Ignazio Cassis (61) hat es geschafft. Am Donnerstag gaben die Vereinten Nationen grünes Licht für eine Schweizer Mitgliedschaft im Uno-Sicherheitsrat. Nach dem Biden-Putin-Gipfel in Genf kann der Aussenminister wieder einmal einen politischen Erfolg feiern. Der lässt die Dauerkritik an ihm, die wahlweise von links, von rechts oder aus den eigenen Reihen ertönt, für einen Moment verblassen.
Während die Befürworter des Abenteuers jubeln, herrscht hinter den Kulissen Nervosität. Denn die Schweizer Diplomaten betreten Neuland, wenn sie am 1. Januar 2023 für zwei Jahre im mächtigen Gremium Einsitz nehmen werden. Deshalb führten Cassis’ Leute jüngst zahlreiche Gespräche mit Kollegen aus Staaten wie Irland und Norwegen über deren Erfahrung aus dem Innern des Organs.
Zwei Schweizer EDA-Vertreter nennen gegenüber SonntagsBlick vor allem zwei Fallstricke, die sich ergeben haben. Erstens sind da die Druckversuche.
Druck von Gleichgesinnten
Die Delegation wird sich vom ersten Tag an wohl gegen massive Einflussnahmen durch andere Sicherheitsratsmitglieder zur Wehr setzen müssen. Von den fünf Vetomächten im Gremium sind dies offenbar nicht primär China und Russland, sondern die drei «like-minded states», die Gleichgesinnten: die USA, Grossbritannien und Frankreich.
Fest steht, dass Missionsleiterin Pascale Baeriswyl (54) und ihr 25-köpfiges Team ständig zu Positionsbezügen gezwungen sein werden. Der Sicherheitsrat hält vor den Augen der Welt jährlich rund 800 Sitzungen ab – zwei bis drei am Tag –, von denen 150 im grossen Saal mit der berühmten Hufeisen-Formation stattfinden. Zur Sache geht es, wenn über Resolutionen abgestimmt wird, was pro Jahr rund fünfzig bis siebzig Mal passiert. Das sind völkerrechtlich bindende Beschlüsse, die garantiert immer irgendwo auf dem Globus Protest auslösen.
Die andere grosse Herausforderung ist das Verhältnis zwischen den Abgesandten in New York und ihrer Regierung. Von den Norwegern weiss das EDA, dass diese sehr autonom agierten und nur in höchst seltenen Fällen eine Divergenz mit Oslo ausbügeln mussten.
Schweiz nehme bereits ständig Stellung
Cassis hingegen scheint bei seiner Staatssekretärin und ihren Mitarbeitern auf Nummer sicher gehen zu wollen: Seine Verwaltung hat ein Ampelsystem entwickelt, das die Zusammenarbeit einfach regeln soll.
Stufe Grün betrifft unproblematische Entscheide grundsätzlicher Natur, die die Delegation selber treffen kann. Stufe Orange beinhaltet Geschäfte, bei denen die «New Yorker» das Okay aus Bern benötigen. Stufe Rot sind die heiklen Angelegenheiten, bei denen der Gesamtbundesrat das Ruder übernimmt. Denkbar ist ein Kriegsausbruch wie am 24. Februar in der Ukraine.
Kommentar zum Thema
Nervosität? Neuland? Flavio Milan, Chef Uno-Koordination im Aussendepartement, stellt die Situation auf Anfrage entspannter dar: «Der Mechanismus funktioniert grundsätzlich nicht anders als in anderen politischen Organen der Uno wie in der Generalversammlung und im Menschenrechtsrat, dort ist der Prozess seit Jahren gut eingespielt.» Überdies nehme die Schweiz bereits als Nichtmitglied des Sicherheitsrats ständig Stellung. «Die Positionen der Schweiz sind allgemein bekannt», sagt Milan, so gesehen sei das «nichts grundsätzlich Neues».
«Bei allen Geschäften eine Instruktion aus Bern»
Bislang galt zwischen der Schweiz und ihrem Uno-Aussenposten das Prinzip, dass vor jedem Entscheid eine sogenannte Instruktionsanfrage nach Bern übermittelt wird. Dort werden alle zuständigen Stellen aus der Verwaltung einbezogen, ehe die Mission in New York aus der Bundesstadt ihre Instruktion erhält.
Dieses Regime gilt laut Milan auch für die Zeit im Sicherheitsrat. «Die Delegation in New York wird nie völlig losgelöst agieren», betont er. «Es erfolgt bei allen Geschäften eine Instruktion aus Bern.»
Bezüglich Ampelsystem weist er auf einen Beschluss vom November hin, als der Bundesrat definiert hat, in welchen Fällen er als Gesamtgremium das Ruder übernimmt. Das soll in drei Situationen passieren: Wenn sich die Departemente uneinig sind, wenn es um Weichenstellungen grosser Tragweite geht wie bei einer militärischen Intervention und wenn ein Thema innenpolitisch von grosser Relevanz ist.
Bleibt die Frage, wie Cassis jeweils die Manöver seiner Leute in New York vor dem Parlament im Bundeshaus vertreten wird. Die hitzige Neutralitätsdebatte rund um die Rüstungslieferungen für die Ukraine könnte erst der Anfang gewesen zu sein.