«Fika», das ist in Schweden ein Muss. Einfach übersetzt bedeutet Fika eine Kaffeepause mit Keksen, Kuchen und Freunden. Und die geht zu jeder Tageszeit. In Ängelholm ist es Sonntagnachmittag, als sich Lian Bichsel (19) in der Konditorei Nisses einen freien Tisch sucht. Das Café ist rappelvoll. Nicht nur, weil der Himmel wolkenverhangen und das Wetter garstig ist, sondern weil im beschaulichen Städtchen sonntags kaum etwas geöffnet hat.
Für Bichsel ist eine perfekte Fika: «Mit meiner Freundin eine gemütliche Zeit verbringen – mit Kaffee und Kuchen – und dabei Karten spielen.» Er bestellt eine Prinzessinnentorte, besser bekannt als Schwedentorte, traditionell mit dem grünen Marzipanmantel umhüllt. Ein Stück davon ist Bichsels Sonntags-Sünde. Denn der 19-Jährige beschäftigt sich neuerdings mit seiner Ernährung, hat sie leicht angepasst und versucht, Milch- und Gluten-Produkte zu vermeiden. «Ich fühle mich dann besser.» Deswegen liest er derzeit das Buch «Siegernahrung: Glutenfreie Ernährung für Höchstleistung» von Tennis-Star Novak Djokovic (36).
Als die Kinder am Nebentisch realisieren, dass hier ein Rögle-Spieler sitzt, fragen sie nach seinem Namen. Und der Solothurner antwortet «Bischel» und grinst entschuldigend. Bichsel könne der Schwede hier einfach nicht richtig aussprechen. Hier in Ängelholm, Bichsels Zuhause auf Zeit.
Rögle hilft Bichsels Entwicklung
Rückblende: Im Sommer 2022 wird der Verteidiger von den Dallas Stars in der ersten Runde an 18. Stelle gedraftet. Die Saison danach spielt er wie schon das Jahr zuvor in der SHL bei Leksand. Dann, nur eine Woche vor der A-WM 2023 in Riga, der Verletzungsschock: Bichsel bricht sich in einem Vorbereitungsspiel den Knöchel. «Das war die bisher grösste Verletzung meiner Karriere», so Bichsel. «Mein Umfeld hat mir geholfen, das zu verkraften. Das Sommertraining danach war mein bisher bestes.» Mental hat ihn die schmerzhafte Erfahrung gestärkt.
In jenem Sommertraining besuchen ihn die Abbott-Brüder Cam (Sportchef) und Chris (Trainer), damals noch bei Rögle BK im Amt, in der Schweiz. Die Kanadier interessieren sich für das Abwehr-Juwel. Auch Bichsels Interesse ist geweckt, als sie ihm anbieten, im August einen Monat lang mit dem Team zu trainieren. Das tut er, bevor er ins Camp der Dallas Stars einrückt. Obwohl er noch eine Knie-Verletzung auskurieren muss, kann er in den Vorbereitungsspielen glänzen: Ihm glücken drei Assists, er bekommt viel Eiszeit und Vertrauen. Doch die Saison startet Bichsel in der AHL, absolviert 16 Partien im Farmteam Texas Stars.
Obwohl ihn das Dallas-Management gerne weiterhin in Austin gesehen hätte, nutzt Bichsel die Klausel, die ihm im ersten Vertragsjahr erlaubt, mittels Ausleihe nach Europa zu wechseln. Der 1,96 m grosse Verteidiger landet Anfang Dezember nicht wie erwartet in Leksand, sondern entscheidet sich für Rögle. Und das aus der Überzeugung, dass er dort den nächsten Schritt Richtung NHL machen kann. Trotz seines jungen Alters weiss der Junioren-Internationale genau, was er erreichen möchte und was es dafür braucht.
Bichsel will sich selber treu bleiben
Er schätzt selbstbewusst ab, wo er sich am besten weiterentwickeln kann. «Ich arbeite an meinen läuferischen Fähigkeiten.» Seine Körpermasse müsse er gut bewegen. Dem pflichtet Rögles Interimstrainer Roger Hansson (56, Ex-EVZ) bei. Der Schwede sieht bei Lian zudem noch Potenzial im Spiel mit der Scheibe. Gleichzeitig stellt Hansson in den vergangenen zwei, drei Wochen diesbezüglich bereits eine Verbesserung fest. Und wie misst Bichsel selbst die eigene Leistung? «Wie dominant ich bin in der defensiven Zone, wie ich Boxplay spiele und wie viel ich offensiv anrichten kann.»
Seine Zielstrebigkeit ist bemerkenswert. Seine Selbstreflexion ebenfalls. Er strahlt Vertrauen und Ruhe aus, als er erzählt, dass er sich selber treu bleiben möchte, auch wenn der Druck seit dem Draft manchmal hoch gewesen sei. Er schafft das «mit einer Mischung aus Vertrauen und Gelassenheit, es ist ja einfach Hockey».
Seinem NHL-Ziel ordnet Bichsel alles unter. Ihm ist es wichtig, in der Mannschaft bestens integriert zu sein. Deshalb verzichtet er kurz nach seiner Ankunft in Ängelholm und der nur eine Woche später folgenden Entlassung der Abbott-Brüder auf die U20-WM mit der Schweiz. «Diese schwierige Situation hat er gut und mutig gemeistert», so Coach Hansson.
In der schwedischen Kleinstadt wie auch in der Mannschaft fühlt sich Bichsel wohl, auch mit älteren Spielern kommt der reife Teenager bestens klar. Da klingelt sein Handy, US-Stürmer Brady Ferguson (29) ruft an und fragt ihn, ob er am Abend auf seinen Sohn Barry (2) aufpassen könne, er wolle mit seiner Frau ins Kino. «Bisch» sagt zu, es ist nicht sein erster Einsatz als Babysitter. «Ich verstehe mich gut mit Kindern», sagt der mittlere von drei Bichsel-Brüdern.
Eine Wohnung ohne Schnickschnack
Mit dem grössten Rögle-Spieler gehts nun ab nach Hause, bevor er zum Kinderhüten abgeholt wird. Bichsel bewegt sich in Ängelholm bei Wind und Wetter mit einem E-Roller oder zu Fuss fort, den Fahrausweis besitzt er noch nicht. Er wohnt wenige Minuten ausserhalb des Zentrums. Das moderne, stilvolle Appartement ist ohne Schnickschnack eingerichtet, nichts lenkt vom Hockey-Fokus ab. «Meine einzigen persönlichen Dinge hier sind meine Kleider.» Und zwei Bücher.
Obwohl er sehr gerne gesund kocht, «derzeit sind Thai-Currys hoch im Kurs oder Ofengemüse mit Lachs» – häuslich einrichten muss er sich hier nicht. Es ist eine Zwischenstation auf seinem Weg in die NHL, nach der SHL-Saison gehts zurück nach Austin. Seit er als 17-Jähriger vor drei Jahren sein Zuhause in Wolfwil SO Richtung Schweden verlassen hat, ist er in vielen Belangen selbständiger geworden, auch im Haushalt. «Mir ist bewusst geworden, was meine Mutter alles gemacht hat, Putzen, Waschen und so.»
Bichsel beschreibt sich selbst als eine Person, die gut alleine sein kann. In der ersten Saison in Leksand lernte er jedoch gleich seine Freundin Saga kennen, verbrachte auch viel Zeit mit ihrer Familie und lernte so rasch Schwedisch. Das sei ein Vorteil, im Alltag in Schweden wie auch in der Garderobe mit den Mitspielern. Die 19-Jährige, die Pferde besitzt und an Springreitturnieren startet, ist allerdings im acht Autostunden entfernten Leksand geblieben.
Deshalb ist die Vorfreude gross: Saga kommt für ein verlängertes Wochenende zu Besuch, das das Pärchen in Kopenhagen (Dä) verbringen wird. Nebst Shopping steht Wellnessen an, «ich bin im Ferienmodus», grinst er, kurz bevor es an der Tür klingelt und er zum Babysitten abgeholt wird. Auch für Bichsel sind einige Tage Abschalten vom Hockey willkommen.