mitzuteilen, dass du sie nicht aufstellen wirst. Mir hat das sofort Spass gemacht, und ich merkte, dass ich als Trainer mehr drauf habe als als Spieler.
Welchen Fussball liessen Sie bei Altdorf spielen?
Einen modernen, so wie das Ottmar Hitzfeld mit uns in Zug gemacht hat. Mit Gegenpressing und den Gegner am 16er anlaufen.
Wie fanden das Ihre Spieler?
Das war für sie Neuland. Der vorherige Trainer sagten den Verteidigern immer, sie dürften nicht über die Mittellinie. Und nun mussten sie auf einmal ein hohes Pressing umsetzen.
Nach fünf Jahren in Schaffhausen wurden Sie schliesslich Aarau-Trainer.
Als ich dort unterschrieb, steckte Aarau bereits mit eineinhalb Beinen in der Nati B. Im letzten Spiel als Schaffhausen-Trainer erfuhr ich vom Speaker, dass sich Aarau doch noch gerettet hatte. Da wusste ich: Yes, ich bin ab der nächsten Saison Nati-A-Trainer.
Mit Aarau wurden Sie im ersten Jahr gleich sensationell Meister. Wann ahnten Sie, dass das möglich ist?
Als ich nach Aarau kam, dachte ich: Euch zeig ich es, weil ich ja zuvor mit Schaffhausen zweimal knapp den Aufstieg verpasst hatte. Damals gab es noch eine Quali, in der wir es überraschend in die Finalrunde schafften. Als ich nach der Winterpause die Spieler begrüsste, redete ich erstmals vom Meistertitel. Die Spieler wussten zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, wie gut sie waren. Entscheidend für den Triumph war damals aber auch das Trainingslager in Malaysia.
Warum?
Ich habe von den Spielern viel abverlangt, aber auch viel gegeben. Sie hatten nach jedem Spiel freien Ausgang bis zum nächsten Mittag. Dadurch entstand ein Kitt. Doch in Malaysia geschah auch noch etwas anderes.
Was?
Ich erhielt plötzlich Telefonanrufe von der Wettmafia. Einer wollte mir 10'000 Franken bezahlen, wenn wir in einem Testspiel 1:1 spielen würden. Aber da war er bei mir an den Falschen geraten.
1995 wurden Sie als erster Mann, der in der Schweiz zur Welt kam, Bundesliga-Trainer. Welche Erinnerungen haben Sie an Stuttgart?
Das war eine andere Liga. Wenn man sich den Parkplatz mit all den Spielerautos anschaute, wähnte man sich bei «Denver Clan».
Im ZDF-Sportstudio trafen Sie dann an der Torwand gleich fünfmal …
… und der sechste ging noch an die Kante. Dieser Auftritt war wichtig für mich und meine Reputation. Hätte ich dreimal an der Wand vorbeigeschossen, hätten alle gesagt: «Was will dieser kleine Schweizer hier? Wie soll der den Spielern etwas beibringen?»
Ihr Aufstieg ging immer weiter. Ein Jahr später waren Sie bereits Nati-Trainer.
Dass ich damals die Nati übernahm, war nicht optimal. Ich wäre vielleicht besser in Stuttgart geblieben.
Warum?
Als Trainer musst du im richtigen Moment am richtigen Ort sein, doch die Nati war damals in einem schwierigen Zustand. Routiniers waren zurückgetreten, und es gab extreme Grüppchenbildung. Wir reisten dann ohne ein Testspiel nach Aserbaidschan. Der Rest ist bekannt. Wir verloren 0:1, das sogenannte Debaku. Danach startete der Blick eine Kampagne gegen mich.
Auch Ihr nächstes Engagement endete unglücklich.
Erich Vogel hat damals alles gemacht, dass ich zu GC komme, und nachher aber noch mehr gemacht, dass ich wieder gehe. Deshalb wurde ich trotz des Meistertitels mit 16 Punkten Vorsprung entlassen.
Das war eine Zäsur in Ihrer Karriere. Bis dahin ging es immer nach oben, Sie waren eben erst 40 geworden, aber schon zweimal Meister, Bundesliga- und Nati-Trainer gewesen. Doch dann kamen die Tiefschläge.
1999 ging meine Ehe in die Brüche, und ich musste von zu Hause ausziehen. Dass ich danach meine Kinder nicht mehr täglich sehen konnte, hat mir richtig den Boden unter den Füssen weggezogen. Das war sehr schmerzhaft. Ich habe sogar gehofft, dass mich der damalige Schweizer Meister Servette, der einen Trainer suchte, nicht nochmals anruft, weil ich nicht so weit von meinen Kindern entfernt arbeiten wollte.
2002 gingen Sie stempeln. Wie schwer fiel Ihnen das?
Es war nicht einfach, doch mir half es, dass ich bescheiden aufgewachsen bin und wusste, was es bedeutet, unten zu sein.
Wie reagierten die Leute darauf, dass ein bekannter Trainer wie Sie plötzlich arbeitslos war?
Es gab unterschiedliche Reaktionen. Manche hatten Schadenfreude, andere wiederum fanden es gut, dass ich offen darüber redete und so ein Vorbild sein konnte. Ich war später nach meiner Zeit als Luzern-Sportchef noch einmal arbeitslos. Als ich da einen Toyota RAV4 sah, fotografierte ich ihn, schickte das Föteli meinen Kollegen und schrieb dazu: «Ich habe mittlerweile schon das vierte Geschäftsauto, weil ich mich so vorbildlich verhalte.»
2003 begann die Phase Ihrer exotischen Auslands-Jobs. War das eine Flucht?
Ja, ganz klar. Der Abstand zur Heimat half mir, das Geschehene zu verarbeiten.
Sie arbeiteten in drei Ländern als Trainer. Was fällt Ihnen zu al-Wahda in Abu Dhabi ein?
Ich musste dort zuerst einmal die Fahrprüfung wiederholen. Als ich mit den Prüfern vom Gelände des Strassenverkehrsamts fuhr und am Stoppschild anhielt, reagierten die völlig irritiert und erklärten mir, dass ich einfach fahren solle. Speziell waren auch die Fahrten an den Auswärtsspielen. Bei der Rückreise ging man immer zu McDonald’s Essen holen. Anschliessend schmissen die Spieler den ganzen Abfall auf den Car-Boden. Es waren halt alles Verwöhnte, die zu Hause Bedienstete hatten.
Stichwort Apollon Limassol auf Zypern?
Der Wahnsinn. Obwohl ich noch einen Vertrag für ein Jahr besass, ging ich freiwillig, denn dort war vieles korrupt. Es gab Situationen, da liefen zwei Spieler nach links, obwohl der Ball nach rechts ging. Oder ein anderes Mal liess der Gegner seine drei besten Spieler auf der Bank.
Warum?
Weil unser Klub diese Spieler gekauft hatte, der gegnerische zypriotische Trainer davon aber erfahren hatte.
Stichwort PAOK Saloniki in Griechenland?
Die Fans waren unglaublich heissblütig und gingen bei Niederlagen auf die Spieler los. Zum Teil hatten meine Spieler richtig Angst. Als ich dann zum Präsidenten ging, weil meine Spieler, aber auch ich, über eine längere Zeit keinen Lohn mehr bekamen, war ich meinen Job wieder los. Die wollten keinen Trainer, der sich einmischt.
Seit 2017 arbeiten Sie als TV-Experte für Blue. Ihr Start war schwierig, Sie wurden von Christian Constantin tätlich angegriffen.
Das ist für mich längst erledigt. Ich bin nicht nachtragend und hadere nicht mit Sachen, die passiert sind. Darüber hinaus war es eine gute Werbung für Blue TV (lacht). Für mich hat sich mit diesem Job als TV-Experte ein Kreis geschlossen.
Wie meinen Sie das?
Ich hatte immer Visionen. Als Bub wollte ich irgendetwas im Fussball machen. Dann spielte ich plötzlich aus dem Nichts in der NLA. Danach hatte ich die Vision, als Trainer zu arbeiten. Auch das ging in Erfüllung. Später dachte ich, ich würde gern mal als Sportchef arbeiten, und machte deshalb eine Sportmanagement-Ausbildung. Auch das trat mit meinem Job als Luzern-Sportchef ein. Und dann kam mir schon sehr früh der Gedanke, ich würde gern mal wie einst Udo Lattek als TV-Experte arbeiten. Dass ich das nun schon seit Jahren machen darf, ist toll.
Sie sind jetzt 66. Wie sieht Ihre nächste Vision aus?
Ich habe keine Visionen mehr, ich möchte einfach noch das Leben geniessen. Kürzlich habe ich mir einen Töff gekauft, eine Indian 1200. Ich war jetzt schon ein paarmal damit unterwegs.
Seit 2008 sind Sie mit Sabina liiert, 2018 heirateten Sie an Ihrem Geburtstag. Ist das ein Trick, damit Sie den Hochzeitstag nie vergessen werden?
Ich bin einer der ganz wenigen, der zum Geburtstag eine Frau geschenkt bekommen hat (lacht). Sie werden es nicht glauben, aber als ich 2019 meinen Geburtstag feierte, realisierten weder meine Frau noch ich, dass das ja unser erster Hochzeitstag ist.
2011 starb die Tochter Ihrer Frau im Alter von 20 Jahren bei einem Verkehrsunfall. Wie gingen Sie damit um?
Das war schon brutal. Wir sassen damals beide 27 Stunden lang im Spital am Sterbebett, doch leider hatte sie keine Überlebenschance.
Wie konnten Sie diesen Schicksalsschlag verarbeiten?
Wir haben gelernt, dass man das Schicksal akzeptieren muss. Da hilft kein Selbstmitleid, auch wenn die ersten Jahre sehr schwierig waren. Meine Frau fuhr jahrelang jeden Tag an dem Ort vorbei, an dem sie tödlich verunglückte, und sah dabei das Foto, das dort von ihrer Tochter aufgestellt war. Wie meine Frau das verarbeitet hat, ist absolut vorbildlich. Ich konnte sie dabei unterstützen, weil ich ja auch meine Lebenskrisen hatte, auch wenn diese natürlich nicht vergleichbar sind. Wenn ich heute sehe, wie meine Frau wieder Freude am Leben hat, rührt mich das extrem.