Über 7,7 Millionen Impfdosen sind in der Schweiz verimpft. 38 Prozent der Bevölkerung sind vollständig immunisiert. Ende Juni hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) die Impfung für alle Jugendlichen im Alter von 12 bis 15 Jahren freigegeben.
Diesen Entscheid kritisiert der Schwyzer Pfarrer Roland Graf (59) von der Pfarrei Unteriberg, wie der «Bote der Urschweiz» schreibt. Er schiesst im lokalen Pfarreiblatt gegen das BAG, warnt vor möglichen Nebenwirkungen und rät «Kindern und Jugendlichen sowie Personen im fortpflanzungsfähigen Alter» vom Piks ab. Welche Rolle die Reproduktionsfunktion spielen soll, erläutert der Pfarrer nicht. Dass die Impfung Frauen nicht unfruchtbar macht, wurde von Fachpersonen hingegen schon mehrfach erklärt.
Graf behauptet ausserdem, dass bei jungen Menschen das Risiko von Impfnebenwirkungen grösser sei als die Gefahr einer Corona-Erkrankung.
Der Bericht von Swissmedic zeigt aber: Nur ein Drittel aller gemeldeten Nebenwirkungen in der Schweiz (1300 Meldungen von über 7,7 Millionen Dosen) wurde als schwerwiegend eingestuft. Das sind 0,01 Prozent. In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen waren es gesamthaft neun Fälle.
Protein im Blutplasma unbedenklich
Im Pfarreiblatt macht Graf auch offensiv Werbung für die Vereinigung katholischer Ärzte der Schweiz (VKAS) und Human Life International Schweiz (HLI-Schweiz). Und verweist auf eine Medienmitteilung der beiden umstrittenen Organisationen. Darunter werden weitere Aspekte der Impfablehner aufgeführt. Der Text weist unter anderem auf Mäuse- und Rattenversuche hin, ohne die Ergebnisse jedoch einzuordnen und einem Laienpublikum zu erklären.
So heisst es darin: «Ein Forscherteam um A.F. Ogata von der Harvard Universität in Boston (USA) hat das Sars-CoV-2-Protein im Blutplasma von Geimpften nachgewiesen». Doch was bedeutet das? Die Leser erfahren das nicht.
Der Co-Autor der angesprochenen Studie, David Walt, erklärt gegenüber Factcheck.org die Zusammenhänge: 11 von 13 geimpften Probanden wiesen in der Untersuchung «extrem niedrige Konzentrationen einer Untereinheit von Spike-Protein auf». Dabei betont er, dass die angewandte Technologie rund 1000-mal empfindlicher als ein gängiger Antigentest sei. Ein Grund zur Sorge seien die Proteine jedoch keinesfalls.
«Wir fanden heraus, dass die Personen innerhalb weniger Tage nach Auftreten des Antigens (Protein) Antikörper entwickelten, die das Antigen aus dem Blutkreislauf entfernten. Unsere Schlussfolgerung war, dass der Impfstoff wie beabsichtigt funktioniert.»
Auch behaupten die beiden Organisatoren, für die Pfarrer Graf in Unteriberg Werbung macht, dass Frauen nach der Impfung heftige Periodenblutungen hatten und Männer Herzmuskelentzündungen erlitten. Gleichzeitig wird eingeräumt: «Für die Zuordnung dieses Phänomens auf die Impfung fehlen noch wissenschaftliche Studien.» Dass die Reaktionen überhaupt eine mögliche Nebenwirkung sein könnten, ist nicht klar.
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Graf ist eng mit erzkonservativen Organisationen verbunden
Gegenüber dem «Boten der Urschweiz» verteidigt sich der Pfarrer. Die Kirche dürfe sich sehr wohl positionieren. «Es wird immer von Nächstenliebe und Solidarität geredet, dabei geht es für die Behörden schlicht und einfach darum, um jeden Preis die Herdenimmunität zu erreichen», sagt der 59-Jährige, der selbst an Corona erkrankt war. Doch bereits nach fünf Tagen habe er sich wieder erholt und auch den Geruchssinn wiedererlangt.
Die Reaktionen zum Beitrag seien bisher positiv ausgefallen. Mehrere Personen hätten sich bei ihm bedankt.
Was Graf nicht offenlegt: Er selbst ist übergangsmässiger Präsident der umstrittenen Organisation HLI-Schweiz und hat auch schon für die Vereinszeitschrift der VKAS Beiträge geschrieben, schreibt das katholische Infoportal Kath.ch. Beide Institutionen fördern die kirchliche Lehre auch in der Medizin. HLI-Schweiz lehnt Schwangerschaftsabbrüche, die «Ehe für alle» und Sterbehilfe ab.
Im Gegensatz zu Graf will Lorenz Bösch, Präsident des Kirchenvorstands der römisch-katholischen Kantonalkirche Schwyz, nicht zu Impffragen Stellung beziehen. «Wir erachten es nicht als unsere Aufgabe, zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen Stellung zu beziehen. Deshalb werden wir uns auch nicht zur Pandemiepolitik des Bundes und zu dessen Empfehlungen äussern», sagt er zur Zeitung. Es sei gleichzeitig auch nicht seine Aufgabe, sich in die Redaktion von regionalen und lokalen Pfarrblättern einzumischen.
Schwyz ist Schlusslicht
Währenddessen setzt der Bund alles daran, um auch die restlichen Skeptiker vom Nutzen der Impfung zu überzeugen.
Die Zahlen unterscheiden sich jedoch je nach Kanton. Während in Basel Walk-in-Impfzentren überrannt werden, ist die Zahl der Skeptiker in ländlichen Gebieten gross.
Die Kantone Appenzell Innerrhoden, Glarus, Obwalden, Schwyz und Thurgau gehören, was die Zahl der Erstimpfungen betrifft, zu den Schlusslichtern, wie die jüngste Piks-Statistik des BAG zeigt. (man)