Mario Fehrs Parteiaustritt
Zum Abschied eine letzte List

Nach leidvollen Jahren, zahllosen Intrigen und Verletzungen führt Mario Fehr die SP-Spitze hinters Licht. Der populäre Regierungsrat aus Zürich politisiert ab sofort parteilos.
Publiziert: 19.06.2021 um 21:05 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2021 um 06:12 Uhr
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Portrait des Zürcher Regierungsrats Mario Fehr in der Ahnengalerie des Kantons Zürich.
Foto: Keystone
Reza Rafi

Es war eine letzte Finte, mit der Mario Fehr seine ehemaligen Genossen täuschte. Nachdem die Parteileitung der Zürcher SP im Frühjahr beschlossen hatte, ihren langjährigen Regierungsrat zu den Wahlen 2023 nicht mehr aufzustellen, plante man, noch eine gemeinsame Pressekonferenz mit ihm abzuhalten.

Doch Fehr bat um Aufschub: Er wolle erstens Bedenkzeit, zweitens vorher in die Sommerferien und drittens die Pandemieentwicklung abwarten. Also einigte man sich, erst nach der Sommerpause an die Öffentlichkeit zu gehen.

Am Freitagmorgen jedoch wurde den Parteikadern um Co-Präsidentin Priska Seiler Graf plötzlich klar, dass er sie übertölpelt hatte. Der Sicherheitsdirektor wandte sich um 10.30 Uhr ohne Absprache an die Journalisten, um seinen Parteiaustritt mitzuteilen. Die SP-Spitze musste es aus den Medien erfahren.

Gerissener Taktiker

Dieses Manöver gewährte dem Sicherheitsdirektor die Deutungshoheit. So konnte er unwidersprochen nachtreten, die Sozialdemokraten seien «nach links gerutscht», pflegten alte Feindbilder und verteilten Steuergelder blind. Genossen an seiner Seite hätten da nur gestört. Ihnen blieb bloss die Reaktion in der Samstagspresse.

Wer so agiert, ist taktisch gerissen und selbstbewusst – Fehrs Kritiker sagen: selbstherrlich. Der erfahrene Zürcher Chefbeamte und SP-Genosse Thomas Manhart schreibt in seinen soeben erschienenen Memoiren: «Mario Fehr ist äusserst clever, gut berechnend und strategisch stets in Allianzen denkend.» Bei ihm basiere alles auf Vertrauen. «Da ist er ähnlich wie Moritz Leuenberger, zudem ist er ebenso dünnhäutig.»

«Ich bedaure es, aber es ist unvermeidlich»
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SP-Austritt von Mario Fehr:«Ich bedaure es, aber es ist unvermeidlich»

Hass aus den eigenen Reihen

Mit seiner List beendet Fehr ein jahrelanges parteiinternes Trauerspiel voll von gegenseitigen Verletzungen. An seiner konsequenten Linie im Asyl- und Sicherheitswesen hatte sich beispielloser Hass aus den eigenen Reihen entzündet, der 2015 in einer Strafanzeige der Juso gipfelte. Anlass war die Anschaffung von Überwachungssoftware – ein Vorwurf, der sich später als haltlos erwies. Die (Ex-)Parteifreunde finden seine Härte gegen abgewiesene Asylsuchende menschenverachtend; Fehr sagt, er orientiere sich am Volkswillen.

Dass Dogmatiker ihren Zorn lieber auf Abweichler als auf den Hauptgegner richten, weiss man seit «Life of Brian». In der Monty-Python-Komödie von 1979 nervt sich der Chef der Volksfront von Judäa: «Die einzigen Leute, die wir noch mehr hassen als die Römer, sind die von der verfluchten Judäischen Volksfront!» Nicht milder war der Furor der vergangenen Jahre gegen Fehr. Das «Friendly Fire» kam mit Vorliebe von den Jungsozialisten, Nachwuchskräften der SP, die in Weiterbildungslagern Campaigning lernen und den marxistischen Kanon pauken.

Keiner bot ihnen eine bessere Zielscheibe als Fehr, der auch mal eine gut integrierte tschetschenische Familie ausschaffen lässt, wenn es sein muss.

Kritik bleibt nicht unbeantwortet

2017 schrieb Marco Kistler, Ex-Juso-Vertreter und damaliger Kampagnenleiter der SP Schweiz, anlässlich eines «WoZ»-Artikels («Mario Fehr plagt Menschen») auf Facebook von «krankhaften Machtspielen» des Zürcher Regierungsrats. Und kam zum Schluss: «Dieser Mann ist eine Schande für die Sozialdemokratie.»

Später ruderte Kistler, Vater der 1:12-Initiative, zurück. Der Applaus von links blieb. Dass Kistlers Lebenspartnerin Mattea Meyer heute Co-Präsidentin der SP Schweiz ist, dürfte Fehr in seinem Entschluss bekräftigt haben.
Derartige Angriffe quittierte er jeweils mit Konfrontation. Nach Kistlers Post zum Beispiel intervenierte Fehr direkt bei der Parteileitung. «Er ist praktisch immer am Handy», schreibt Manhart. «Manche fürchten sich schon fast vor seinen Anrufen.»

Sogar der Fehr wohlgesinnte Ex-Beamte ortet Anflüge von Abgehobenheit: Er habe «die irritierende Eigenschaft, dass er auf jemanden zusteuern und im letzten Moment zu einer noch wichtigeren Person abbiegen kann. Dann steht man da wie am Bahnhof mit Blumen, bestellt und nicht abgeholt».

Die Rivalität zwischen den Fehrs

Hinzu kam Fehrs Rivalität mit SP-Regierungsratskollegin Jacqueline Fehr. Manhart formuliert es so: «Jacqueline und Mario, die beiden Fehrs, verstehen sich wie Hund und Katz.» Die Verbindungen zwischen ihr und der Zürcher Parteielite sind ein offenes Geheimnis.

Die Schweizer Sozialdemokratie ist stolz, nie einen Gerhard Schröder oder Tony Blair erlebt zu haben, der die eigenen Werte verraten oder das Verhältnis zu den Gewerkschaften befleckt habe. Jacqueline Fehr verkörpert diese Ungebrochenheit perfekt. Mario Fehrs Schritt ist so gesehen eine längst überfällige Klärung.

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