Auf einen Blick
- Gewalttätige Ultras attackieren S9-Zug in Zürich
- Passagiere fliehen panisch, als Pfefferspray im Zug verteilt wird
- Krawalle von Fussball-Ultras nehmen in der Schweiz zu
- Vermummungsverbot wird durch Atemmasken umgangen
Es sind üble Szenen, die sich am Samstagnachmittag in der S9 am Zürcher Bahnhof Hardbrücke abspielen. Etwa zwei Dutzend vermummte Krawallmacher, vermutlich GC-Anhänger, stehen am Perron und hämmern gegen die S-Bahn-Türen und -Fenster. Schliesslich dringen einige ins Innere des Zugs ein und liefern sich eine Rangelei mit einem Rivalen, bevor einer der Angreifer zum Pfefferspray greift. Sekunden später hat sich das Reizgas im Wagon verteilt, die Passagiere keuchen, husten und verdecken ihre Gesichter, um sich vor dem beissenden Spray zu schützen.
Draussen feuern die Kameraden den Übeltäter an, während mehrere Personen aus der S-Bahn fliehen. Nach kaum einer Minute ist der Tumult vorbei, und die Vermummten ziehen unter «H….söhne FCZ»-Triumphchören weiter Richtung Stadion. Die Derby-Eskalation begann schon am Mittwoch vor dem Spiel: In Rickenbach ZH sollen Dutzende FCZ-Krawallmacher mit Waffengewalt Teile einer Choreo von GC-Fans gestohlen haben – am Derby wurde die Beute dann stolz präsentiert.
Vorfälle häufen sich
Es sind solche Szenen, die die Schweizer Öffentlichkeit immer häufiger sprachlos zurücklassen. Im April dieses Jahres traf ein Servette-Chaot ein Kind und einen Erwachsenen mit einer über 1000 Grad heissen Pyrofackel, die er auf die Tribüne des Winterthurer Stadions Schützenwiese warf. Mitten in den gemischten Sektor, wo viele Familien mit ihren Kindern das Spiel mitverfolgten. In Sitten VS lieferten sich im September Anhänger des FC Sion und des FC Basel mitten im Stadtzentrum eine Strassenschlacht. Mindestens ein unbeteiligter Teenager wurde verletzt. Unvergessen bleibt auch der Angriff auf den GC-Stand am Züri Fäscht im Sommer des vergangenen Jahres, wo Dutzende FCZ-Fans das Festzelt des verhassten Rivalen angriffen und zerstörten, trotz der Anwesenheit von Kindern und Familien.
Die Brutalität aus dieser gewalttätigen Parallelwelt scheint immer häufiger ins öffentliche Leben zu schwappen, nicht nur bei sogenannten «Hochrisikospielen» wie dem Zürcher Stadtderby. Gegenmassnahmen verpuffen nutzlos und sind kaum durchsetzbar. Viele der Chaoten tragen mittlerweile Atemschutz- statt Skimasken und umgehen das Vermummungsverbot. Auch Rayon- und Stadionverbote bringen kaum etwas. Die Gewalt findet immer häufiger ausserhalb des Stadions oder auf dem Weg dorthin statt.
Experte sieht neue Entwicklungen in der Szene
Für Soziologe und Hooligan-Fachmann Ueli Mäder (73) ist diese Entwicklung bedenklich: «Dass es vermehrt zu Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum kommt, scheint tatsächlich der Fall zu sein. Angriffe, die in der Öffentlichkeit stattfinden, werden grundsätzlich eher wahrgenommen und haben eine grössere Brisanz.»
Mäder plädiert aber für Prävention und Deeskalation und wünscht sich mehr Austausch zwischen den Klubs, den Fans, der Polizei und den Behörden, speziell im Vorfeld solcher Hochrisikospiele. Auch die Fanszene selbst nimmt er in die Pflicht: «Einige ‹Oldies› der Szene sind teilweise extrem befremdet über das Verhalten von Jüngeren, die sich offensichtlich irgendwie zu beweisen versuchen.» Hier sieht Mäder Potenzial zur Selbstregulierung: «Der Einfluss von besonneneren Kräften in den Fankurven muss wieder grösser werden.» Diese dürfen sich nicht aus der Verantwortung ziehen, meint er.
Die Geschichte eines Blick-Lesers verdeutlicht die Tendenzen dieses «Generationenwechsels». Der Familienvater und GC-Fan wollte nach dem Derby mit seinen beiden Söhnen im Primarschul-Alter mit dem ÖV nach Hause fahren und war dazu auf dem Weg zur Haltestelle. Alle drei trugen GC-Trikots: «Meinen Jungs habe ich gesagt, dass sie die Jacke schliessen sollen. Ich selbst hatte die Jacke offen und wurde dann nach einigen Hundert Metern ziemlich rabiat von einer Gruppe FCZ-Fans aufgefordert, die Jacke zuzumachen», erzählt er.
Wegen seiner Kinder habe ihm ein FCZ-Fan aber «Begleitschutz» gewährt: «Ich konnte mich dann mit ihm über die Situation unterhalten. Er sagte uns, es gäbe eine jüngere, radikalisierte Gruppe von FCZ-Fans, die GC aus der Stadt vertreiben will. Und die mich als GC-Fan auch vor meinen Kindern verprügeln würde.» Die Familie nahm am Ende ein Taxi statt das Tram – aber die Angst hat vor allem bei den beiden Kindern Spuren hinterlassen.
Was den Vater am meisten schmerzt: «Einer meiner Söhne sagte mir anschliessend im Bett, dass er nie mehr ans Derby gehen will. Ich finde keine Worte, es macht mich traurig und wütend.»
Polizei nur beschränkt handlungsfähig
Nur selten drohen den Übeltätern strafrechtliche Konsequenzen, schliesslich sind sie in einer grossen, anonymen Gruppe kaum zu identifizieren.
Dieses Problem ist der Zürcher Stadtpolizei nur allzu gut bekannt. Auf Anfrage sagt sie: «Die Ermittlungen bei solchen Ereignissen gestalten sich oft sehr aufwendig, und das Schlussergebnis liegt häufig erst Monate später vor. Im Zusammenhang mit Gewalt rund um Fussballspiele kommt erschwerend hinzu, dass die Beteiligten oft vermummt auftreten», lässt man sich zitieren.