Luis Rubiales? Das ist der Chef des spanischen Fussballverbandes. Er ist auch Vize der Uefa. Der 46-Jährige ist gerade in aller Munde, weil er bei der Pokalübergabe der Spanierinnen an der WM in Australien die Spielerin Jennifer Hermoso (33) hochemotional umarmte, sie auf die Wange küsste, dann mit beiden Händen ihren Kopf umfasste und seinen Mund schliesslich mitten auf ihre Lippen drückte. Was ist da bloss in ihn gefahren? Kein Wunder, dass diese Szene innert Minuten viral ging und für Empörung sorgte. Er konterte die Kritik so: «Ein Küsschen von zwei Freunden, die etwas feiern. Mehr war das nicht». Dann beschimpfte er diejenigen, welche sich an dieser Szene störten, als «Dumpfbacken», «Idioten», «Arschlöcher». Von denen man sich diesen Triumph doch nicht madig machen lasse.
Rubiales, ja, derjenige, der sich bei seinem überschwänglichen Jubel auf der Tribüne neben der spanischen Königin Letizia und Prinzessin Sofia demonstrativ in den Schritt griff. Die obszöne Geste sollte wohl den unterlegenen Engländerinnen gelten. Rubiales, ja, das ist auch der Skandal-Funktionär, der beschuldigt wird, mit Verbandsgeldern Orgien veranstaltet zu haben.
Nicht zuletzt ist Rubiales auch derjenige, der Spaniens Nationalcoach Jorge Vilda (42) stets die Stange hielt (ja ich weiss, missglücktes Wortspiel, ich lass' es trotzdem stehen), als im letzten Herbst 15 Spielerinnen aus der Nationalmannschaft zurücktraten, weil sie sich schlecht behandelt fühlten, die Absetzung des Trainers und professionellere Strukturen forderten. Die Kumpanei der beiden beruht auf Gegenseitigkeit. Vilda hilft Rubiales, nach den aktuellen Final-Vorfällen die Skandal-Wogen zu glätten. Aber das ist jetzt zu spät.
Der öffentliche Druck wird immer grösser
Spanien ist in Aufruhr. Die Empörung ist bereits bei Ministerpräsident Pedro Sánchez angelangt (in Spanien steht gerade die Regierungsbildung an). «Was wir gesehen haben, ist unakzeptabel» und bedürfe weiterer Aufklärungen. Die Stimmen aus Politik und Gesellschaft, vor allem aus dem linken Spektrum, die den Rücktritt von Rubiales fordern, werden immer lauter.
Auch Jennifer Hermoso fordert «beispielhafte Massnahmen, um Fussballerinnen vor Handlungen zu schützen, die wir für inakzeptabel halten.» Die Fifa eröffnet ein Disziplinarverfahren gegen Rubiales und am Freitag muss sich der Ex-Profi (UD Levante) zudem an einer Dringlichkeitssitzung des spanischen Verbandes erklären. Seinen Rücktritt wird er nicht in Betracht ziehen. Die anwesenden Klubfunktionäre stehen mehrheitlich auf seiner Seite, und er sieht sich als Opfer und nicht als Täter. Doch der öffentliche Druck ist gross.
Ja, meine Prognose war falsch. Ich habe nicht geglaubt, dass die Spanierinnen die WM gewinnen können, so zerstritten wie sie sind. Immer wieder sah man die Grüppchen und wie arg es zwischen Team und Staff steht: hier die Spielerinnen, da das Trainerteam. Starspielerin Alexia Putellas (28) hatte Trainer Jorge Vilda (42) bei ihrer Auswechslung im Halbfinal den Handschlag verweigert und keines Blickes gewürdigt, zur Strafe musste sie den Final auf der Bank absitzen – erst in der 90. Minute durfte sie aufs Feld – diese Schmach musste sich für eine Weltfussballerin wie die Höchststrafe anfühlen. Vilda wird das alles jetzt nicht mehr stören. Er hat seine Mission erfüllt – die negative Reibung offenbar in Energie und Leistung umgewandelt und damit mit den Frauen erstmals das geschafft, was Spaniens Männer 2010 gelungen war – den WM-Pokal nach Hause zu bringen. Trotzdem hoffen viele, dass die Vilda-Zeit jetzt zu Ende ist. (pam)
Ja, meine Prognose war falsch. Ich habe nicht geglaubt, dass die Spanierinnen die WM gewinnen können, so zerstritten wie sie sind. Immer wieder sah man die Grüppchen und wie arg es zwischen Team und Staff steht: hier die Spielerinnen, da das Trainerteam. Starspielerin Alexia Putellas (28) hatte Trainer Jorge Vilda (42) bei ihrer Auswechslung im Halbfinal den Handschlag verweigert und keines Blickes gewürdigt, zur Strafe musste sie den Final auf der Bank absitzen – erst in der 90. Minute durfte sie aufs Feld – diese Schmach musste sich für eine Weltfussballerin wie die Höchststrafe anfühlen. Vilda wird das alles jetzt nicht mehr stören. Er hat seine Mission erfüllt – die negative Reibung offenbar in Energie und Leistung umgewandelt und damit mit den Frauen erstmals das geschafft, was Spaniens Männer 2010 gelungen war – den WM-Pokal nach Hause zu bringen. Trotzdem hoffen viele, dass die Vilda-Zeit jetzt zu Ende ist. (pam)
Spanien steht auf der Kippe: Einst als Macho-Kultur verschrien, hat sich im Land eine progressive Gesellschaft entwickelt, mit einem liberalen Abtreibungsgesetz, einem modernen Transgesetz. Beim Kampf gegen Gewalt gegen Frauen gehört Spanien inzwischen zu den Vorreitern. Der Rechtsrutsch in den kürzlichen Parlamentswahlen fiel zwar nicht so drastisch aus wie prognostiziert, trotzdem könnte sich die Uhr wieder ein Stück zurückdrehen.
Beschämendes Ende der so tollen WM
Vor diesem Hintergrund erscheint der Fall Rubiales noch gewichtiger – die Spaltung noch ersichtlicher. Für viele steht er für das, was das Land nicht mehr sein will – eine Macho-Bastion. Andere können wiederum nicht verstehen, dass aus so einer Sache eine Staatsaffäre gemacht wird. Verlierer gibt es bereits viele. Vor allem Verliererinnen. Allen voran die spanischen Weltmeisterinnen, die trotz Widerständen und Rückschlägen verdient den Pokal holten. Ihr Ruhm wird vom Skandal überschattet.
Dass am Ende dieser grossartigen WM, während der die Fussballerinnen beste Werbung für diesen Sport machten, ausgerechnet ein Mann ins Rampenlicht grätscht, ist irritierend, rückständig, beschämend und jammerschade.