Der eritreische Flüchtling Habte A.* (40) hat am Montag einen Buben (†8) und seine Mutter (40) vor einen ICE-Zug am Bahnhof im deutschen Frankfurt geschubst. Die Frau überlebte, ihr Kind starb noch vor Ort. Nach der unfassbaren Tat wurde klar: Habte A. wohnt in Wädenswil ZH. Dort hatte er nur Tage zuvor seine Ehefrau, die drei gemeinsamen Kinder (1, 3 und 4 Jahre) und eine Nachbarin angegriffen.
Habte A. ergriff daraufhin die Flucht und gelangte unerkannt über die Grenze nach Deutschland. Die Kantonspolizei Zürich schrieb den Eritreer landesweit zur Verhaftung aus. Doch eine öffentliche Fahndung gab es nicht. Der Grund: Ein Übergriff wie in Wädenswil sei häufig, sagt Bruno Keller von der Kantonspolizei Zürich am Dienstag an einer Pressekonferenz. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Fahndung seien nicht erfüllt gewesen.
18'522 registrierte Taten in einem Jahr
Tatsächlich hat die Polizei alle Hände voll zu tun mit häuslicher Gewalt. Im vergangenen Jahr wurden allein im Kanton Zürich 3227 Fälle verzeichnet. Das sind etwa neun Fälle pro Tag.
Schweizweit kam es 2018 laut Bundesamt für Statistik zu 18'522 polizeilich registrierten Gewaltstraftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt. Das sind auf den Tag gerechnet 50 Übergriffe. Wie gross der Anteil von Angriffen durch Männer auf Frauen ist, bleibt derzeit unklar. Entsprechende Zahlen gibt es jedoch für das Jahr 2017. Damals wurden 17'024 Fälle Häuslicher Gewalt verzeichnet, wobei es sich in 6854 Fällen um Angriffe durch Männer auf Frauen handelte.
Auch Beratungsstellen werden aktiv
Auch Guido Ginella hat als Berater bei der Opferberatung Zürich tagtäglich mit Häuslicher Gewalt zu tun. «Wir haben auch häufig mit Fällen zu tun, die der Polizei nicht gemeldet werden», sagt Ginella. Wie gross die Dunkelziffer ist, kann er nicht sagen. «Manchmal sind es auch Nachbarn, die Gewalttätigkeiten melden.»
Die Hemmschwelle, Vorfälle zu melden, sei möglicherweise in letzter Zeit etwas gesunken, sagt Ginella. «Häusliche Gewalt ist keine Privatsache mehr.»
In Zürich kann die Polizei gemäss Gewaltschutzgesetz Massnahmen für zwei Wochen verfügen, wie Ginella erklärt. «Bei häuslicher Gewalt kann gegen die gefährdende Person ein Rayon- oder ein Kontaktverbot ausgesprochen werden oder sie kann vorübergehend aus einer gemeinsam mit dem Opfer bewohnten Wohnung weggewiesen werden.» In solchen Situationen würden jeweils auch die Beratungsstellen beigezogen, die dann mit den Konfliktparteien Kontakt aufnähmen.
Motiv ist unklar
Im Fall von Habte A. hätten weder Rayon- noch Kontaktverbot geholfen. Er löschte das Leben eines ihm völlig unbekannten Menschen aus. Das Motiv ist unklar. Dass der seit 2006 in der Schweiz lebende Eritreer psychische Probleme hat, war der Kantonspolizei zum Zeitpunkt der Fahndung nicht bekannt, wie es an der Pressekonferenz vom Dienstag hiess.
* Name bekannt