Hunderte kleiner Häuschen stehen in Reih und Glied. Das übliche Bild bei diesen unscheinbaren schottischen oder englischen Kleinstädten auf dem Land. So auch hier, in Ayr, direkt am Meerbusen Firth of Clyde. Hier lebt Hamish Husband (66). Unscheinbar. Einzig ein Aufkleber auf seinem Hyundai erinnert an seine Passion: «West of Scotland Tartan Army».
Husband ist gewissermassen der PR-Manager der Tartan Army, der vielleicht weltbekanntesten Fussball-Fans. Weil sie positiv konnotiert sind: Dudelsäcke, Schottenrock, Karos, Whisky. Mehr braucht der Mensch nicht zum Leben und Feiern.
So kam es zum Kilt-Trauma
In München haben sie schon mal mächtig Eindruck gemacht. Einzig: Genützt hat dieser irrsinnige Support nichts. Wie auch, wenn jene auf dem Feld solch einen Mist zusammenkicken wie die Bravehearts an jenem schwarzen Freitag beim 1:5 gegen Deutschland. Husband: «Wir waren schrecklich! Da war kein Herz im Spiel.»
Zurück nach Ayr. Für die Fotosession wünschen wir, standesgemäss, einen Kilt. Dann das Geständnis! «Ich trage nie einen!», sagt Husband. Puuh, das sitzt. Und warum bitte? «Meine Mutter hat mich oft gezwungen, dieses Ding zu tragen. Seither habe ich ein Trauma.» Und so trägt halt der Sprecher der Tartan Army keinen Kilt. Das ist so wie Nationaltrainer Steve Clarke (60), der Whisky nicht anrührt. Das Ende aller Klischees.
Alles begann 1928 mit einem 5:1 im Wembley
Der organisierte Support für die Bravehearts geht aufs Jahr 1928 zurück. Schottland gewinnt gegen England im Wembley 5:1! 20'000 Schotten sind im Stadion. «Damals wurde der Wembley Club gegründet. Alle Mitglieder sparten Geld, um wieder nach Wembley gehen zu können und Schottland zu supporten. So kams zum Vorgänger der Tartan Army.» Und da gibts natürlich legendäre Geschichten. Wie jene, als Husband beim Platzsturm 1977 im Wembley mittendrin war, nachdem die Schotten nach zehn Jahren endlich wieder gegen England gewonnen hatten. «Wenn ich das erzähle, riskiere ich die Scheidung», sagt Husband. Und erntet einen ganz bösen Blick seiner Frau. Übrigens: Bilder davon findet man auf Youtube.
Die eigentliche Tartan Army wurde in kleinen Pubs geboren. Alles begann mit der Qualifikation für die WM 1998 in Frankreich. Die Geburtsstätte des West-Schottland-Clubs war das Iron Horn in Glasgow. Man begann in vielen Pubs über organisierten Support für Auswärtsspiele zu sprechen. Die Supporter aus verschiedenen Regionen begannen zusammenzuspannen. Erstmals koordiniert traten sie in Lettland auf. Prompt gewann Schottland und qualifizierte sich für die WM. «Wir waren in Frankreich das positive Gesicht des Fussballs inmitten zahlreicher Hooligan-Ausschreitungen rundherum.» Alain Juppé (78), charismatischer Bürgermeister von Bordeaux, verlieh der Tartan Army einen Award für den besten Support. «Später gewannen wir auch den Fifa Award», erinnert sich Husband. Einzig das Team gewinnt kein Spiel und schafft es wie üblich nicht in die K.o.-Runde.
Husband is the Godfather!
Später wurde ein Travel Club aus der Taufe gehoben, der die Reisen der Mitglieder plant. Längst schon arbeitet die Tartan Army mit dem schottischen Fussballverband zusammen, denn auch für den FA ist sie ein stolzes Aushängeschild. Seit 2000 heisst die Vereinigung offiziell «The Association of Tartan Army Clubs». Der «Godfather» («Pate»)? Hamish Husband! Die Fans werden mit Informationen versorgt, mit dem Verband wird detailliert besprochen, wo es Probleme gab, und die Security wird immer mit einbezogen.
«Mittlerweile gibt es über 100 Tartan Army Clubs», erzählt Husband. Die FA zählt 35'000 Supporters Members. «Mehr geht nicht! Es gibt deshalb eine Warteliste.» In Deutschland, so schätzt man, sind zwischen 100'000 und 200'000 Schotten. Nur 10'000 haben ein Ticket für das Eröffnungsspiel erhalten. «Das ist natürlich frustrierend wenig in Anbetracht von 66'000 Plätzen in der Arena», so Husband. Die meisten reisen, natürlich, ohne Ticket an. Die Folge: Sie überfüllten sowohl den Münchner Marienplatz als auch die Fanzone. «Die Deutschen waren unglaublich freundlich, trotz dieser Invasion», so der Sprecher. «Aber wir sind ja die freundlichste Armee der Welt.»
30'000 Schotten marschieren in Köln
Und beim grossen Marsch in Köln (in München war dieser nicht möglich), der von Müngersdorf ins Stadion führt, sollen 30'000 Schotten mitmachen. «Wir haben diese Tradition bei uns nicht. Aber im Ausland kams auch schon dazu, wie vor dem Schweden-Spiel an der WM 1990 in Italien.»
Epilog: Mittlerweile gibt es das Iron Horn nicht mehr. Es hat die Corona-Krise nicht überstanden. Das neue Pub der West of Scotland Tartan Army ist das Rhoderick Dhu – gleich neben dem Bahnhof Glasgow Central. Ein glanzloses 0815-Pub. Sollte aber Schottland gegen die Schweiz gewinnen – es wäre die Hölle los dort!