Lilly ist zwei Jahre alt, wiegt 1,5 Kilogramm und ist ungefähr so gross wie ein dickes Buch. Freudig wedelnd begrüsst die Chihuahuadame Besucher, die an ihrer Haustür in Küsnacht ZH klingeln. Hinter ihr steht Besitzerin Andreia Novaes Blatter (51) und lacht.
Vergangenen September war die Gefühlslage der Brasilianerin eine andere. Lilly verschwand aus dem Garten, als Novaes Blatter in die Küche ging, um ein Glas Wasser zu holen. «Ich war geschockt. Sie rennt normalerweise ein bisschen herum, aber verlässt das Grundstück nicht», sagt sie zu Blick. Sofort machte sich die 51-Jährige auf die Suche – erfolglos.
Noch am selben Morgen stehen drei Polizeibeamte vor ihrer Wohnung. Eine Frau habe Lilly gefunden und aufs Revier gebracht, wo sie mittels Chip identifiziert werden konnte. Die Brasilianerin kann es kaum glauben, bedankt sich überschwänglich und denkt, die Sache sei damit erledigt.
«Lilly ist doch kein Pitbull»
Doch dann kassiert Novaes Blatter im Mai, acht Monate nach dem Vorfall, plötzlich einen Strafbefehl. Der Vorwurf: «Mangelnde Beaufsichtigung eines Hundes.» Im angeführten Passus heisst es, Hunde seien so zu halten, «dass sie weder Mensch noch Tier gefährden, belästigen oder in der bestimmungsgemässen und sicheren Nutzung des frei zugänglichen Raumes beeinträchtigen».
Die Strafe: 450 Franken. Zusammengesetzt aus einer Busse von 200 Franken und 250 Franken Gebühren des Statthalteramts Meilen. Ihre kleine Lilly? Jemanden gefährden? «Ich war sprachlos. Ich hatte den Vorfall schon lange vergessen. Und soll jetzt so viel Geld zahlen. Für einen Hund, der niemandem etwas tut, gar nichts tun kann. Lilly ist doch kein Pitbull.»
Obwohl sie eigentlich nicht versteht, was das Ganze soll, zahlt sie am Ende die 450 Franken. Einsprache erhebt sie nicht. Ihr Deutsch sei nach 30 Jahren in der Schweiz zwar gut, für juristische Nuancen reiche es aber nicht. Hätte sie nicht gezahlt, hätte es noch eine Alternative gegeben: zwei Tage Knast.
Wenn der Hund wegläuft, kann immer ein Strafbefehl drohen
Aber wieso musste die Frau denn überhaupt 450 Franken zahlen, nur weil ihr Chihuahua verschwunden war? Patrizia Merotto (56), Statthalterin von Meilen, will sich zu dem konkreten Fall nicht äussern.
Grundsätzlich würden Entscheide und die Dauer von Verfahren nicht kommentiert. Merotto sagt nur: «Die Höhe der Busse steht grundsätzlich im Ermessen des Statthalters und der Statthalterin, so wie dies auch bei Richterinnen und Richtern der Fall ist.» Die Gebühren seien dagegen vorgegeben.
Und es sei nun mal so, dass jeder Besitzer eines entlaufenen Hundes im Falle einer Verzeigung durch die Polizei mit einem Strafbefehl zu rechnen habe, ungeachtet der Rasse des Tieres oder Häufigkeit des Vorfalls. Als Statthalterin habe sie da auch keinen Spielraum, sondern sei an das Gesetz gebunden, betont Merotto. Man könne gegen einen Strafbefehl Einsprache erheben, um den Einzelfall von einem Richter beurteilen zu lassen.