Herr Bundesrat, alles wird teurer. Die Inflation liegt in der Schweiz bei 2,9, in Deutschland bei fast acht Prozent. Was tun Sie, um die Preise wieder in den Griff zu bekommen?
Guy Parmelin: Global betrachtet steigt die Inflation, insbesondere weil die Energiepreise steigen. Diese Kosten sind für die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern kleiner. Aber wir müssen die Entwicklung genau beobachten. Die Nationalbank hat Instrumente, um die Inflation zu dämpfen.
Ein schwacher Trost.
Der Bund hat nur einen beschränkten Einfluss auf die Energiepreise. Was wir alle machen können, ist, sparsam mit der Energie umzugehen. Da ist die Schweiz heute bereits gut unterwegs. Unsere Industrie ist schon jetzt sehr effizient.
Die Schweizer Bevölkerung muss das jetzt also einfach aushalten?
Die beste Lösung wäre natürlich, wenn dieser Krieg aufhört! Aber es ist durchaus möglich, dass mit den neuen Sanktionen die Energiepreise nochmals steigen. Man kann versuchen, die Energieversorgung zu diversifizieren. Aber eine fixfertige Lösung hat derzeit niemand in Europa.
Ein Ölembargo der EU gegen Russland ist endlich auf dem Weg, beim Gas tut sie sich aber noch viel schwerer. Muss Europa denn im Energiebereich nicht zügig harte Sanktionen ergreifen, um die russische Wirtschaft zu treffen?
Die Frage lautet doch: Sind die Sanktionen wirksam? Das hängt stark davon ab, ob sie lückenlos umgesetzt und zusammen mit anderen politischen, diplomatischen oder rechtlichen Instrumenten eingesetzt werden. Wenn einzelne Staaten eigenständige Sanktionen ergreifen, hat dies oft eine weniger grosse Wirkung im Vergleich zu international breit abgestützten Sanktionen. Wenn das Ziel der Sanktionen gewesen wäre, dass der Krieg in der Ukraine möglichst rasch beendet wird, stelle ich fest, dass dieses Ziel bis jetzt nicht erreicht ist.
Sie denken nicht, dass diese Massnahmen wirken?
Das ist schwer zu beantworten. Wenn Russland weniger Öl in den Westen exportiert, aber einen Teil dieser Menge zu höheren Preisen in andere Länder verkauft, ist das Resultat für Moskau dasselbe.
Halten Sie die Sanktionen nun für richtig oder nicht?
Die Schweiz wollte, ja musste reagieren. Diese krasse Völkerrechtsverletzung, dieser Krieg ist absolut inakzeptabel. Wenn man aber Sanktionen ergreift, sollten sie breit abgestützt und auch wirksam sein. Die USA und Europa haben sie beschlossen, die Schweiz ist mit der EU mitgezogen, um ihren Beitrag zu leisten.
Wenn die Energiepreise weiter steigen, muss der Bund dann für gewisse Branchen in der Schweiz Stützungsmassnahmen ins Auge fassen, so wie während der Pandemie?
Wir sind nicht an diesem Punkt. Solche Schritte müssen gezielt erfolgen. Es kann sein, dass dies nötig sein wird, aber jetzt ist noch nicht der richtige Moment dafür.
Seit drei Jahren steht Bundesrat Guy Parmelin (62) an der Spitze des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Davor leitete er drei Jahre lang das Verteidigungsdepartement. Parmelin wuchs auf einem Bauernhof in Bursins VD auf, nach der Matur wurde er Landwirt und Winzer. Von 1993 bis 2003 sass er für die SVP im Waadtländer Kantonsparlament, anschliessend politisierte Parmelin bis zu seiner Wahl in die Landesregierung im Nationalrat.
Seit drei Jahren steht Bundesrat Guy Parmelin (62) an der Spitze des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Davor leitete er drei Jahre lang das Verteidigungsdepartement. Parmelin wuchs auf einem Bauernhof in Bursins VD auf, nach der Matur wurde er Landwirt und Winzer. Von 1993 bis 2003 sass er für die SVP im Waadtländer Kantonsparlament, anschliessend politisierte Parmelin bis zu seiner Wahl in die Landesregierung im Nationalrat.
Haushalte mit kleineren Einkommen trifft die Teuerung heute bereits heftig.
Ja, der Bundesrat sieht die Problematik. Jetzt müssen die Sozialpartner über Lohnerhöhungen verhandeln. Diesen Gesprächen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften soll der Staat nicht vorgreifen. Der Bund kann aber gegebenenfalls zum Beispiel bei den Ergänzungsleistungen oder anderen Leistungen für Haushalte mit kleinerem Einkommen Korrekturen vornehmen.
Die Ukraine sei die Kornkammer Europas, heisst es oft. Jetzt blockiert Putins Krieg den Export von Lebensmitteln. Muss die Schweizer Landwirtschaft ihre Produktion steigern?
Wir importieren 45 Prozent unseres Essens. Milch produzieren wir genug, beim Sonnenblumenöl nur ein Viertel des Verbrauchs, beim Fleisch rund 80 Prozent. Wir kaufen nicht besonders viel aus Russland oder der Ukraine, die Versorgung der Schweiz mit Nahrungsmitteln ist derzeit gesichert. Aber indirekt sind wir sicher betroffen. Der Krieg treibt gerade auf dem Getreidemarkt die Preise in die Höhe.
Das trifft aber andere Staaten härter als die Schweiz?
Ja, namentlich Länder in Nordafrika und im Nahen Osten. Ernährungskrisen können diese Regionen destabilisieren, neue Konflikte und Flüchtlingswellen auslösen. Die globale Unsicherheit betrifft uns alle.
Das Welternährungsprogramm der Uno warnte schon vor dem Kriegsausbruch vor einem extrem schwierigen Jahr mit klimabedingten Ernteausfällen in China und Indien. Müssen wir uns auf solche Mangellagen nicht besser einstellen?
Natürlich! Aber Sie können nicht von heute auf morgen alles umstellen. Sie können zum Beispiel mehr Sonnenblumen anbauen, aber die nützen Ihnen wenig, wenn die Ölpressen fehlen. Erfreulicherweise wird 2023 ein neues Presswerk in Betrieb genommen.
Es geht ja nicht bloss um Sonnenblumenöl.
Einverstanden, aber wir sind mit den Pflichtlagern gut vorbereitet. Bereits vor der Krise hat der Bundesrat entschieden, ein Pflichtlager für Rapssaatgut aufzubauen. Nehmen wir an, die Schweiz will einen höheren Selbstversorgungsgrad, dass also mehr Kalorien in unserem Land produziert werden. Das ginge, wenn die Bauern zum Beispiel mehr Zuckerrüben anbauen. Aber weder Sie noch ich, noch die anderen Konsumenten würden ein Mehrfaches an Zucker essen wollen.
Aber man könnte mehr pflanzliche Nahrung anbauen und weniger Futter für die Fleischproduktion.
Auch das müssten die Konsumenten erst einmal wollen. Ansonsten müssten wir mehr Fleisch importieren und Überschüsse an pflanzlichen Produkten könnten drohen. Kommt hinzu, dass die Schweiz als Alpenland besonders geeignet ist für die tierische Produktion. Unsere Landwirtschaft ist effizient: Sie stellt her, was die Menschen essen wollen. Was sie nicht produzieren kann, importieren wir. Und das wird insgesamt nun teurer.
Werden Lebensmittel in Zukunft grundsätzlich mehr Geld kosten?
Ja, wahrscheinlich. Nicht nur die Lebensmittel, auch deren Verpackung wird teurer werden. Darum haben wir im April eine Kampagne gegen Foodwaste lanciert. Wir alle müssen dem Essen mehr Sorge tragen.
Halten Sie sich persönlich daran?
Meine Mutter hat mir immer gesagt, dass ich so viel essen dürfe, wie ich möchte. Aber was auf dem Teller ist, muss weg. Ich passe auf. Und esse nicht immer das Gleiche. Es gibt ja immer diese Polemik mit dem Fleisch …
Na ja, beim Fleisch stellt sich schon die eine oder andere Frage.
Es braucht nicht dreimal Steak am Tag oder Aufschnitt von morgens bis abends. Ich mag das gerne, aber zu viel ist nicht gut für die Gesundheit.
Auch global wäre die Versorgungslage besser, wenn die Menschen weniger Fleisch essen würden. Gerade in Ländern wie der Schweiz, wo sehr viel Fleisch gegessen wird.
Im internationalen Vergleich relativiert sich das. China isst immer mehr Fleisch und wird das kaum ändern, nur weil wir es gerne möchten. Der weltweite Fleischverbrauch steigt und wird weiter steigen.
Das ist immer dieselbe bequeme Argumentation, genau wie beim Klimawandel. Nach dieser Logik müssen wir in der Schweiz nie irgendetwas ändern.
Nein, das meine ich eben nicht. Man kann die Leute informieren. Was man sicher nicht kann, ist, ihnen zu verbieten, Fleisch zu essen. Das können vielleicht die Grünen in Genf mit ihren Politikern machen...
...die jetzt öffentlich kein Fleisch mehr essen dürfen. Bei der SVP ist es umgekehrt: kein Auftritt ohne Bratwurst.
Ich esse nicht jeden Tag Wurst (lacht). Meine Frau kontrolliert mich. Im Ernst, es ist doch einfach: Jeden Abend Entrecôte ist kein Vergnügen, und Sie essen ja wohl kaum jeden Tag Fondue. Ein Spargelrisotto ist doch auch gut! Nur muss das jeder für sich entscheiden. Ich sage sicher niemandem, wie viel oder was er essen soll.
Ihr Staatssekretariat für Wirtschaft, das Seco, steht derzeit unter besonderer Aufmerksamkeit, weil es die Sanktionen gegen Russland umsetzen muss. Der «Tages-Anzeiger» hat enthüllt, dass ein sanktionierter russischer Oligarch seinen Konzern an seine Frau überschrieben hat und das Seco dieses durchsichtige Manöver sogar noch akzeptiert hatte. Wehren Sie sich gegen die Sanktionen?
Sicher nicht. Das Seco wendet das Gesetz an, nichts anderes.
Es kann doch nicht sein, dass der Westen Oligarchen sanktioniert und die dann so einfach davonkommen.
Stopp, da bin ich nicht einverstanden. Wir sind ein Rechtsstaat. Wir haben ein Gesetz. Dies gibt uns vor, was wir machen dürfen und was nicht. Wir übernehmen die Sanktionen der EU und setzen sie um. Ich stelle fest: Die EU hat zuerst nur Herrn Melnitschenko sanktioniert. Erst jetzt hat sie auch seine Frau auf die Liste gesetzt. Und ganz interessant: Die USA haben Herrn und Frau Melnitschenko bis heute nicht sanktioniert. Die Firma, von der wir sprechen, Eurochem, ist ebenfalls nirgends sanktioniert. Sie ist einer der wichtigsten Düngerproduzenten der Welt. Dünger ist für die Landwirtschaft und damit auch für unsere Ernährung zentral, besonders auch in den USA und in armen Ländern.
Es ging schon schleppend los mit der Umsetzung der Sanktionen. Darum will das Parlament diesen Vorgang ja auch untersuchen.
Es ist ganz normal, dass das Parlament hier kontrolliert. Wir müssen uns bei der Umsetzung der Sanktionen nicht schämen. Die EU bestätigt uns, dass die Schweiz in diesem Bereich sehr gut arbeitet.
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Hat also die Schweiz so gar nicht profitiert, dass es sich diese Herrschaften seit Jahrzehnten hier gemütlich machen?
Von diesen Personen gibt es in anderen Ländern viel mehr als in der Schweiz. Ein paar sind hier, das ist so, darum sind gewisse Vermögen gesperrt.
Das Seco prüft auch die Exporte von Kriegsmaterial. Diese Woche wurde bekannt, dass der Bund Dänemark die Weitergabe von Schützenpanzern an die Ukraine verbietet. Zuvor wurden Munitionslieferungen für deutsche Flugabwehrpanzer untersagt, die ebenfalls für die ukrainische Armee bestimmt waren. Gibt es wirklich keine Möglichkeit, dass die Schweiz einer befreundeten Demokratie, die angegriffen wird, Waffen oder Munition schicken kann?
Aktuell, mit dem Neutralitätsrecht, mit dem Kriegsmaterialgesetz, welches das Parlament noch verschärft hat, hat der Bundesrat keine Möglichkeit. Das haben wir am Freitag diskutiert. Wir haben diese Flexibilität nicht mehr. Auch weil eine Mehrheit im Parlament das nicht wollte. Darunter viele, die den Bundesrat jetzt lautstark kritisieren. Und selbst wenn wir diese Flexibilität heute hätten, müssten wir als neutraler Staat beide Kriegsparteien gleich behandeln. Russland könnte dann dieselben Waffen in der Schweiz bestellen.
Aber wenn wir das Material nach Deutschland schicken und die deutsche Bundeswehr schickt es weiter in die Ukraine? Das muss doch gehen, und sei es per Notrecht.
Das Notrecht ist nicht für diese Situation gemacht. Bei der Diskussion um die Munition für den deutschen Gepard-Panzer wird die rechtliche Lage der Schweiz infrage gestellt. Diese Munition kann man auch in anderen Ländern produzieren, auch in Deutschland. Die Schweiz kann aber nicht liefern, das würde das Neutralitätsrecht verletzen.