Nur eine kleine Kerze vor der Wohnungstür gibt einen Hinweis darauf, welch tragisches Schicksal den Bewohner am Montag ereilt hat. David M.* (†41) wurde in seiner Firma erschossen. Er ist eines der beiden Opfer der Bluttat von Sitten VS von Montag.
Bei den Nachbarn von M. ist die Betroffenheit gross. Serge I.* (74) sagt zu Blick: «Er wurde einfach so aus dem Leben gerissen. David wollte am Morgen arbeiten gehen, stattdessen fand er den Tod.» Er könne es kaum glauben, dass der Mann, der seit zehn Jahren neben ihm wohnte, nie mehr nach Hause kommen werde, so der Rentner.
Der Grund dafür ist Raphael B.* (36). David M. ist das zweite Opfer des Sittener Todesschützen. Die Tat hatte am Montag den Kanton Wallis in Atem gehalten. Zunächst schiesst der Walliser kurz nach 7 Uhr auf einem Parkplatz in Sitten auf Tara C.* (†34). Die Frau stirbt. Dann begibt sich B. weiter zu einem nahegelegenen Malerbetrieb, bei dem er einst arbeitete. Dort streckt er mit einer Schusswaffe David M. und eine weitere Frau (49) nieder. Die Frau überlebt, David M. erliegt seinen Verletzungen. Der Schütze flüchtet. Nach einer achtstündigen Grossfahndung verhaften ihn Polizisten in Saint-Léonard VS.
Schon einmal Schicksalsschlag erlitten
Besonders tragisch: David M. ist schon einmal in grosser Gefahr gewesen. Vor vielen Jahren erlitt er einen Unfall, der so schwer war, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. «Weil ihm das passiert war, riet er mir immer, vorsichtig zu sein», sagt Michel W.* (20) zu Blick. Auch W. ist ein Nachbar von David M. – seit 2013. «Dass ihm nun ein so grosses Unglück widerfahren ist, macht mich unglaublich traurig», sagt der junge Mann.
Das Haus verliere mit David M. einen herzensguten, liebevollen und hilfsbereiten Nachbarn, sind sich Michel W. und Serge I. einig. «Wenn ich als Kind den Hausschlüssel vergessen hatte, liess mich David in seiner Wohnung Comics lesen, bis meine Eltern nach Hause gekommen sind», erinnert sich Michel W. und sagt weiter: «David war ein toller Nachbar, wie man ihn sich nur wünschen kann.» Es sind schmerzhafte Erinnerungen.
Schmerzhaft sind die aktuellen Tage und Stunden auch für die Familienmitglieder von Tara C.* Die Walliserin mit bosnischen Wurzeln war am Montagmorgen das erste Opfer von Raphael B. Am Tag nach der Tat konnte Blick mit Angehörigen von C. sprechen.
Mutter der getöteten Frau spricht mit Blick
Vor allem die Mutter ist am Boden zerstört, als Blick sie bei sich zu Hause trifft. Die Frau trifft das schlimmste Vorstellbare: Sie muss ihr Kind zu Grabe tragen.
Sie öffnet weinend die Tür: «Ja, sie war meine Tochter. Ich weiss im Moment nicht mehr als Sie», sagt sie zur Blick-Reporterin. «Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Ich bin nicht in der Lage, weiterzudiskutieren. Es tut mir leid.» Dann schliesst die Mutter, die ihre Tochter verlor, wieder die Tür.
Auch sehr traurig, aber gefasster ist Adem C.*, der Cousin von Tara C. Er wohnt nahe der Firma, in der Raphael B. seine Tat fortsetzte – und David M. tötete. Adam C. sagt, er habe die Schüsse gehört. «Das hat mich geweckt.» Was genau am gestrigen verhängnisvollen Montag passierte, weiss er aber nicht – auch er wartet noch auf den Polizeibericht.
Doch er erinnert sich noch genau an den Moment, als er die Schreckensnachricht erfuhr: «Als mein Vater mir gestern von Taras Tod erzählte, wollte ich es nicht wahrhaben.» Seine Cousine und er hätten sich nahegestanden, sagt Adem C. «Leider hatten wir uns aber seit Monaten nicht mehr gesehen. Jeder hatte sein eigenes Leben zu führen.»
«Fröhliche und aufgeschlossene Frau»
Den Charakter seiner Cousine kann er aber gut beschreiben: «Sie war eine sehr fröhliche und aufgeschlossene Frau.» Erst in diesem Frühjahr sei sie mit ihrem Partner in eine neue Wohnung gezogen. Adem C. erklärt: «Sie waren schon seit Jahren zusammen.» Von Raphael B. habe Tara C. ihm aber nie erzählt.
Im Gegensatz zu Adem C. hat ein junger Mann, mit dem Blick sprechen konnte, sehr wohl in der jüngsten Vergangenheit Kontakt mit dem Opfer. Er war Studienkollege von Tara C. und heisst Antoine P.*. Tara C. habe seit 2021 eine Ausbildung im Finanzsektor im Kanton Waadt absolviert.
Antoine, der die gleichen Kurse besucht, erzählt Blick am Telefon mit zitternder Stimme: «Noch vor zwei Wochen haben wir zusammen bei Freunden in Leysin VD gelernt. Sie war erst seit kurzem mit ihrem Partner verlobt.» Tara C. habe eine schwierige Jugend gehabt, meint Antoine. «Es hatte lange gedauert, bis sie sich sortiert hatte. Aber jetzt schien sie glücklich zu sein.»
Tara habe Raphael B. bereits ihm gegenüber erwähnt, berichtet Antoine: «Einmal, vor etwa einem Jahr, sprach sie beim Mittagessen über einen Typen, der sie verfolgte: in sozialen Netzwerken, aber nicht nur dort. Er sei auch schon unten in ihrem Haus gewesen.» Sie habe rechtliche Schritte unternommen, um ihn fernzuhalten. «Ich dachte, das hätte ihn beruhigt», sagt Antoine. «Offenbar war das nicht der Fall.»
* Namen geändert