Widersprüchliche Aussagen
Geschichte der ersten Sarco-Kandidatin wirft Fragen auf

Laut der «NZZ» erhob die 55-jährige Amerikanerin, die als Erste in der Suizidkapsel sterben sollte, in einem Brief schwere Vorwürfe gegen die Sterbehilfeorganisation. Nun zeigen Dokumente, dass sie sich kurz zuvor gegenteilig äusserte.
Publiziert: 11.08.2024 um 10:12 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2024 um 09:03 Uhr
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Vor drei Wochen präsentierten Exit International und The Last Resort die Suizidkapsel Sarco den Medien.
Foto: AFP
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Joschka SchaffnerRedaktor Politik

Es sind schwere Vorwürfe, die Jessica Campbell* (†55) in einem Schreiben hinterlässt. Die Amerikanerin berichtete, sie sei durch die Sterbehilfeorganisation Exit International und die Sarco-Chefs Fiona Stewart (58) und Florian Willet (47) von The Last Resort finanziell ausgebeutet und von Beginn weg zu Öffentlichkeitsarbeit gedrängt worden.

So sei sie etwa von den teuren Hotelbuchungen, die Stewart für sie vornahm, völlig überfordert gewesen. Zudem hätten Stewart und Willet in der Schweiz darauf bestanden, ihre eigenen Ausgaben von Campbells Kreditkarte abzubuchen. Und auch als Campbell nach Schottland reisen wollte, um die Asche ihrer Eltern zu verstreuen, habe sie für die Kosten von Begleiterin Stewart aufkommen müssen.

Widersprüchliche Aussagen

Die Amerikanerin sollte der erste Mensch sein, der im Sarco stirbt. Wegen eines Nierenleidens und einer Nervenerkrankung war sie stark übergewichtig und im Rollstuhl. Sie entschied sich dafür, so nicht mehr leben zu wollen. Und kontaktierte im Sommer 2023 Exit International. Doch der Tod im Sarco passierte nicht. Am 11. Juli, knapp eine Woche vor der geplanten Durchführung, endete der Kontakt zwischen The Last Resort und Campbell.

Dokumente, die Blick vorliegen, zeigen: Campbells Aussagen vor und nach dem Kontaktabbruch widersprechen sich in mehreren Punkten deutlich. Textnachrichten zeigen Campbells Wünsche nach Luxusübernachtungen. The Last Resort wies Campbell zudem mehrfach auf die hohen Kosten hin. Und auch für die Reise nach Schottland trug Begleiterin Stewart ihren Teil der Kosten selbst, wie Auszüge belegen.

Während ihrer Zeit in der Schweiz zeichnete Frau Campbell auch zahlreiche Video-Tagebücher auf, in denen sie sich wiederholt positiv über die Organisation und Begleitung durch Stewart und Willet ausdrückte. Und sie zeigte sich interessiert an direktem Kontakt mit mehreren Journalisten. Auch Filmaufnahmen für einen Dokumentarfilm – beispielsweise während ihrer Fahrt im Glacier Express – befürwortete die Sarco-Kandidatin ausdrücklich.

Sarco-Chefs fühlten sich von Medienanfrage überrumpelt

Im Artikel der «NZZ» fehlen diese Belege. Ein Versäumnis? «Wir bleiben bei unserer Darstellung», teilt die Zeitung auf Anfrage von Blick mit. Wie im Bericht ersichtlich sei, hatte Exit International die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Florian Willet moniert, man sei von den Vorwürfen der Zeitung überrumpelt gewesen. Denn bis zu dem Punkt sei ihnen nicht bekannt gewesen, ob Campbell sich überhaupt noch in der Schweiz aufhält.

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Darüber, warum es schlussendlich zum Zerwürfnis kam und sich Campbell gegenteilig äusserte, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Gemäss Stewart und Willet habe sich Campbells mentaler Zustand in ihrer Zeit in Zermatt VS verschlechtert. Dadurch sei ihr auch der Zugang zum Sarco schlussendlich aberkannt worden.

Campbell selbst sah sich durch zahlreiche Medienberichte über strafrechtliche Konsequenzen beim Einsatz des Sarcos bedroht. Sie brach daher den Kontakt mit The Last Resort am 11. Juli ab. Textnachrichten, die Blick vorliegen, scheinen dies zu bestätigen.

Weshalb kam es zum Zerwürfnis?

Gemäss Campbells Brief fühlte sie sich durch den Medienrummel von Exit International belogen. «Hätte ich gewusst, dass die zutiefst herzlosen Menschen, die mein Schicksal in der Hand hielten, hauptsächlich getrieben sind von ihrer eigenen Medienpräsenz und ihrem Marketing, hätte ich mich nie dieser Tortur ausgesetzt», schreibt die Sarco-Kandidatin im Brief.

Willet und Stewart seien sich über diesen Entscheid nicht bewusst gewesen, wie sie sagen. Weshalb aber auch ein Betreuer, der mit Campbell in Zermatt weilte, mit ihr verschwand, können sie nicht erklären. Ein Tag nach dem Kontaktabbruch, am 12. Juli, rief Exit-International-Chef Philip Nitschke den Betreuer an. Gemäss eigenen Angaben, um ihm zu mitteilen, dass Campbells Zugang zum Sarco widerrufen würde. «Entgegen der früheren Überprüfung sah ich in den letzten Wochen Episoden kognitiver Entgleisungen, die in einem Fall an eine Psychose grenzten», schrieb Nitschke der «NZZ».

Zwei Wochen später starb Campbell. Sie nahm die Dienste einer anderen Sterbehilfeorganisation in Anspruch. Laut Willet erfuhr dies The Last Resort erst, nachdem aufgrund der Medienanfrage der «NZZ» eine Vermisstenmeldung aufgegeben worden war.

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