McSorley soll kommen – Schelling soll bleiben
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Zwei Minuten für Dino:Das sind die wirklichen SCB-Probleme

So versagt Boss Lüthi – das wirft man Schelling vor
Das Protokoll des SCB-Zerfalls

Vor 20 Monaten feierte der SC Bern seinen 16. Meistertitel. Jetzt liegt der Klub am Tabellenende, hat in einem Jahr zerstört, was ihn erfolgreich machte. Das ist auch das Versagen von CEO Marc Lüthi.
Publiziert: 10.01.2021 um 12:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 00:00 Uhr
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Ein Bild aus vergangenen Tagen: Die Mutzen und ihre Fans feiern den Meistertitel 2019.
Foto: Keystone
Angelo Rocchinotti

Sie ziehen mit vier Flaschen Jägermeister und dosenweise Bier los, lassen sich auf Oldtimern durch die Berner Altstadt chauffieren und prosten lässig der Menge zu. Doch als hätte Petrus das Unheil im Frühjahr 2019 kommen sehen, öffnet er noch vor der Ankunft der Berner Meisterhelden auf dem Bundesplatz seine Schleusen. Jetzt, 20 Monate später, herrscht in der Hauptstadt Katzenjammer.

«Bern ist noch das Mass aller Dinge», titelte BLICK damals. «Die grössten Herausforderungen stehen erst noch bevor.» Der Klub stand vor ­einem Umbruch, verlor Meister-Garant Leonardo Genoni und stiess bereits damals mit seinem Gastro-Geschäftsmodell an Grenzen. Neue, finanziell stärkere Klubs wie Lausanne und Zug preschten vor, während in Bern Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinanderklafften.

Umbruch voranzutreiben verpasst

Eine Saison lang wurde über langweiliges Hockey debattiert. Siege alleine genügten nicht mehr. Sie mussten möglichst spektakulär ausfallen. Ein 2:1 gegen die Lakers? Gähn! Plötzlich wurde das strukturierte und gut organisierte Spiel von Trainer Kari Jalonen (61) verteufelt. Erstaunen konnte das nicht, sprach doch selbst Präsident Beat Brechbühl ein Jahr zuvor von ­einer durchzogenen Saison, obwohl Bern mit 35 Siegen aus 50 Partien und elf Punkten Vorsprung die Quali gewann und erst im Halbfinal am späteren Meister ZSC scheiterte.

Aus Angst, nicht mehr zuvorderst mitmischen zu können, verpasste man es, den Umbruch voranzutreiben, verlängerte lieber noch einmal mit Graubärten wie Beat Gerber (38) oder Thomas Rüfenacht (35) und brachte sich schliesslich in die Situa­tion, es sich schlicht nicht leisten zu können, Calle Andersson (26), den Spieler mit dem schlechtesten Preis-Leistungs-Verhältnis der Liga, zu verlieren. Diesen Vorwurf muss sich Ex-Sportchef Alex Chatelain (42) gefallen lassen.

Dass man in der vergangenen Saison nach Genonis Abgang die Ausländerlizenz zunächst nicht für einen Torhüter opfern wollte, war hingegen nachvollziehbar. Dass man, wenn man sich für diesen Weg entscheidet, den Goalies Niklas Schlegel (26) und Pascal Caminada (34) nicht bereits nach wenigen Spielen das Vertrauen entzieht und ihnen einen Ausländer vor die Nase setzte, ebenfalls.

In Panik verfallen

Das «Experiment» hätte aufgehen können, hätte sich nach drei Meistertiteln in vier Jahren nicht eine gewisse Genügsamkeit breitgemacht. Den Rückstand, den Bern sich bis Saisonhälfte eingehandelt hatte, konnte man nicht mehr wettmachen. Hätte die Spielzeit jedoch mit der Ankunft von Goalie Tomi Karhunen (31) begonnen, Bern hätte sich mit 43 Punkten aus 27 Spielen und Rang 5 locker für die Playoffs qualifiziert.

Doch statt die Nerven zu behalten, verfiel der Klub in Panik und zerstörte, was ihn während Jahren erfolgreich machte. Anders als 2014, als man unter Sven Leuenberger (51) ebenfalls die Playoffs verpasste, dieser aber die Möglichkeit bekam, die richtigen Schlüsse zu ziehen und Charakterspieler wie Andrew Ebbett verpflichtete, servierte man Sportchef Chatelain ab. Und verzichtet auf dessen Know-how. Der Grund? «Wenn jeder Transfer per se scheisse ist, dann stimmt etwas nicht mehr», so die Begründung von CEO Marc Lüthi (59).

Als Chatelain im Herbst 2015 übernahm, waren viele Anhänger froh, war man den ungeliebten Vorgänger Leuenberger los. Doch je länger Chatelain im Amt war, desto häufiger und heftiger wurde auch er in Fan-Foren und Kommentarspalten kritisiert. «Eine Situation, die weder für uns noch für Alex gut ist», sagte ­Lüthi, der sämtliche Fan-Einträge liest und sich beeinflussen lässt, im Frühjahr. «Wir sind auf die Fans angewiesen», so Lüthi. Doch ob die Kommentare auf Social Media ein wahres Bild der Lage zeichnen und die Stimmung aller Fans wiedergeben? Fraglich.

Einmal Hü und einmal Hott

Dieses einmal Hü und einmal Hott zeigte sich nicht zuletzt im Fall von Trainer Kari Jalonen. Der Finne geriet 2019 im Playoff-Halbfinal unter Druck. Wäre der SCB – er lag in der Serie gegen Biel 0:2 zurück – gescheitert, hätte Jalonen mit grösster Wahrscheinlichkeit seine Zelte abbrechen müssen. Doch es kam anders.

Jalonen führte das Team zum Titel, wurde im Herbst mit einem neuen Vertrag belohnt, drei Monate später aber dennoch des Amtes enthoben. «Kari ist nicht das Problem», sagte Lüthi im Januar 2019. «Kari ist kein Krisenmanager», tönte es nach der Entlassung zwei Wochen später.

Diese Unberechenbarkeit führt dazu, dass Bern unterdessen Mühe hat, starke neue Spieler zu verpflichten. Dabei galt der Klub mit der grössten Stehrampe der Welt bis vor kurzem noch als erste Adresse im Schweizer Eishockey. Dass sich Lüthi immer wieder dazu hinreissen lässt, sich in sportliche Belange einzumischen, sorgt für Unruhe und führt zu Nachteilen auf dem Transfermarkt.

In sportlichen Fragen hat seit April 2019 Florence Schelling (31) das Sagen. Mit der Verpflichtung der ersten Sportchefin der Welt landete der SCB einen Coup. Gesucht hat sie den Job nicht. Sie wurde, nachdem Ex-Captain Martin Plüss (43) abgesagt hatte, angefragt. Und sagte zu.

Schelling taucht oft ab

Intern kommen früh Zweifel auf. Die ehemalige Weltklasse-Torhüterin kommuniziert mit dem Team wochenlang nur per Mail, ist telefonisch schwer erreichbar und bis heute oft abwesend. In Visp, dem Berner Partnerteam, wartete man mal zwei Wochen vergeblich auf eine Antwort. Spieler, die zwischen der National und der Swiss League hin- und herpendeln, erhalten kaum je ein Feedback.

Lüthi verfiel dem Irrglauben, eine Person ohne Erfahrung und Netzwerk könne auf einen Schlag alle Probleme lösen. Und das inmitten der Corona-Krise.

Den Vogel schoss der Klub mit der Verpflichtung Don Nachbaurs (61) ab. Ein Mann wie aus einer amerikanischen Sitcom. Es musste eine Billiglösung sein. Lars Leuenberger (45) stand zwar auf der Lohnliste, doch obwohl man es ihm einst versprochen hatte, wollte man den Meister-Coach von 2016 nun doch nicht mehr zum Cheftrainer befördern und liess ihn nach Biel ziehen.

Schelling selbst priorisierte zwar HCD-Assistenzcoach Johan Lundskog (36) – der Schwede dürfte im Hinblick auf die nächste Saison in der Pole Position stehen – und schlug Sam Hallam (Växjö) als dritten Kandidaten vor. Die Wahl aber fiel auf Nachbaur, weil bloss dieser ablösefrei verfügbar war und er einen 60 Fragen umfassenden Kriterienkatalog mit Bestnoten abschloss.

Respektloser Coach

Der Austrokanadier selbst mutmasste, er habe dank seines Wissens über das Schweizer Hockey bestanden und meinte: «Ich bin gut darin, Beziehungen aufzubauen. Ich mag die Spieler.» Doch das beruhte nicht auf Gegenseitigkeit. Schnell hiess es, der neue Mann sei respektlos, weise auch fachliche Defizite aus. «Monatelang fragte ich mich, was hier eigentlich los ist», sagt ein Akteur hinter vorgehaltener Hand.

Kaum in Bern, kanzelte Nachbaur vor versammelter Mannschaft seinen Assistenten Alex Reinhard ab. Die Spieler konnte er selbst beim Videostudium nicht auseinanderhalten. Als er Ted Brithéns Laufwege analysierte, meldete sich der Schwede zu Wort und wies darauf hin, dass der Spieler auf dem Bildschirm nicht er, sondern Simon Moser sei.

Und das alles, nachdem vier Jahre lang ein Mann das Sagen hatte, der einst mit bloss elf Stürmern nach Davos reiste, weil er fürchtete, das Team glaube, er nähme den Match nicht ernst, sollte er einen Junior einsetzen. Jalonen war ein Perfektionist, hinter allem steckte Kalkül. Er sprach mit dem Captain-Team oder vor versammelter Mannschaft, damit seine Botschaften nicht in verzerrter Form weitergegeben werden konnten.

Fragwürdige Personalentscheidungen

Während sich Jalonen, der die Leistungsträger bis zuletzt hinter sich wusste, die Zeit auf dem Golfplatz vertreibt, in seinem Sommerhaus in Luvia die Sauna neu einrichtet und Bilder nach Bern schickt, die ihn genüsslich beim Bier auf seinem Boot zeigen, verliert Nachbaur schon im August das Team. Sie fackle im Falle einer Krise nicht lange, sagt Schelling schon vor dem Saisonstart und verrät in den Vertragsverhandlungen einem Spieler, 2021 stünde ohnehin ein neuer Mann an der Bande.

Obwohl das Tischtuch zwischen Team und Coach zerschnitten ist, beginnt man die Saison mit Nachbaur, verliert acht der ersten zwölf Partien und steckt bereits wieder in der Klemme. Jetzt soll es der erst 33-jährige Junioren-Coach Mario Kogler richten. Er kann einem leidtun. In den letzten zwei Monaten konnte der SCB bloss noch sieben Meisterschaftsspiele bestreiten, befindet sich wegen Corona-Erkrankungen nun zum dritten Mal in Quarantäne.

Statt mit einer erfahrenen Crew Korrekturen einzuleiten und den Umbruch voranzutreiben, hat man mit fragwürdigen Personalentscheidungen alles über den Haufen geworfen und überall Baustellen geschaffen. Das ist auch das Versagen von CEO und SCB-Mitbesitzer Lüthi, der den Klub 1998 vor dem drohenden Konkurs gerettet und auf der Basis eines ausgeklügelten Geschäftsmodells zwei Jahrzehnte lang so erfolgreich machte.

Rettet Streit den SCB?

Dass es nun an allen Ecken und Enden brennt, ist auch Mark Streit (43) nicht entgangen, der im Mai gemeinsam mit Roman Josi (30) – er lässt sich durch seinen Vater Peter im Verwaltungsrat vertreten – als Aktionär eingestiegen ist und Kogler unterstützt.

Zunächst hält sich der Ex-NHL-Star zurück. Er sagt: «Ich wollte das Unternehmen erst kennenlernen und musste herausfinden, was mir Spass bereitet.» Trotzdem hat Streit stets an VR- und Geschäftsleitungssitzungen teilgenommen, ist in der Sportkommission und kann Lüthi auch mal die Stirn bieten. Er erkennt, was falschläuft, und sagt: «Ich lege Wert auf eine klare Rollenverteilung. Wenn jeder dem anderen reinredet, wird es schwierig.»

Es dürfte noch eine ganze Weile dauern, bis man sich auf dem Bundesplatz wieder zuprostet. Der SCB arbeitet derzeit an einer Strategie, um das sinkende Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Doch die beste Strategie hilft nichts, wenn man sie beim ersten Gegenwind wieder über Bord wirft.

National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
HC Davos
HC Davos
29
31
57
2
ZSC Lions
ZSC Lions
26
31
55
3
Lausanne HC
Lausanne HC
28
2
50
4
SC Bern
SC Bern
28
18
49
5
EHC Kloten
EHC Kloten
29
-5
47
6
EV Zug
EV Zug
28
19
46
7
EHC Biel
EHC Biel
28
4
40
8
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
28
-11
39
9
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
29
-6
39
10
SCL Tigers
SCL Tigers
27
1
38
11
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
26
1
36
12
HC Lugano
HC Lugano
27
-22
33
13
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
29
-20
33
14
HC Ajoie
HC Ajoie
28
-43
23
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