Zhou war einfach ein Naturtalent. Vor zehn Jahren zügelte er von Shanghai nach England. Wenn es in China um die Förderung von aussergewöhnlichen Sportlern geht, ist der Staat nicht fern. Und wenn man dabei noch dem sportlichen Erzfeind USA in einer Disziplin eins auswischen kann, dann lohnen sich die Investitionen im Land der Mitte besonders.
Und Zhou, der in seiner Heimat im Kartsport alle Gegner besiegte und viele Titel gewann, ist eben eine Ausnahmeerscheinung. Bereits mit 14 Jahren holte ihn Ferrari in seine Driver Academy. Nach über vier Jahren wechselte er 2019 in das Förderungsprogramm von Alpine/ Renault – und er gewann bei 70 Formel-2-Einsätzen für das UNI-Virtuosi-Team fünf Rennen und stand sogar 20-mal auf dem Podest.
Im Juli 2021 durfte er für Alpine in Spielberg die ersten 60 Trainingsminuten Stammpilot Alonso ersetzen. Zhou liess gleich mit einem 14. Platz aufhorchen, war schneller als Vettel oder Schumi.
Kurz darauf kam aus China das rund 30 Millionen Dollar schwere Angebot an Alfa-Sauber für einen Zhou-Vertrag – im November 2021 schlugen die Hinwiler dann zu. Chef Fred Vasseur hatte für die ausgedienten Räikkönen und Giovinazzi für 2022 neben der erfrischenden Gegenwart (Valtteri Bottas) auch die schnelle Zukunft (Zhou) an Bord geholt. Auch wenn in der eigenen Sauber Academy mit dem Franzosen Theo Pourchaire (19) ein ungeschliffener Diamant im Schatzkästchen liegt.
Wie sind Sie eigentlich in den Motorsport gekommen?
Guanyu Zhou: Ich glaube, es war einfach meine DNA, die mir in die Wiege gelegt worden ist. Schnelle Fahrzeuge haben mich immer fasziniert, man musste bei mir die Freude nicht wecken, sie war da. Ich wollte so schnell wie möglich damit herumfahren.
Und das mit knapp sechs Jahren …
Genau. Eines Tages hatten meine Eltern von der Schwärmerei genug und fuhren mit mir in eine Halle mit einer Kartpiste. Da musste ich zuerst hinten in einem Zweisitzer Platz nehmen. Ich hatte Angst, schloss meine Augen und machte mir fast in die Hosen.
Guanyu Zhou (ausgesprochen Dscho) wurde am 30. Mai 1999 in Shanghai geboren. Er begann seine professionelle Karriere im Kart-Sport (von 2007 bis 2014). Gewann in China alle Titel. Übersiedelte mit 12 Jahren nach England. Wohnt jetzt in London, in Hinwil haust er in einem Hotel.
Guanyu Zhou (ausgesprochen Dscho) wurde am 30. Mai 1999 in Shanghai geboren. Er begann seine professionelle Karriere im Kart-Sport (von 2007 bis 2014). Gewann in China alle Titel. Übersiedelte mit 12 Jahren nach England. Wohnt jetzt in London, in Hinwil haust er in einem Hotel.
Das hat Ihnen damals wohl kaum grosse Freude bereitet.
Richtig, ich musste es selbst versuchen. Und schon auf der ersten Runde war ich nicht langsam unterwegs – und ich crashte auch nicht. Da hatte ich das, was ich seit Jahren wollte. Endlich hatte ich ein Lenkrad in meinen Händen – und so gingen wir dann öfters auf diese Bahn. Weil mein Talent nicht unentdeckt blieb, startete ich bald für ein professionelles Kart-Team.
Auch auf dem Grand-Prix-Kurs, dem Shanghai International Circuit?
Nein, ich fuhr weiter auf der Bahn im Park Shuang, wo ich aufgewachsen bin. Dann wurde die Anlage leider geschlossen, weil sich Anwohner über den Lärm beschwert hatten.
Wie kamen Sie zum Kontakt mit Ihrem jetzt 34 Jahre alten Landsmann Ma Quinghua, der 2012 für HRT und 2013 für Caterham einige Formel-1-Trainings am Freitag absolvieren durfte?
Ma ist immer noch ein enger Freund von mir. Ihm gehörte der Kartklub, in dem ich gross geworden bin. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, er hat mir oft geholfen. Leider hat es dann mit einem permanenten GP-Sitz nicht funktioniert.
Ma – ein Vorbild?
Nein. Wir hatten einfach beide das gleiche Ziel, einen Stammplatz in der Formel 1 zu bekommen. Ich habe es geschafft, und er fährt weiter in anderen Serien.
Wann waren Sie das letzte Mal in China?
Vor rund zwei Jahren. Das ist eine verdammt lange Zeit. Das gleiche Schicksal teilt jetzt auch der Japaner Yuki Tsunoda mit mir. Wir vermissen beide unsere Heimat. Aber ich werde 2022 bestimmt nach Shanghai fliegen. Sonst wären es ja dann drei Jahre, ohne meine Familie und Freunde zu sehen. Das wäre irgendwie verrückt.
Sie wohnen seit Jahren in London. Wie steht es da mit einer Freundin?
Sie ist Chinesin und fliegt, wenn immer es möglich ist, nach Europa. So sehen wir uns, auch wenn sehr selten. Wir haben übrigens jetzt einen Deal am Telefon: Der Ukraine-Krieg ist zwischen uns ein Tabuthema. Also keine Fragen bitte.
Auf welchen sozialen Kanälen sind Sie unterwegs?
Ich bin auf Twitter und Instagram, aber nicht auf Facebook. Ich habe im Gegensatz zu letztem Jahr etwa rund 250 '000 Follower mehr. Dann habe ich noch einen Weibo-Account, weil in China Twitter und Instagram nur mit VPN gehen.
Da müssen Sie sich langsam als Popstar vorkommen?
(Lacht.) Irgendwie schon, wenn man in England und auch jetzt in Melbourne, wo Zehntausende von Chinesen wohnen, auf der Strasse erkannt wird und für ein Selfie hinstehen soll. Aber auf der Welt gibt es so viele Arten von Popstars, dass dieser Status nichts mehr Aussergewöhnliches ist.
Sie wirken an den Rennstrecken immer so bescheiden, fast schüchtern. Dabei sind Sie auf der Strecke ein eiskalter Typ, der fast wie ein Erdbeben über die Formel 1 einbrach.
Na ja, ich bin sicher auch sehr emotional, wenn es die Situation erfordert.
Wie in Bahrain, als Sie der 63. GP-Pilot seit 1950 waren, der gleich im ersten Rennen punktete.
Das war wirklich ein Ereignis, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Und so wurde ich auch dank der Freude des ganzen Teams von Tränen überrascht.
Was sind im Lernjahr 2022 eigentlich Ihre Ziele?
Das erste habe ich mit dem WM-Punkt schon erreicht. Zudem will ich weiter nie im ersten Teil der Qualifikation ausscheiden – und bis zum Saisonende mindestens einmal ins Top-Ten-Finale kommen.
Einmal Zehnter, dann zweimal Elfter. So einen Start hatte schon lange kein Formel-1-Neuling mehr.
Und ich bin auch richtig stolz auf mich! Für die zwei elften Plätze hätte ich zu Beginn der Saison unterschrieben. Aber jetzt bin ich schon etwas enttäuscht. In Saudi-Arabien waren wir auf Punktekurs, als ich wegen eines zusätzlichen Boxenstopps noch hinter mein Idol Hamilton zurückfiel. Im Ziel fehlten mir acht Sekunden auf Lewis. Der Extrahalt kostete mich aber 25 Sekunden.
Und in Melbourne?
Auch da lagen Punkte drin. Als Albon nach seinem einzigen Reifenwechsel in der letzten Runde aus der Boxengasse kam, lag ich neben ihm. Aber ich konnte um den 10. Platz mit meinen angefahrenen Reifen nicht mehr kämpfen – und dann wirst du eben nur Elfter.
Wie wurden Sie als Neuling von den anderen Fahrern empfangen?
Das war kein Problem. Die meisten kannte ich ja aus Kämpfen in den unteren Serien. Einige waren sogar Teamkollegen. Vor allem Mick Schumacher begegnete ich in meiner Karriere sehr oft. Alle gratulierten mir zum Aufstieg – und ich fühlte mich sofort wohl in der neuen Familie.
2015 Italienische Formel 4 (Platz 2)
2015 Deutsche Formel 4 (Platz 15)
2016 Toyota Racing Series (Platz 7)
2016 Europäische Formel 3 (Platz 13)
2017 Europäische Formel 3 (Platz 8)
2018 Europäische Formel 3 (Platz 8)
2019–2021 Formel 2 (70 Rennen, 5 Siege), Bilanz: Gesamtachter, Gesamtsiebter, Gesamtdritter
2015 Italienische Formel 4 (Platz 2)
2015 Deutsche Formel 4 (Platz 15)
2016 Toyota Racing Series (Platz 7)
2016 Europäische Formel 3 (Platz 13)
2017 Europäische Formel 3 (Platz 8)
2018 Europäische Formel 3 (Platz 8)
2019–2021 Formel 2 (70 Rennen, 5 Siege), Bilanz: Gesamtachter, Gesamtsiebter, Gesamtdritter
Können Sie einen Vergleich zwischen Ihren drei Jahren bei Alpine und jetzt bei Alfa-Sauber ziehen?
Bei Alpine und auch beim Formel-2-Team hatte ich es meist mit englischen Ingenieuren zu tun. In der Schweiz ist das total anders. Daran musste ich mich gewöhnen. Doch alle haben die gleiche Mission – Erfolg zu haben.
Haben Sie im GP-Zirkus Freunde?
Ja, Alonso und Ricciardo, die mich in meiner Alpine-Lehrzeit begleiteten, sind eine Art Freunde geworden. Auch wenn ich gegen sie vorher nie gefahren bin.
Was ist mit dem neuen Teamkollegen Valtteri Bottas?
Das ist für mich ein Glücksfall, so einen erfolgreichen Fahrer als Gradmesser neben sich zu haben. Vor dem ersten Rennen in Bahrain habe ich ihn mit Fragen überhäuft. Und Valtteri hörte mir immer sehr aufmerksam zu, half mir, wo er konnte. Und auch jetzt kommt er oft vorbei und fragt mich, ob ich keine Fragen oder Zweifel mehr habe …
Der Finne spielt also die Rolle des umsorgten Vaters …
(Lacht.) So kann man es sagen.
Und wie ist Ihr Verhältnis zu Teamchef Fred Vasseur?
Er hatte ja in der Vergangenheit stets grosse Erfolge mit jungen Fahrern. Das spüre ich jetzt auch. Er ist immer sehr kritisch und sagt sofort, wenn ihm etwas nicht passt. Auf der anderen Seite ist er auch ein sehr lustiger Mensch. Diese Kombination gefällt mir.
Was ist Ihnen auf den bisherigen drei GP-Strecken aufgefallen?
Der Respekt vor dem Gegner. Da wird nicht wie in anderen Kategorien einfach wild drauflosgefahren. In der Formel 1 kannst du deinem Rivalen trauen. Denn in der höchsten Klasse sind die Piloten erwachsen geworden. Hart, aber fair – das bleibt hoffentlich so. Zudem kam mir das neue Reglement natürlich entgegen, weil alle bei null anfingen – und die 18-Zoll-Reifen bin ich letztes Jahr schon in der Formel 2 gefahren!
Sie sagten, dass Lewis Hamilton seit Jahren Ihr Idol und Vorbild sei.
Richtig, ich bewundere ihn und hätte ihm deshalb in Saudi-Arabien gerne den letzten WM-Punkt weggeschnappt.
Und sonst schwärmen Sie von keinen sportlichen Stars?
Doch, von Basketball-Legende Kobe Bryant. Deshalb habe ich auch seine Nummer 24 als meine Startnummer gewählt. (Kobe Bryant starb am 26. Januar 2020 mit 41 Jahren bei einem Helikopter-Unfall in Kalifornien, d. Red.)