Auf einen Blick
- Viele grosse Ligen setzen auf einheimische Trainer, in der National League geschäften derzeit vier Schweizer Coaches
- Langjährige Ausnahme: Arno Del Curto holte mit dem HC Davos zwischen 1996 und 2018 sechs Meistertitel
- Wenige Schweizer Trainer: Nati-Coach Zahner vermutet Kulturunterschiede
Was zeichnet die Topnationen im internationalen Eishockey aus? Die Anzahl der Weltmeistertitel, Olympiasiege und Medaillen? Absolut. Dazu zählt allerdings auch das Selbstverständnis, die Aufsicht über ihre Profiklubs praktisch ausschliesslich in die Hände einheimischer Trainer zu legen.
Ob in den USA, Schweden, Finnland oder Tschechien. Ausländer sind durchs Band die grosse Ausnahme. Und wir Schweizer? Bleiben wir auf dem Teppich: Mit zwei Silbermedaillen in sechs Jahren ist man noch keine Topnation. Bezüglich der Trainer-Dichte bei den Profiklubs ist der Unterschied zu den Grossen noch viel deutlicher, selbst wenn Swiss Ice Hockey seit 2016 auf «Swissness» auf dem Cheftrainerposten setzt. Und obwohl die Quote der Schweizer bei den Profiklubs in den letzten Jahren angestiegen ist – im Tagesgeschäft der National League sind einheimische Trainer immer noch eine Minderheit.
Nach der Entlassung von Luca Gianinazzi (32) in Lugano setzen aktuell noch vier von 14 Klubs auf einen Schweizer: Ambri (Luca Cereda, 43), die SCL Tigers (Thierry Paterlini, 49), Gottéron (Lars Leuenberger, 49) und die ZSC Lions (Marco Bayer, 52). Leuenberger (übernahm am 22. Dezember von Patrick Emond) und Bayer (am 30. Dezember von Marc Crawford) ersetzten die zuvor gefeuerten Schweizer Christian Wohlwend (48, Ajoie) und Jan Cadieux (44, Servette). Michael Liniger (45) wird nächste Saison zudem die Nachfolge von Dan Tangnes (45) beim EV Zug antreten.
Del Curto – und sonst nur Entwicklungshelfer
Lange Zeit gab es allerdings nur einen, der sich der Dominanz der ausländischen Trainer in den Weg stellte: Arno Del Curto. Der heute 68-jährige Engadiner führte den HC Davos zwischen 1996 und 2018 zu sechs Meistertiteln. Andere Schweizer wurden in dieser Phase höchstens anekdotisch und für kurze Zeit berücksichtigt, in der höchsten Spielklasse setzte man bedingungslos auf Ausländer. Entwicklungshelfer in einer Entwicklungsnation.
Hat jetzt ein grundsätzlicher Denkwechsel stattgefunden? Oder ist das nur eine Anomalie? Wir fragen bei Peter Zahner (63) nach. Der Aargauer ist seit 2007 Geschäftsführer des Branchenriesen und aktuellen Meisters Zürich und verfügt über reichhaltige Erfahrung und ein breites Spektrum an Fachwissen. Zahner war Spieler, Assistenztrainer, Trainer und technischer Direktor, hat Einsitz in diversen Gremien des Leistungssports und besitzt neben Fachkompetenz auch viel Gespür für das Wechselspiel zwischen Sport und Politik.
«Ich bin nicht sicher, ob die aktuelle Anzahl von Schweizer Trainern in der National League tatsächlich eine Tendenz darstellt», sagt Zahner. «Einige Klubs haben diesen Weg bewusst gewählt, klar, bei anderen ist es vielleicht eher die Konstellation, die gerade passt.» Und die ZSC Lions mit Bayer? «Für uns machte es in dieser speziellen Situation Sinn, die interne Lösung zu wählen.» Hat Bayer Aussichten, den Job auch langfristig zu behalten? «Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Vom Erfolg, klar, aber nicht allein. Wenn das Gesamtbild stimmt, die Mannschaft auf den Trainer anspricht, kann das genauso wichtig sein wie die Frage, ob man das letzte Spiel der Saison gewinnt oder verliert.»
Was machen die Schweden anders?
Was unterscheidet denn die Schweiz beispielsweise von Schweden, wenn es um die Förderung der einheimischen Trainer geht? Wir befragen Nati-Coach Patrick Fischer (49) dazu: «In Schweden gibt es einen natürlichen Zyklus, die Coaches gehen nach der Karriere als Trainer im Profibereich zum Nachwuchs. Das erfordert eine grosse Anzahl an Trainern, aber auch Anreize. Wer wird schon Trainer, wenn die Aussicht fehlt, dereinst auch mal mit Profis arbeiten zu können?»
Viel mehr Schweizer Trainer beim Fussball
Profi werden – oder nicht? Dabei dürften auch kulturelle Besonderheiten eine Rolle spielen. In den Eishockey-Topnationen ist die Bereitschaft, bedingungslos auf den Sport zu setzen, um einiges grösser als in der Schweiz, und das nicht erst auf der Stufe der Trainer. Peter Zahner dazu: «Als ich Assistenztrainer beim EHC Kloten war, hat mir der damalige Präsident Jürg Ochsner den Job als Headcoach angeboten. Ich habe darauf verzichtet und einen Job beim Verband angenommen.» Warum? «Als junger Familienvater war mir die Sicherheit damals wichtiger.» Für Schweizer Trainer gäbe es zudem nur einen Markt, gibt Zahner zu bedenken. «Den Schweizer Markt. Beim Fussball zum Beispiel ist schon das Angebot an Trainern viel grösser, wird da eine Stelle frei, fallen einem bestimmt ungefähr 15 Namen von Schweizer Trainern ein, die als Nachfolger infrage kommen. Kennen Sie so viele Schweizer Eishockey-Trainer?»
Betrachtet man die Anzahl der Schweizer Trainer in der National League vor diesem Hintergrund, sind vier vielleicht gar nicht mal wenig. Besonders dann, wenn man weiter nach unten schaut: In der Swiss League, die in einer sportlich idealen Welt auch bezüglich Trainerförderung den Nährboden für die National League bilden würde, vertrauen gerade mal drei von aktuell zehn Klubs auf Schweizer Cheftrainer: Winterthur mit Fredy Rothen, Chur mit den Gebrüdern Jan und Reto von Arx sowie Nicola Pini in Bellinzona.
Wann wird aus der Schweiz bezüglich Trainer eine Top-Nation, Patrick Fischer? Der Nati-Coach grübelt. «Das wird wohl noch 15 bis 20 Jahre dauern.»