Langnau. Donnerstagnachmittag. Der Himmel zeigt sich trüb und wolkenverhangen. Hin und wieder kommt Regen auf. Das triste Herbstwetter drückt auf die ohnehin schon mässige Stimmung. Corona ist allgegenwärtig und bestimmt das Leben. Auch jenes der Hockey-Profis.
«Es vergeht kein Tag, ohne dass in der Kabine über Corona diskutiert wird», sagt Julian Schmutz. «In der Garderobe herrscht eine ganz andere Gruppendynamik. Man kommt, trägt Maske, trainiert und geht wieder. Gemeinsam unternimmt man kaum noch etwas. Und wenn mal einer hustet, fürchtet man bereits, die nächsten zehn Tage in Quarantäne verbringen zu müssen.»
Unfreiwilliger Hellseher Schmutz
Schmutz betont, er halte sich an die Massnahmen, treffe kaum Leute, gehe selten in Restaurants. «Ich will nicht derjenige sein, der das Virus in die Garderobe trägt. Bislang hatten wir keinen positiven Fall. Das hat auch mit Glück zu tun. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich das ändern wird.»
Als hätte es der Oberaargauer geahnt, wird keine 24 Stunden später ein Teamkollege positiv getestet. Jetzt befindet sich die Mannschaft bis und mit nächstem Samstag in Quarantäne. Die ganze Situation setzt dem 26-Jährigen zu.
Keine Scham fürs Weinen
«Die 60 Minuten auf dem Eis sind die einzigen am Tag, wo alles normal ist. Ich habe auch eine Familie, und diese Situation belastet mich sehr», sagte Schmutz vor zwei Wochen in einem Interview. Und verschwand mit Tränen in den Augen in der Kabine.
Das Echo war enorm. Fans befestigten im und um die Ilfishalle herum und selbst am Garagentor seiner Mietwohnung Spruchbänder. Die Botschaft? «A dire Site.» «Das tat extrem gut. Seither bin ich viel positiver gestimmt», sagt der Stürmer. «Ich schäme mich überhaupt nicht, habe so viele gute Reaktionen erhalten. Im Match danach bedankte sich ein Lakers-Spieler bei mir. Es heisst immer, wir seien extrem hart, könnten keine Emotionen zeigen. Doch das entspricht nicht der Wahrheit. Und ich bin froh, sieht man das jetzt.»
«Es geht auch um den Koch und den Materialwart»
Dem Stammtischgerede, wonach die Spieler ohnehin alle genug verdienen würden und sich deshalb keine Sorgen zu machen brauchen, entgegnet Schmutz unaufgeregt. «Uns geht es gut. Doch wir haben bereits auf viel Geld verzichtet.» Die Tigers stimmten einer Lohnreduktion von 15 Prozent zu. «Wenn einzelne Leute der Meinung sind, wir würden alle mindestens 500'000 Franken verdienen, entspricht das schlicht nicht der Realität. Insbesondere in Langnau nicht.» Ausserdem greife dies zu kurz. «Es geht nicht nur um uns. Es geht um den Materialwart, den Koch. So viele weitere Jobs sind betroffen.»
Schmutz stört die Denkweise. «Mir wurde gesagt, meine Frau könne ja etwas mehr arbeiten, falls es schlimmer würde.» Dabei sei der finanzielle Aspekt nur ein Punkt. «Natürlich brauche ich Geld. Aber wir haben das Glück und leben in der Schweiz. Uns wird geholfen, sollten alle Stricke reissen.» Dem Stürmer geht es um mehr.
«Als ich klein war und von einem Leben als Hockey-Spieler träumte, tat ich dies nicht des Geldes wegen. Es ist meine Leidenschaft. Dass mir diese Leidenschaft unverschuldet genommen werden könnte, macht mir Angst. Meine grösste Sorge ist, dass ich nicht mehr Hockey spielen kann. Dass man mir meinen Traum, für den ich so hart gearbeitet habe, wegnimmt. Dass ich plötzlich nur noch zu Hause rumsitze. Ich habe Angst, in ein mentales Loch zu fallen.»
«Auf uns wartet niemand»
Schmutz, der seit Jahren auf einen Mentaltrainer setzt und meditiert, hat zwei Kinder. Ilia Nino wird 4. Tochter Niva Maé wird 2. «Ilia Nino spielt den ganzen Tag Hockey. Könnte ich meine Leidenschaft nicht mehr ausüben, bräuchte ich Abstand vom Sport. Doch den hätte ich zu Hause nicht. Der mentale Aspekt macht mir Angst, nicht die finanzielle Situation oder Corona selbst. Denn wenn ich Spass habe, ausgeglichen und zufrieden bin, bin ich auch ein guter Vater.»
Ja, das Szenario sei realistisch, dass es den Sport in dieser Form nicht mehr gäbe. «Ich hätte auch nicht gedacht, dass wir uns heute mit Masken begegnen», entgegnet Schmutz. Auch Teamkollegen hätten solche oder ähnliche Gedanken. «Für einen Spieler, der 36 ist und weiss, was er nach seiner Karriere machen wird, ist der Druck anders als für einen 26-Jährigen, der zwei Kinder hat und weiterzuspielen gedenkt. Auf uns wartet niemand. Keiner kommt und sagt: Ah, du hast bei uns vor 10 oder 15 Jahren eine Lehre gemacht. Wir holen dich zurück.»
Vertrag läuft nächstes Jahr aus
Schmutz entschied sich einst für eine Ausbildung als Logistiker. Morgens um 6 Uhr ging er aus dem Haus. Abends um 10 Uhr nach dem Training kehrte er heim. Zu später Stunde bereitete ihm seine Mutter noch ein Abendessen zu. «Ich fand meine Passion nicht in diesem Job», sagt Schmutz, der eigentlich eine Detailhandelslehre in einem Hockey-Fachgeschäft absolvieren wollte. Nur liess sich diese Ausbildung nicht mit dem Sport in Einklang bringen. Schmutz ordnete alles seiner Leidenschaft, dem Hockey, unter. Doch nun steht seine Zukunft in den Sternen.
Schmutz’ Vertrag in Langnau läuft aus. «Für die Klubs geht es ums Überleben. Deshalb tut sich wenig. Verständlich. Was willst du einem Spieler für einen Lohn anbieten, wenn du noch nicht einmal das Budget kennst?»
Oma und Opa fiebern mit
Bis am nächsten Sonntag muss der Stürmer quarantänebedingt auf seine Leidenschaft verzichten. Dann darf der einstige SCB-Junior wieder aufs Eis. Bis mindestens am 1. Dezember soll der Meisterschaftsbetrieb vor leeren Rängen fortgesetzt werden. Dann wird die Liga die Lage neu beurteilen.
Das Hockey sei zwar im Vergleich mit letzter Saison, als die Stadien voll waren, eine andere Sportart geworden, sagt Schmutz. «Vor allem wenn es nicht läuft, ist es hart. Machst du etwas Gutes, herrscht Stille. Das ist bitter. Ein geiles Tor zu schiessen, machte im letzten Jahr mehr Spass. Und trotzdem bin ich froh, haben wir das noch. Ich bin froh, kann ich bei BLICK Sportartikel lesen. Auch meinen Grosseltern ist es enorm wichtig, dass sie die Spiele am Fernsehen schauen können. Es ist jedes Mal ein Highlight. Und so ergeht es bestimmt vielen Leuten.»
Ilia Nino werde ihm während Jahren von der Tribüne aus zuschauen können, sagte der 26-Jährige nach der Geburt seines Sohnes 2016 im BLICK. Bleibt zu hoffen, dass das Virus nicht alle Pläne, Wünsche und Träume zerstört.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | ZSC Lions | 29 | 34 | 61 | |
2 | Lausanne HC | 32 | 13 | 61 | |
3 | SC Bern | 32 | 21 | 58 | |
4 | HC Davos | 33 | 24 | 58 | |
5 | EHC Kloten | 33 | 0 | 57 | |
6 | EV Zug | 31 | 19 | 49 | |
7 | SCL Tigers | 31 | 3 | 45 | |
8 | EHC Biel | 31 | -1 | 42 | |
9 | HC Fribourg-Gottéron | 32 | -11 | 42 | |
10 | SC Rapperswil-Jona Lakers | 33 | -14 | 42 | |
11 | HC Ambri-Piotta | 32 | -21 | 41 | |
12 | Genève-Servette HC | 29 | -1 | 39 | |
13 | HC Lugano | 31 | -20 | 39 | |
14 | HC Ajoie | 31 | -46 | 26 |