Ältere Menschen kennen das: Die Kinder sind ausgeflogen, das Eigenheim ist plötzlich viel zu gross, die Leere fast körperlich spürbar. Was tun?
«Das hier ist kein Ferienhaus, auch wenn es sich ein wenig wie Camping anfühlt», sagt die grauhaarige Frau mit dem farbigen Pullover. Christina Joss Brunner (56) wohnt seit Herbst in einem Kleinsthaus am Bielersee. Sie hat ihr Leben reduziert. 35 Quadratmeter sind ihr geblieben. Im Alltag kann sich das, wenn weder Keller noch Estrich vorhanden sind, als beengend herausstellen.
Also verstaute sie das WC-Papier unter dem Bett, stapelte Kisten bis unter die Decke und mistete vor dem Umzug aus: «Zuerst habe ich alle Sachen fotografiert – und dann weg damit.»
Joss erfüllte sich einen Jugendwunsch
Aufgewachsen ist Frau Joss Brunner in einem Bauernhaus. Schon als 17-Jährige wünschte sie sich irgendwann ein Leben in einem kleinen Häuschen, möglichst am Wasser.
Mit 29 lernte sie einen Bauern aus Kappelen im Berner Seeland kennen. Sie gründeten eine Familie, bekamen drei Kinder und übernahmen den Hof: Ein Haus mit sieben Zimmern, Stall, Schopf, Keller, Estrich ... viel Platz, aber auch viel zu tun!
Mittlerweile sind die Kinder erwachsen, die Beziehung endete, es wurde Zeit, sich den Jugendwunsch zu erfüllen.
145'000 Franken für den Prototyp
Der Trend zu Minihäusern, seit ein paar Jahren in aller Munde, kam Joss Brunner gerade gelegen. Ihr Haus, ein Prototyp, entdeckte sie an einer Eigenheim-Messe. Wer nun denkt: kleines Haus, kleiner Preis – der irrt. «145'000 Franken bezahlte ich für mein Bijou», sagt Joss. Die Isolation sei top, absolut wintertauglich.
Nur: Keine Bank spricht für so etwas eine Hypothek. Weil das Fundament fehlt, gelten Minihäuser – wie Wohnmobile – als sogenannte Fahrnisbauten. Freunde und Familie halfen mit privaten Darlehen weiter.
Also: Wie viel Platz, wie viele Dinge braucht der Mensch? «Eine Decke, ein Bett, ein warmes Badezimmer und eine Küche», sagt Christina Joss Brunner. Romane habe sie genug gelesen. Also keine Bücher. Auch kein TV. Zeitungen dito.
Reicht der Platz für eine Kaffeemaschine?
Die Position des Stuhls hat sie mit Filzstift am Boden markiert. Es war Millimeterarbeit: Wenn er exakt so steht, gehen Schiebetür, Kühlschrank und Backofen gerade noch auf. Auf Besucher wirkt die Enge rasch drückend. Nicht so für die Besitzerin, die mehrere Jobs ausübt, etwa in einer Tierarztpraxis oder als Chauffeurin in einem Kleinbusbetrieb: «Ich plane hier meinen Lebensabend!»
Wenn Besuch vorbeikommt, kann der gleich beim Anrichten mithelfen. Der Schrank wird zum Tisch umfunktioniert, das Sofa dient als Sitzbank, Dinge werden aus dem Weg geschoben. «Zu viert essen geht locker.»
Sie überlegt sich, eine Kaffeemaschine anzuschaffen. Den Fertigkaffee hat sie langsam satt. Sie schaut zur Küche: Zwei Herdplatten, Mikrowelle, Spülbecken. «Reicht der Platz?»