Einer tanzt bei Real Madrid aus der Reihe. Nicht unbedingt aufgrund seiner Person. Eher aufgrund seiner sportlichen Ausbildung. Es gehört zu Real, dass der Klub Spieler einkauft und dann auch auf die setzt. Die Königlichen investieren nicht entschlossen in die Jugend, wie es beispielsweise Barcelona tut. Coach Carlo Ancelotti hat nicht das Ziel, Eigengewächse heranzuziehen und gross herauszubringen.
Doch da gibt es eben diesen einen jungen Spanier, der da eine der wenigen Ausnahmen ist: Raúl Asencio. 22 Jahre alt. Innenverteidiger. Robust, aggressiv, schnell, talentiert. Er grätscht kompromisslos.
Erst 26 Mal ist er für das grosse Real Madrid aufgelaufen – zuvor durchlief er die königlichen Junioren. Nach wenigen Einsätzen schon lässt der Spanier das Bernabéu nostalgisch werden. Wir haben einen neuen Sergio Ramos, sind sich die Fans einig.
Ramos hat bis 2021 über 670 Partien für Real absolviert und alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Der Vergleich mit der Legende ist weit hergeholt, keine Frage. Da muss Asencio schon noch ein paar Beweise mehr liefern. Klar ist aber: Der 22-Jährige ist der Senkrechtstarter der Saison bei den Königlichen. Und dabei hat Ancelotti vor allem aus der Not heraus zum jungen Defensivmann gegriffen. Nur weil die Haudegen Antonio Rüdiger und Éder Militão und auch David Alaba immer wieder von der Verletzungshexe geküsst wurden, kam Asencio zum Einsatz.
Doch er überzeugt bisher. Sein Traumpass über 40, 50 Meter im Rückspiel gegen Manchester City (3:1), den Kylian Mbappé eiskalt zur Führung nutzte – pure Perfektion.
Asencio droht eine Gefängnisstrafe
Abseits des Platzes läuft für den jungen Spanier derzeit nicht alles so nach Plan, wie dies auf dem Platz der Fall ist. Asencio droht eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Grund: Er soll im Jahr 2023 ein Video verbreitet haben, dass ehemalige Teamkollegen bei sexuellen Aktivitäten mit einer 16-Jährigen zeigt, die nichts vom Video gewusst haben soll. Die sexuellen Handlungen sollen einvernehmlich passiert sein, heisst es zumindest. Das Filmen und die Weiterverbreitung des Videos wären jedoch illegal.
Asencio legte im Nachgang Berufung ein. Anfang Februar wurde bekannt, dass die Anklage aber weitergeführt wird. Dem Fussballer wird weiterhin vorgeworfen, den Straftatbestand der Erstellung und Weitergabe von intimen Aufnahmen sowie der Verbreitung von Kinderpornografie erfüllt zu haben.
Und so spaltet Asencio die Fussballwelt. Zum einen ist da diese Genialität, dieses grosses Talent. Ein Versprechen für die Zukunft. Zum anderen sind da diese hässlichen Vorwürfe. Die Wut über die mutmasslich begangenen Handlungen bekommt Asencio im Hinspiel des Copa-Halbfinals (1:0) letzte Woche zu spüren. «Asencio, stirb», rufen Zuschauer im Stadion von Real Sociedad immer wieder. Der Schiedsrichter unterbricht zwischenzeitlich die Partie sogar, in der Halbzeit wird Asencio – offenbar zu seinem Schutz – ausgewechselt. Seither stand er nicht mehr auf dem Platz.
Gut möglich, dass er auch im Hinspiel des Champions-League-Knüllers gegen Stadtrivale Atletico (Dienstag, 21 Uhr) auf der Bank sitzen wird. Weil Ancelotti nun mal der Boss ist. Und weil Aurélien Tchouaméni und Antonio Rüdiger fit sind – und die halt – im Gegensatz zu Asencio – für viele Millionen nach Spanien geholt wurden.
So oder so wird man in der nähren Zukunft noch viel von Asencio hören. Nicht nur aufgrund der hässlichen Vorwürfe. Auch sportlich wird der Rechtsfuss noch für Schlagzeilen sorgen. Weil er einer ist, der aus der Reihe tanzt. Und weil er die Fähigkeiten hat, auch einen Ancelotti noch ganz von sich zu überzeugen.