An einem Donnerstag, Mitte Februar 2025, wird in Pfäffikon ZH ein Gemeindemitarbeiter (27) von einem 64-jährigen Mann entführt. Das Entführungsopfer kann flüchten. Gemäss Blick-Informationen handelt es sich beim jungen Mann um einen Mitarbeiter des Betreibungsamts. Eine Fahndung nach dem Entführer bleibt zunächst erfolglos.
Vergangenen Freitag: Die Kantonspolizei stürmt das Wohnhaus von Sepp U. in Hittnau ZH und nimmt ihn in Gewahrsam. Er sitzt mittlerweile in U-Haft. In seiner Nachbarschaft gilt U. als Staatsverweigerer. Doch wer sind diese Menschen?
«Der Staat ist eine Firma»
«Im Wesentlichen einigt diese Personen, dass sie den Staat und seine Institutionen und Behörden ablehnen», sagt Dirk Baier (48), Kriminalexperte an der Universität Zürich und der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Diese Haltung gründe oft auf Verschwörungserzählungen, wonach die Schweiz eine Firma sei.
Seit schätzungsweise 2015 liefern sie sich immer wieder Scharmützel mit den Behörden, so Baier. Seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 hat sich der Kleinkrieg der Staatsverweigerer gegen die Behörden verschärft. Sie zahlen keine Steuern, keine Krankenkassenprämien, keine Rechnungen, nehmen Briefe von Behörden nicht entgegen, beharren auf wirren und eigenwilligen Auslegungen ihrer Rechte, ihrer Anrede, ihrer Souveränität. «Mensch» statt «Person» nennen sie sich. Damit – so die Überzeugung – hätten sie sich erfolgreich aus dem System Schweiz ausgeklinkt.
Eine Undercover-Recherche von Blick zeigte 2023, dass sie mit Werbetouren und Kursen Mitmenschen zu Gleichgesinnten machen wollen. Eine Person erzählte damals, sie habe ihre ID zurückgeschickt – sie glaubte, so für die Behörden nicht mehr existent zu sein. Oder: In einem Querulanten-Kurs, den Blick undercover besuchte, erhielten die Teilnehmer Brief-Vorlagen, um aus dem System auszusteigen.
Ein Besucher fragte damals: «Beginne ich lieber mit einer kleinen Rechnung oder gleich mit einer grossen Steuerrechnung, damit es sich lohnt?» Empfehlung des Kursleiters: Erstmal mit der Radio- und Fernsehgebühr zu starten. Doch auch wenn die Rechnung nicht riesig ist – wer sie in der Schweiz nicht begleicht, kassiert eine Mahnung. Wer sich immer noch gegen das System wehrt, wird betrieben. Und so klingeln bei den Staatsverweigerern plötzlich Betreibungsbeamte an der Tür. Wenig überraschend sind demnach die Betreibungsbeamten die Hauptfeinde aus Sicht der Staatsverweigerer.
Waffen, Munition und Sprengstoff: Vorbereitung auf «Tag X»
Manche schreiben mehrseitige Briefe, teilweise mit drohendem Inhalt für Ämter und Mitarbeiter. «Papierterrorismus», sagt Baier. Andere kommen auch auf der Gemeinde vorbei und verwickeln die Mitarbeiter in lange Gespräche. «Sie versuchen, so zu begründen, warum sie recht haben und die Behörde und der Staat Unrecht.» Ihre «Triumphe» posten sie dann auf Telegram.
Noch gefährlicher wird es, wenn Staatsverweigerer Waffen, Munition oder Sprengstoff zu Hause bunkern und Zäune um ihr Grundstück bauen. Kein Zutritt für den Staat, so die Devise. Nächster Halt, Selbstschussanlage? Ja, zumindest in Deutschland ist das schon passiert.
Auch im Fall von Pfäffikon wurden bei der Hausdurchsuchung Waffen und Munition sichergestellt. Für Dirk Baier ein klares Indiz: «Man bereitet sich auf den Konflikt mit dem Staat vor. Hierfür sind Waffen das beste Mittel. Die Staatsverweigerer leben in einer Art Endzeitstimmung und warten auf den Tag X.»
Deutschschweizer Steuerämter haben deutlich mehr zu tun
Ein Beispiel für Staatsverweigerung – und wo sie hinführen kann, zeigt ein Fall aus dem Kanton Basel-Landschaft. Der Mann wurde während der Pandemie zum Staatsverweigerer und hörte 2021 auf, Steuern und Krankenkassenprämien zu bezahlen. Jetzt ist seine Firma Konkurs, er ist ruiniert – und bleibt trotz allem auf seiner Linie: «Dass der Staat so reagiert, zeigt nur, wie korrupt er ist.»
Ein weiteres Beispiel: In Bülach ZH zündete ein Mann 2023 bei starkem Wind ein Feuer im Wald an. Danach habe er sich gegenüber der Polizei geweigert, seinen Ausweis zu zeigen. Der Grund: Er sei keine Person, sondern «ein Lebewesen». Als solches habe er sich nicht an staatliche Vorgaben zu halten, weil es sich dabei um einen Vertrag mit «Personen» handle, zu denen er ja nicht zähle.
Experte schätzt: 2000-3000 Staatsverweigerer in der Schweiz
Genaue Zahlen zu den Staatsverweigerern gibt es in der Schweiz nicht. Dirk Baier sagt: «Wir haben in unseren Befragungsstudien festgestellt, dass circa zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung einem solchen Weltbild tendenziell zustimmt.» Auf 2000-3000 Personen schätzt Baier die Grösse der Gruppe. Staatsverweigerer sind bislang nur in der Deutschschweiz aktiv, «und hier noch einmal stärker in der Ostschweiz». Letztere ist gemäss dem «St. Galler Tagblatt» sogar eine Hochburg.
Eine SRF-Recherche mit sämtlichen Steuerbehörden der Schweiz zeigte: Praktisch alle Deutschschweizer Kantone, von Basel-Land bis Graubünden, vom Wallis bis Schaffhausen verzeichnen einen Mehraufwand wegen renitenter Staatsverweigerer.
Die Gefahr dieser Personen ist real
Und was wollen die Staatsverweigerer? «Sie wollen in Ruhe gelassen werden», sagt Baier. «Dies klingt gar nicht so schlimm. Entscheidender Punkt ist, dass sie sich dann auch ihren Pflichten als Staatsbürger entziehen wollen.» Dort beginne laut Baier die Problematik: «Wir müssen uns alle an Grundregeln halten, Steuern bezahlen, Ausweise beantragen. Die Staatsverweigerer meinen, selbst entscheiden zu können, was ihre Rechte und Pflichten sind.»
Der Fall Pfäffikon ZH zeigt laut Baier, dass die Gefahr dieser Personen real ist: «Diese Menschen und die von ihnen geäusserten Drohungen sind ernst zu nehmen.» Für Sepp U. gilt die Unschuldsvermutung.