Hier organisieren und unterstützen sich die Staatsverweigerer
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«Ihr korrupten Freimaurer!»:So irr wüten Staatsverweigerer auf Telegram

Blick undercover bei Seminaren für Staatsverweigerer
Querulanten üben den Aufstand gegen die Schweiz

Staatsverweigerer zahlen keine Steuern. Manche denken, die Schweiz ist eine Firma. Und: Sie sind in der ganzen Schweiz auf Werbetour, geben Kurse. Blick hat undercover zwei solcher Veranstaltungen besucht.
Publiziert: 27.10.2023 um 22:01 Uhr
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Sieht aus wie eine Kaffeefahrt, ist aber eine Staatsverweigerer-Veranstaltung in Thun BE. Rund 60 Besucher zählt die Blick-Reporterin.
Foto: Zvg

Sie zahlen keine Steuern und die Polizei ist ihr Feindbild. Von den Behörden lassen sie sich nichts sagen, denn sie glauben, dass die Schweiz nur eine Firma ist. Im ganzen Land breiten sich Staatsverweigerer aus. Schätzungen gehen von einigen 1000 schweizweit aus, die der Szene zuzurechnen sind. Sie beschäftigen Gerichte und Ämter: «Ich hatte im vergangenen Jahr fast wöchentlich mit einem solchen Fall zu tun», sagt ein ehemaliger Statthalter gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Und der Wahnsinn breitet sich schnell aus. Die Staatsverweigerer sind auf Werbetour. Sie halten jede Woche Vorträge und geben Kurse in der ganzen Schweiz, meist versteckt von der Öffentlichkeit. Blick hat zwei der Veranstaltungen undercover besucht.

Der erste Anlass findet an einem Freitagabend Anfang Mai in einem Restaurant in Thun BE statt. Rund 60 Interessierte haben sich im Saal hinter zugezogenen Vorhängen versammelt, um sich einen Vortrag unter dem Titel «Staatssimulation» anzuhören. Die gleichnamige Gruppe auf der Plattform Telegram (2000 Mitglieder) lässt erahnen, was Redner Marc* erzählen wird.

«Ich war extrem über die anwesenden Leute irritiert»
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Blick am Querulanten-Seminar:«Ich war extrem über die anwesenden Leute irritiert»

Revolution mit Bier und Rivella

Die Mehrheit der Besucher ist über 50 Jahre alt, fast alle sind Schweizer, dazu einzelne Deutsche. Es wirkt eher wie Kaffeefahrt als Revolution – mit Bier und Rivella. Dann betritt «Mensch» Marc die Bühne. Und wettert drei Stunden über den Staat («eine Firma»), die Polizei («Ganztagskostümierte») und die Betreibungsämter («sehe nicht ein, warum ich zahlen soll»).

Eine Frau aus dem Publikum meldet sich, sagt, sie habe ihre Identitätskarte zurückgeschickt. Und meint, für die Behörden darum nicht mehr zu existieren. Redner Marc sagt: Es sei möglich, sich dank eines administrativen Tricks vom Staat abzunabeln. Danach besitzt man quasi diplomatische Immunität. Die Zuhörer sind begeistert und spenden fleissig.

Die Schweizer Staatsverweigerer sind nicht einfach Querulanten. Sie sind vernetzt, haben ein gemeinsames Weltbild. Viele definieren sich wie der Kursleiter als «Mensch». Die Staatsverweigerer grenzen sich damit vom behördlich verwendeten Wort «Person» ab. Und glauben, sich so sämtlicher juristischer und finanzieller Verantwortung entledigen zu können. In Deutschland wird die Bewegung «Reichsbürger» genannt. Dort kam es bereits zu Gewalt: 2017 erschoss ein Reichsbürger einen Polizisten. Diese Woche startet ein Prozess gegen eine Reichsbürger-Gruppe, die den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (60) entführen wollte.

Ex-Priester lässt Rechnungen verschwinden

Zwei Tage nach der Veranstaltung in Thun findet in Affoltern am Albis ZH ein «Kurs für Fortgeschrittene» statt, wie es bei der Anmeldung heisst. Kursleiter Beat* beherrscht laut eigenen Angaben die Kunst, «Mensch» und «Person» zu trennen. Und so Rechnungen verschwinden zu lassen. «Ich konnte soeben einen Zahlungsbefehl löschen lassen», triumphiert er auf Telegram unter dem Titel «Erfolgsmeldung». Die unverständliche Erklärung: Er habe seine Krankenkasse mit einer «gebondeten Promissory note» ausgeglichen. Beat, ein ehemaliger Priester, ist bereit, sein Wissen um die Finanz-Alchemie in einem ganztägigen Kurs weiterzugeben – gegen 250 Franken «Ausgleich».

Neun Leute reisen aus der ganzen Deutschschweiz an, darunter auch ein Blick-Reporter. Ein grauhaariger Maler aus dem Baselbiet ist mit dem Buden-Wägeli gekommen und schimpft über die Polizei. Ein esoterisch angehauchtes Paar mittleren Alters kommt aus einer Zürichsee-Gemeinde. Eine Mutter erzählt, wie sie wegen der Kinder ihre Maskenbusse zähneknirschend doch bezahlte, als Haft drohte – «den Kindern zuliebe».

Mit Standard-Vorlagen ins Querulantentum

Was Beat hier anbietet, ist ein Querulanten-Kurs. Inklusive Brief-Vorlagen, um aus dem System auszusteigen. Stundenlang beschreibt er das Vorgehen: Unter vielem anderem sollen die Staatsverweigerer-Novizen eine «Souveränitätserklärung» an Alain Berset und eine Vollmacht an Thomas Jordan schicken. Das Rezept ist kompliziert, es werden fleissig Notizen gemacht.

Am Rande erwähnte Nebenwirkung: Angehende Staatsverweigerer dürften mit der Methode schnell zu Stammkunden bei der «Firma» Betreibungsamt werden. «Willkür» nennt das der Kursleiter. Ein Besucher will wissen: «Beginne ich lieber mit einer kleinen Rechnung oder gleich mit einer grossen Steuerrechnung, damit es sich lohnt?» Beat empfiehlt, mit der Radio- und Fernsehgebühr zu starten. Er hat auch dazu eine Vorlage.

«Ich werde mich wehren»

Das erwartbare Resultat sind regelrechte Behörden-Kleinkriege, die dann gerne wieder auf Telegram verbreitet werden. Es kursieren diverse Videos im Netz: Ein älterer Herr aus der Deutschschweiz hat eine Serie von Filmchen veröffentlicht, wie er im Treppenhaus mit der Polizei streitet, wenn diese mal wieder mit einem Zahlungsbefehl vor der Türe steht.

Auf Telegram macht auch ein Droh-Video die Runde: Ein Ostschweizer Mittvierziger droht der Polizei, während er mit einem Brief herumfuchtelt. «Wenn diese Türe aufgeht, wisst ihr nicht, wie viele Leute dahinter sind», sagt er. Er filmt den Ausraster, veröffentlicht die Aufnahme auf seinem Kanal. Und erreicht Tausende. Offenbar hat der Mann Bussen nicht bezahlt und müsste ins Gefängnis. Stattdessen ist seine Ansage an die Polizei: «Wenn ihr irgendwelche Söldner mit Dienstausweis hierher schickt, dann wehre ich mich.»

Beide Kursleiter liessen Fragen von Blick unbeantwortet. Ex-Priester Beat schreibt, die Informationen aus seinem Kurs seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

*Namen geändert 

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