So kämpft Bundesrätin Sommaruga an der Unwetter-Front
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«Es ist mir ein Anliegen»:So kämpft Bundesrätin Sommaruga an der Unwetter-Front

Zwei Tage mit Umweltministerin Sommaruga im Unwetter
Raus aus den Pumps, rein in die Gummistiefel

Zwei bange Tage lang war SonntagsBlick mit Simonetta Sommaruga im Notfallmodus unterwegs.
Publiziert: 18.07.2021 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 18.07.2021 um 10:12 Uhr
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Nicht der Moment, um über Politik zu diskutieren: Umweltministerin Simonetta Sommaruga vor Ort.
Foto: Siggi Bucher
Tobias Marti

Kurz bevor die Chefin kommt, hat einer ein Bild an die Tür zum Krisenstab geklebt. Der Text sagt: «Herzlich willkommen, Bundesrätin Sommaruga». Das Foto zeigt die Aare, braun und dreckig, wie sie in der Berner Matte ihre schlammigen Wassermassen über das Wehr schäumen lässt. Es gibt pittoreskere Aufnahmen des Flusses. Aber in diesen Tagen geht es nicht um Ästhetik.

Das Land befindet sich im Notfallmodus. An diesem Donnerstag ist die Lage besonders angespannt. Keiner weiss, wie die Woche endet. Meteorologen sprechen von neuen Niederschlägen. Flüsse und Seen zeigen rasch zunehmende Pegelstände. Zürich ist noch immer von einer Unwetternacht traumatisiert.

Rapport mit Experten

Die Chefin betritt den länglichen Raum. Beim Lagerapport, den sie heute besucht, sprechen sich die Experten ihres Bundesamts für Umwelt (Bafu) mit den Kollegen in den Kantonen ab, hier geben sie für das ganze Land Warnungen und Prognosen ab. Die Luft ist stickig, an den Wänden reihen sich Bildschirme und Gefahrenkarten. Noch trägt die Umweltministerin schwarze Pumps.

Sie nimmt Platz, externe Spezialisten sind zugeschaltet, der Rapport beginnt zackig: Blick ins Ausland, verheerende Lage in Westdeutschland, Tote und Vermisste, Bundeswehr im Einsatz mit schwerstem Gerät.

Meiste Gewässer stabil

Dann die Lage in der Schweiz: der Reussdamm hält, die Schifffahrt ist landesweit eingestellt, weil der Rhein gesperrt ist, könnte die Versorgung zum Thema werden, in Zürich dauert das Aufräumen wohl bis Herbst und in Luzern drängen sich Katastrophentouristen. Sommaruga hebt eine Augenbraue.

«Hydrologisch gibt es wenige Überraschungen», erklärt Carlo Scapozza, Chef der Wasserwissenschaftler. Das soll bedeuten: Aktuell regnet es weniger, die meisten Gewässer sind stabil, das Geschehen entspricht den Vorhersagen.

Erdrutsche sind möglich, aber wohl nur punktuell zu erwarten. Keiner der Spezialisten hat Anträge oder Fragen. Die Bundesrätin ergreift das Wort: «Ein kurzer Rapport, das ist ein gutes Zeichen», sagt sie. Die Runde atmet auf, die Lage könnte tatsächlich schlechter sein.

Besuch bei der Aare

Prognosen sind nun mal eine Gratwanderung. Warnen ja, «aber sachlich und mit der nötigen Umsicht», mahnt Sommaruga. Sie kennt vergleichbare Situationen von früher, als sie noch bei der Berner Gemeinde Köniz für die Feuerwehr zuständig war: «Ich spüre die Verantwortung dieser Leute, man muss sich auf sie verlassen können», sagt sie und verteilt Schokolade.

Stunden später in der Berner Matte. Sommaruga hat ihre Pumps gegen schwarze Turnschuhe getauscht. Die Aare wirkt wie auf dem Bild im Krisenstab, wüst und grimmig, aber nun kommt ein deutlich wahrnehmbarer Erdgeruch hinzu. Die Wassermassen tosen, die Motorsägen der Feuerwehr kreischen, noch lässt sich der Wasserpegel halten.

Alec von Graffenried wartet bereits, nebst dem Berner Stadtpräsidenten sind auch Lokalpresse und Fernsehen da. Unwetter sind ein Medienereignis. Bundespräsident Guy Parmelin ist gerade samt Entourage in Luzern unterwegs. In Deutschland könnte das Unwetter mal wieder über den nächsten Kanzler entscheiden – Wahlkampf in Gummistiefeln nennen es die Deutschen (siehe Box).

Hochwasser von 1999 und 2005 bleiben in Erinnerung

Auf die Berner Matte schaut die Schweiz seit den Hochwassern von 1999 und 2005, damals «böötelten» hier die Berner Feuerwehrleute wie die Gondolieri in Venedig (I).

Die Bundesrätin macht einen Schritt auf das Aareufer zu. «Stehe ich Ihnen im Weg?», fragt ein Zaungast, grinst – und bewegt sich keinen Zentimeter. «Nein, nein», winkt die Bundesrätin ab, und fragt herumstehende Feuerwehrmänner und Polizistinnen, wie sie die Situation erleben.

«Sie macht einen guten Eindruck, sehr volksnah», finden die Heimweh-Mätteler Roger Friedelance und Heinz Michel, und beobachten die Bundesrätin weiter aus der Distanz.

«Wir haben die Lehren aus den Jahrhunderthochwassern gezogen», erklärte Sommaruga da gerade. Die Bevölkerung könne den Unterschied selber sehen.

Mätteler bleiben gelassen

Auch Rosmarie Bernasconi steht jetzt im Publikum, eine Berühmtheit des Mattequartiers, und lacht laut los: «Solange ich nicht mit den Badefinken vors Haus muss, ist alles easy», tröstet sie die Bundesrätin.

Die Mätteler sind ein eigener Schlag. Sie lassen sie sich so schnell nicht unterkriegen. Trotz aller Gelassenheit mussten 2005 manche mit dem Helikopter ausgeflogen werden. Sommaruga kennt manche Betroffene von damals.

Ausgeklügeltes Notfallsystem

Am Freitag überstürzen sich die Hiobsbotschaften aus Deutschland. Die Lage in der Schweiz ist bereits entspannter, als Sommaruga am Hagneckkanal steht, der Verbindung zwischen Aare und Bielersee. Nun hat sie die Turnschuhe gegen feldgraue Gummistiefel getauscht.

Damit das System der Juragewässerkorrektur nicht überlastet wird, kann hier im Notfall gezielt überflutet werden. Das Wasser strömt dann ins grosse Moos und über die Felder – ein ausgeklügeltes System, wie es die verwüsteten Landstriche in Deutschland nicht hatten. Dort gibt die Flut der Debatte über den Klimawandel neue Wucht, während in der Schweiz das Nein zum CO2-Gesetz vor einem Monat als eine von Sommarugas herbsten Niederlagen gilt.

Es sei jetzt nicht der Moment, um über Politik zu diskutieren, findet die Umweltministerin. «Jetzt geht es darum, die Bevölkerung zu schützen und weitere Schäden möglichst zu vermeiden.» Klima sei mehr als ein extremes Wetterereignis. Aber die Wissenschaft weise seit längerem darauf hin, dass sich durch den Klimawandel extreme Ereignissen häufen könnten, sagt die Bundesrätin.

Zusammenarbeit ist wichtig

Am Hagneckkanal erläutern derweil Geografen und Einsatzleiter ihre technischen Tricks. Sommaruga hört interessiert und geduldig zu. Sie sehe hier etwas Grundsätzliches, wird sie später sagen: «Man kennt sich, man vertraut sich, man redet miteinander. Und viele Leute arbeiten auf Miliz-Basis.»

Sommaruga schaut auf den Kanal, mitgerissene Bäume rasen durch donnernde Fluten. Letzte Woche war die Umweltministerin in Westafrika, dort ging es um extreme Trockenheit. «Man hat häufig das Gefühl, solche Probleme seien weit weg», sagt sie. «Aber wenn es bei uns passiert, trifft es einen ins Mark.»

Ein paar Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die dunklen Wolken im Seeland, die Bundesrätin blickt hoch: «Hier kommt gerade etwas Zuversicht.»
Dass sich weiter hinten noch viele sehr schwarze Wolken türmen, das hat die Bundesrätin auch gesehen.

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