Die Premiere der umstrittenen Suizidkapsel Sarco ist Mitte Juli definitiv geplatzt. Nach dem gewaltigen Medienrummel und dem Verbot durch die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen krebste der Entwickler der Kapsel am Sonntag vor einer Woche mit einer Mitteilung zurück. Der Australier Philip Nitschke (76) schob die Absage der Premiere auf die «Verschlechterung des psychischen Zustands» der Person, die mit dem Sarco aus dem Leben hätte ausscheiden sollen. «Angesichts ihrer Situation ist es klar, dass diese Person nun eher psychische Betreuung als Beihilfe zum Selbstmord erhalten sollte», erklärte er.
Jetzt kommt ans Licht: Die Patientin Jessica Campbell* (†55), die aus dem US-Bundesstaat Alabama bereits in die Schweiz eingereist war, ist mittlerweile aus dem Leben geschieden. Eine Schweizer Sterbehilfeorganisation habe ihrem Wunsch entsprochen, schreibt die NZZ. Der Zeitung liegt ein Brief von Campbell vor, worin die Amerikanerin schwere Vorwürfe gegen Exit International – Betreiber der Suizidkapsel – erhebt.
Die Krankheiten von Campbell
Campbell brauchte wegen eines Nierenleidens eine Dialyse, ausserdem habe sie an Polyneuropathie gelitten – einer Erkrankung des peripheren Nervensystems. Sie sei wegen ihrer Krankheiten an den Rollstuhl gefesselt und stark übergewichtig gewesen, berichtet die NZZ. Weil auch diverse Schmerzmittel nichts nützten, entschied sie sich für Suizidhilfe. Im Sommer 2023 wurde sie auf das Angebot von Exit International aufmerksam. Und wurde in der Folge als allererste Sarco-Patientin auserkoren.
Über die Niederlande reiste Campbell vor wenigen Wochen in die Schweiz ein – bereit, mit dem Sarco aus dem Leben auszuscheiden. Dafür verkaufte sie laut fast alles, was sie besass, und flog mit 40'000 Dollar in die Niederlande. Seit ihrer Ankunft habe sie «finanzielle Ausbeutung» und «Medienstress» erlebt.
Sarco-Verantwortliche buchten persönliche Ausgaben von Campbells Kreditkarte ab
Sie wurde in Luzern in ein luxuriöses Hotel eingebucht, das für fünf Nächte über 7000 Dollar gekostet habe, schreibt Campbell. «Ich war völlig überrumpelt.» Als «einfaches Südstaaten-Girl» habe sie sich in der Luxusunterkunft völlig fehl am Platz gefühlt. Der schwerwiegendste Vorwurf: Ihr Betreuer Florian Willet von Exit International sowie Fiona Stewart, die Lebenspartnerin von Nitschke, hätten sie finanziell ausgebeutet. Beide hätten darauf bestanden, ihre eigenen persönlichen Ausgaben – Lebensmittel, Restaurantrechnungen und Tickets – von Campbells Kreditkarte abzubuchen. «Du wirst sowieso bald sterben, also brauchst du dein Geld nicht mehr», habe Stewart zu ihr gesagt.
Am Ende stand Campbell ohne Geld da. Zudem sei sie von dem Moment an, als sie in Europa ankam, von Journalisten umlagert worden. Selbst bei privaten Momenten wie dem Verstreuen der Asche ihrer Eltern in Schottland sei sie zu einem Medienspektakel gedrängt worden. Obwohl sie immer wieder um Ruhe bat, habe man nicht locker gelassen. «Der Medienzirkus stand immer im Vordergrund, während ich immer kränker und schwächer wurde», schreibt Campbell. Sie habe sich ausgenutzt gefühlt, als blosses Mittel zum Zweck.
«Ich habe alles geopfert»
Die Sarco-Verantwortlichen bestreiten die Vorwürfe. Florian Willet bezweifelt gegenüber der NZZ, dass die «Unterstellungen» überhaupt von der «richtigen» Jessica stammen. Er hält fest: «Unsere erheblichen eigenen Reisekosten wurden von niemand anderem als uns selbst getragen.» Auch von Medienstress will Exit International nichts wissen. «Sie schien an Aufmerksamkeit und an Gesprächen mit Journalisten allgemein Freude zu haben», so Willet.
Als die Premiere mit Campbell nicht zustande kam, liessen die Sarco-Leute Campbell einfach sitzen – verzweifelt und ohne Geld. «Ich habe alles geopfert, alle Ressourcen aufgebraucht und alle Verbindungen abgebrochen, in dem Glauben, Sarco werde mir ein friedliches Ende bieten», schreibt die Amerikanerin im Brief. Und weiter: «Hätte ich gewusst, dass die zutiefst herzlosen Menschen, die mein Schicksal in der Hand hielten, hauptsächlich getrieben sind von ihrer eigenen Medienpräsenz und ihrem Marketing, hätte ich mich nie dieser Tortur ausgesetzt.»
*Name geändert