Als Beat Lienhard (66) am Montag im Blick den Fall des Berners Jürg Hirschi (66), der 780 Franken Busse fürs Langsamfahren am Julierpass bezahlen muss, liest, kommt alles wieder hoch. «Der Julier ist für mich ein rotes Tuch», erzählt er am Telefon aus seinen Ferien.
Im Jahre 1999 befand sich der damals 44-jährige Fahrlehrer mit dem Auto auf dem Weg nach Samedan GR, um ein Verkehrssicherheitstraining zu leiten. Auf der Strasse den Pass hoch überholt er einen Lastwagen. Es habe, so erzählt er es, keine Sicherheitslinie gegeben, kein Überholverbot und keinen Gegenverkehr. Es passiert auf gerader Strecke, der LKW-Fahrer sagt danach, das Manöver sei kein Problem für ihn gewesen. Und doch war es eine schicksalhafte Entscheidung von Lienhard.
Angezeigt wegen «abstrakter Gefährdung»
Denn unmittelbar vor dem Überholmanöver kam Lienhard eine Polizeipatrouille entgegen, die danach im Rückspiegel beobachtet, wie der Fahrlehrer überholt. Die Beamten halten ihn darum an und zeigen ihn wegen «abstrakter Gefährdung» an.
Unter abstrakter Gefährdung versteht das Strassenverkehrsrecht die theoretische Gefahr, die darin besteht, dass eine konkrete Gefährdung entstehen würde, wenn im entscheidenden Moment ein anderer Verkehrsteilnehmer in die Gefahrenzone gelangte.
Fahrausweisentzug, Berufsverbot, Lohneinbusse
Ein Vorwurf, den Lienhard bis heute nicht verstehen kann. «Der Fall verfolgt mich bis heute. Weil ich mich ungerecht behandelt fühlte. Als Verkehrsfachmann und Fahrlehrer hatte ich nämlich nicht das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.»
Lienhard zog den Fall mit seiner Rechtsschutzversicherung bis vor Bundesgericht – vergeblich. Er musste – nebst einer Busse von 500 Franken – für zwei Monate seinen Führerausweis abgeben. Lienhard: «Fahrausweisentzug bedeutete für mich ein Berufsverbot – ich durfte nicht einmal Theorie unterrichten.» Das Bitterste für den Fahrlehrer: Er hatte zwei Monate kein Einkommen, also eine Lohneinbusse von mindestens 16'000 Franken. Zudem sind ihm Schüler abgesprungen. «Es hat gedauert, bis das Geschäft wieder lief», sagt Lienhard rückblickend.
Geschwindigkeitsreduktion wegen Hitze
Einen ebenfalls absurden Strafbefehl kassierte im Juni 2019 Martin Hofstetter (52) aus Buchs ZH – wegen «fahrlässiger Verletzung der Verkehrsregeln». Die Gemeinde Buchs hatte damals zum Schutz des Asphalts wegen hoher Temperaturen die Geschwindigkeit auf der Verbindungsstrasse «Hand» zwischen Buchs und Dielsdorf ZH von 80 km/h auf 40 km/h reduziert.
Die Behörden liessen es sich nicht nehmen, an dieser Stelle bald auch eine Geschwindigkeitskontrolle durchzuführen. «Ich war mit 72 km/h, also 32 km/h zu ‹schnell› unterwegs», erzählt Martin Hofstetter Blick. Aber: «Die Signalisation war völlig unzureichend und falsch. An zwei Orten wurden Signalisationstafeln aufgestellt. Dazwischen gab es aber eine Einmündung einer weiteren Strasse – ohne weitere Signalisation.»
In der Signalisationsverordnung steht aber klar: «Die angekündigte Vorschrift gilt an der Stelle oder von der Stelle an, wo das Signal steht, bis zum Ende der nächsten Verzweigung; soll sie weiter gelten, wird das Signal dort wiederholt.»
«Pure Willkür»
Und doch sollte Hofstetter der Führerausweis entzogen werden. Er sagt: «Ich hatte das Verfahren angefochten und bin im Juni 2020 vor Gericht gegangen und wurde vom Bezirksgericht Dielsdorf vollumfänglich freigesprochen.» Die Kosten in der Höhe von über 8000 Franken mussten die Steuerzahler berappen.
Begründung: Infolge falscher und unzureichender Signalisation galt als zulässige Geschwindigkeit an der Messstelle 80 km/h und nicht 40 km/h. Hofstetter regt sich noch heute über die Posse auf: «Das war pure Willkür wegen der Hitze die Geschwindigkeit zu reduzieren. Unter dem Strich ging es nur darum, die Bussenkasse zu füllen.»
Im Rückblick ist er froh, dass er gegen den Strafbefehl Einsprache erhoben hat. Denn: «Wenn ich mich nicht gewehrt hätte, hätte ich mindestens drei Monate lang das Billett abgeben müssen!»