BLICK: Timo Meier, wo erwische ich Sie gerade?
Timo Meier: Es ist sieben Uhr morgens, ich bin soeben aufgestanden und in meinem Hotelzimmer in Arizona. Heute stehen Bluttest an und davor dürfen wir nichts essen. Darum konnte ich sogar etwas länger schlafen.
Wie war Ihre Ein- und Anreise? Das würde man unter normalen Umständen ja nicht fragen …
Der Flug und die Reise waren etwas umständlicher als sonst. Zum Glück war Nino Niederreiter auf dem gleichen Flug nach Washington, mit einem Kumpel verging die Zeit etwas schneller. Danach trennten sich unsere Wege. Hier in Arizona musste ich nun zuerst eine Woche in Quarantäne und mich täglich testen lassen. Man gewöhnt sich dran, für mich sind diese Tests mit dem Stäbchen in der Nase nicht so schlimm wie für andere.
Wie wird das Trainingscamp ablaufen? In einer Bubble wie die NHL-Playoffs im Frühjahr?
Jein, wir können uns frei bewegen in der Hotelanlage. Und es ist nicht so, dass wir nicht raus dürften. Aber wir sollten die Kontakte nach draussen möglichst einschränken, also nicht unbedingt in Restaurants und Geschäfte gehen.
Und in Scottsdale, Arizona, ist die Mannschaft, weil im kalifornischen Bezirk, in dem San Jose liegt, keine Gruppentrainings erlaubt sind?
Genau, Sport allgemein ist dort noch nicht zugelassen. Darum befindet sich zum Beispiel auch das Football-Team 49ers hier in Arizona.
Sie haben mitbekommen, wieviele positive Fälle es in den NL- und SL-Teams in den letzten Monaten gegeben hat. Befürchten Sie drüben Ähnliches?
Nein, ich denke, die Kontrollen hier sind noch etwas strenger. Die Spieler in der Schweiz isolierten sich selbst, hatten aber die Möglichkeit, in Restaurants zu gehen. Oder leben mit ihren Familien zusammen und haben so automatisch mehr Kontakte. Hier haben die Spieler ihre Familien nun nicht dabei und somit sind nur schon die sozialen Kontakte weniger. Und mit den täglichen Tests hat man schnell Gewissheit. Zudem sind die Schutzmassnahmen sehr strikt. Wir duschen zum Beispiel alle im Hotel…
… Sie dürfen nicht duschen in der Garderobe?
Stand jetzt nicht, nein. Vor der Fahrt mit dem Bus zur Eishalle werden wir getestet. Maskenpflicht herrscht überall, erst wenn wir aufs Eis gehen, können wir sie abziehen. Sobald wir vom Eis gehen, müssen wir sie wieder anziehen. In der Garderobe haben wir Trennwände zwischen den Plätzen. Auf die Hygienemassnahmen wird extrem grossen Wert gelegt. Für unsere Materialwarte und Betreuer bedeutet dies enorm viel Arbeit. Darum hoffe ich, dass alles gut geht und alle gesund bleiben.
Silvester im Trainingscamp, wie muss man sich das vorstellen?
Sicher nicht mit einer grossen Party (lacht). Denn am nächsten Tag steht wieder Training an. Und mit diesem engen Zeitplan bis zum Saisonstart ist jeder Tag wichtig.
Vor zehn Monaten hatten Sie Ihren letzten Ernstkampf. Wie fühlt sich das an?
Komisch. Auch weil ich schon so lange nicht mehr mit einer Mannschaft zusammen war. Im Sommer habe ich einige Male mit den SCRJ Lakers auf dem Eis mittrainiert und war mal mit dem 1.-Liga-Team von Herisau auf dem Eis. Aber sonst hatte ich über die ganze Zeit kaum Teamtrainings. Diese zwei Wochen hier müssen wir deshalb gut ausnützen und Gas geben, um möglichst schnell wieder auf unseren Game Speed zu kommen.
Haben Sie zum Trainingsstart einen Vorteil, weil Sie in der Schweiz aufs Eis konnten?
Die meisten von uns waren regelmässig auf dem Eis, wir sind da auf einem ähnlichen Level. Es sind die Spielsituationen, die man vermisst und in denen man besser wird. Einige von uns konnten in den letzten Monaten spielen, zum Beispiel in Schweden. Diejenigen haben am Anfang vielleicht einen leichten Vorteil.
Hätten Sie eigentlich gerne ein paar NL-Partien gespielt?
Natürlich hätte ich gerne irgendwo gespielt. Aber die Sharks-Organisation hat das so entschieden, das war für mich verständlich. Ich habe das Hockeyspielen vermisst und bin dafür jetzt umso hungriger.
Ein kurzer Rückblick noch: Sie wurden nach der missglückten letzten Saison zum MvP der Sharks gewählt – ein Trost über die verpassten Playoffs?
Nein, überhaupt nicht. Die letzte Saison war enttäuschend. Aus mannschaftlicher Sicht, dass wir die Playoffs verpasst haben. Und ich persönlich weiss, dass noch einiges mehr möglich ist und meine Leistung nicht so war, wie ich sie mir vorgestellt habe. In der Zwischenzeit hatte jeder genug Zeit, an sich zu arbeiten. Der Hunger, wieder Vollgas zu geben und die Freude, wieder zusammen sein zu können, ist gross.
Sie halten mit 66 Punkten den Schweizer NHL-Punkterekord, erzielten letzte Saison Ihren ersten NHL-Hattrick und hatten durchschnittlich am meisten Eiszeit Ihrer Karriere. Interessieren Sie solche Statistiken?
Wenn ich ehrlich bin nicht. Wenn dann interessiert mich die Teamstatistik. Natürlich ist es schön, wenn man Tore schiesst. Aber ich jage keine Rekorde, sondern will dem Team helfen können. Das ist mein erster Gedanke, wenn ich in ein Spiel gehe. Die Mannschaft besser zu machen.
Dass Sie letzte Saison 155 Checks machten, wissen Sie?
(lacht) Nein, das höre ich zum ersten Mal.
Sind das viel oder wenig?
Da müsste ich eine Vergleichszahl haben.
Kein Sharks-Stürmer hat mehr Checks gesetzt. Überrascht Sie das jetzt?
Ja, etwas schon. Ich versuche schon immer auch, physisch zu spielen. Aber ich denke nicht vor jedem Spiel, so und so viele Checks muss ich heute machen. Ein Check zur richtigen Zeit ist Teil meines Spiels.
Und dass alle Ihre Lohnsumme, 24 Millionen Dollar in vier Jahren, nachschauen können, stört Sie aber auch nicht?
(schmunzelt) Es ist einfach so in der NHL. Ich hätte es vielleicht schon lieber, wenn man das nicht könnte. Aber ich sehe das Positive. Diese Transparenz macht die Vertragsverhandlungen einfacher. So weiss man, welcher Spieler welchen Kalibers wieviel verdient.
Können Sie sich vorstellen, wie Ihre Kollegen Josi und Streit beim SCB, in einen Sportklub zu investieren? Den FC St. Gallen zum Beispiel?
Dafür bin ich vielleicht noch etwas zu jung (lacht). Aber ich liebe meinen Sport und bin leidenschaftlicher Fan des FC St. Gallen. Mal schauen, was in der Zukunft mal sein wird. Jetzt ist mein Fokus, alles in meine Karriere zu investieren und noch eine lange NHL-Karriere zu haben.
Sie stehen vor der zweiten Saison Ihres grossen Vertrages. Ihre Rolle im Team wird weiter wachsen?
Das hoffe ich natürlich. Ich möchte einen Schritt vorwärts machen. Wir hatten im Team einige gewichtige Abgänge, mit Joe Thornton ging ein grosser Leader. Das gibt jüngeren Spielern nun Raum, mehr von diesen Führungsqualitäten zu übernehmen und die Lücke zu füllen. Das sehe ich als meine Herausforderung. Das fängt bereits jetzt im Trainingslager an. Obwohl ich selbst noch jung bin, kann ich anderen noch jüngeren Spielern helfen und so den Teamgeist mit formen.
Sie scheuen sich auch nicht vor mehr Verantwortung?
Nein, überhaupt nicht. Ich will Verantwortung. Auf die Eiszeit bezogen, desto mehr ich spielen kann, umso glücklicher bin ich. Und neben dem Eis, dass ich in der Garderobe auch mal das Wort ergreife, so den Jungen helfe und auch schaue, dass jeder sich wohlfühlt und seine beste Leistung bringen kann.
Werden Sie den Anblick des bärtigen Joe Thornton vermissen?
Zum Glück kann sich der Bart von Brent Burns auch sehen lassen (lacht). Aber die grosse Persönlichkeit von Joe werden wir sicher vermissen.
Was bedeutet der zweiwöchige Roadtrip zum Saisonstart (ab 13. Januar) für Ihre Mannschaft?
Das hatten wir schon in früheren Jahren. In unserer Situation spielt es uns in die Karten, weil wir ohnehin nicht nach San Jose können. Hier haben wir nun noch mehr Zeit, unseren Teamgeist bilden zu können. Das ist wichtig, um gut in die Saison zu starten. Wenn wir den ersten Roadtrip erfolgreich meistern können, dann gehen wir mit einem guten Gefühl in die Saison. Es ist unser Ziel, auch auswärts stark zu sein.