Das Bezirksgericht Meilen hat am Dienstag eine frühere Hausangestellte des ehemaligen Credit-Suisse-Chefs Tidjane Thiam (62) freigesprochen: Ein E-Mail mit einer hohen Geldforderung sei keine Nötigung gewesen.
Das Gericht sprach Marina A.* (43) eine Genugtuung von 2000 Franken für die unüblich lange Verfahrensdauer zu. Die Rumänin hatte während rund sechs Jahren als Hausangestellte für den Topmanager gearbeitet, zunächst in London, ab 2015 in der Schweiz.
Die Arbeitsbedingungen seien dabei miserabel gewesen, hielt deren Verteidiger Stephan Reinhardt vor Gericht fest. Die Rumänin fasste diese als «sehr stressig, keine Ferien» zusammen. Sie habe wegen der Arbeit rund um die Uhr und den Wutausbrüchen des Chefs einen Zusammenbruch erlitten und im März 2019 auf Einhaltung der vereinbarten Bedingungen gepocht, führte der Anwalt weiter aus. Kurz darauf sei seine Mandantin entlassen worden.
«Es ging mir gar nicht ums Geld»
Es folgte ein langer zivilrechtlicher Streit um Entschädigungen. In dieser Zeit sei sie sehr gestresst gewesen, erklärte die Frau. Deshalb habe sie im März 2021 eine E-Mail an Thiams Assistentin geschickt.
Diese E-Mail brachte die Frau vor das Gericht. Denn darin schrieb sie, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) und Gewerkschaften über die schlechten Arbeitsbedingungen beim Chefbanker und IOC-Mitglied informiert werden könnten. Als Vergleichsvorschlag forderte sie 587'000 Franken. «Es ging mir gar nicht ums Geld», betonte Marina A. gestern.
Die Staatsanwaltschaft sah das anders: Damit habe die Hausangestellte versucht, Thiam durch die angedrohte Rufschädigung zur Zahlung des hohen Geldbetrags zu bringen.
Wollte Streit friedlich beenden
Sie habe keine böse Absicht gehabt, sagte dagegen die Frau. Sie habe nur den Kontakt zu ihrem früheren Arbeitgeber gesucht, um den Streit friedlich zu beenden.
Ihr Verteidiger wies darauf hin, dass das Arbeitsgericht später rechtskräftig festgestellt habe, dass Thiam seiner Mandantin wegen nicht gewährter Ferien und Überzeit Entschädigungen schulde. Zudem müsse er ihr eine Genugtuung wegen missbräuchlicher Kündigung zahlen. Im Zivilprozess, so berichtete der Anwalt nach dem Prozess, seien ihr mehrere Hunderttausend Franken zugesprochen worden.
Eine Nötigung setze die Androhung eines ernstlichen Nachteils voraus, begründete die Richterin den Freispruch. Die Richterin erinnerte daran, dass der Banker wegen der Beschattung zweier CS-Topkader bereits zuvor «schlechte Presse» erhalten hatte. Auch beim IOC hätten ihm keine Nachteile gedroht, so die Richterin.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
*Name geändert
Hier der Ticker zum Nachlesen:
Freispruch für rumänische Hausangestellte (43) – einige Fragen bleiben offen
Der Strafprozess gegen Marina A.*, eine ehemalige Haushälterin von Ex-CS-Chef Tidjane Thiam, endet mit einem Freispruch. Die Frau ist der versuchten Nötigung nicht schuldig und erhält vom Staat eine Genugtuung von 2000 Franken.
Im Verfahren bleiben jedoch einige Fragen offen, auch weil ein Zivilprozess, der dasselbe Arbeitsverhältnis betraf, unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Gemäss Verteidiger Stephan Reinhardt hat die Frau dort einen Betrag von mehreren Hunderttausend Franken zugesprochen erhalten – aber weniger als 500'000 Franken, wie er beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in Meilen erklärte.
Im Verfahren wurden vom Verteidiger verschiedene Vorwürfe gegenüber dem Topmanager Thiam geäussert, die jedoch nicht überprüft wurden, weil sie nicht Thema des Verfahrens waren. So habe er die rund 15 im Haushalt angestellten Personen ausgenützt und schlecht behandelt.
Klar war für Richterin Susanne Zürcher Gross jedoch: Mit ihrer E-Mail vom 2. März 2021 hat die Haushälterin Thiam weder erpresst noch genötigt. Deshalb erfolgte ein Freispruch.
«Der Tatbestand der Nötigung ist nicht erfüllt»
Die Richterin erkläutert ihre Überlegungen: Die kritisierten Missstände waren bereits Gegenstand eines Zivilverfahrens – daher hätte eine Meldung an eine Gewerkschaft Thiam wohl kaum einen grösseren Nachteil gebracht. Die Richterin weist auch darauf hin, dass Thiam nach seinem Weggang von der Credit Suisse sowieso «schlechte Presse» gehabt habe, was das Internationale Olympische Komitee sicher verfolgt habe. Für die Richterin ist daher klar: «Der Tatbestand der Nötigung ist nicht erfüllt.» Sie kritisiert zudem die sehr lange Verfahrensdauer. Und schliesst damit bereits wieder.
Seitenhieb auf langes Plädoyer
Richterin Susanne Zürcher Gross erläutert nun ihren Freispruch – und startet mit einem Seitenhieb auf das lange Plädoyer des Verteidigers: «Ich werde dabei kürzer sein als Sie», sagt sie zu Anwalt Reinhardt.
Thiam erhält kein Geld vom Staat.
Die Richterin erklärt, dass dem Privatkläger Tidjane Thiam keine Prozessentschädigung zugesprochen wird.
19'000 Franken für Anwaltskosten
Die Gerichtskosten gehen zulasten der Staatskasse. Zusätzlich erhält die beschuldigte Marina A. eine Prozessentschädigung von rund 19'000 Franken für Anwaltskosten.
Freispruch für Hausangestellte
Die Richterin eröffnet das Urteil. Die beschuldigte Hausangestellte ist nicht schuldig der versuchten Nötigung. Sie erhält vom Staat eine Genugtuung von 2000 Franken.
Schlusswort der Beschuldigten
Damit schliesst der Verteidiger sein Plädoyer. In ihrem Schlusswort betont die frühere Hausangestellte Marina A. erneut, dass sie keinen Schaden anrichten wollte. «Ich dachte mir einfach: Ich habe so lange für ihn gearbeitet und wollte das ganze nun zu einem friedlichen Ende bringen.» Die Verhandlung ist nun für rund 45 Minuten unterbrochen bis zur Urteilseröffnung.
Genugtuung wegen langem Verfahren?
Nun spricht der Anwalt über den Anspruch auf Genugtuung, die seiner Mandantin wegen der überlangen Verfahrensdauer zustehe. Auch kritisiert der Anwalt eine unverhältnismässige Hausdurchsuchung. Zudem sei die Frau auch in Haft genommen worden. «Es ist zu vermuten, dass die Staatsanwaltschaft diese Massnahmen nur gemacht hat, weil sie selbst Angst hatte vor dem Privatkläger», sagt Reinhardt. Er verlangt mindestens 3000 Franken Genugtuung.
Strafverfahren als Rache?
Thiam habe das Zivilverfahren zu grossen Teilen verloren, sagt Reinhardt. Er verwende deshalb dieses Strafverfahren, um sich an der früheren Haushälterin zu rächen.
587'000 Franken «am unteren Ende der denkbaren Forderungen»
Gemäss Anwalt Reinhardt sei der von der Haushälterin geforderte Betrag von 587'000 eher am unteren Ende der möglichen Zahlungen gelegen, die seine Mandantin habe fordern können.