Wer ist der Stärkste?
Videos von Schlägereien sind Trophäen für die Täter

Die Jugendgewalt steigt, und die brutalen Taten werden stolz auf Social Media gezeigt. Woher kommt diese Entwicklung und wie kann man den Trend umkehren?
Publiziert: 15.05.2022 um 12:16 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2022 um 10:23 Uhr
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Die Gewalt zwischen Jugendlichen nimmt stetig zu. Oft werden die brutalen Auseinandersetzungen gefilmt und auf Social Media veröffentlicht.
Dominik Mate

Hast du auf Social Media schon echte Gewalt gesehen? SonntagsBlick stellte die Frage auf Instagram. 363 Jugendliche haben geantwortet. Das Resultat ist erschütternd: 86 Prozent wurden gelegentlich oder schon häufig mit Gewaltdarstellungen konfrontiert.

Videos von Schlägereien machen im Netz in Windeseile die Runde und erreichen schweizweit Zehntausende. Trophäen, wie die Skalps von getöteten Feinden in Karl-May-Romanen, nennt Lothar Janssen (63) die gefilmten Gewalteskalationen. Janssen ist Theologe, Psychotherapeut sowie Präsident des Schweizer Instituts für Gewaltfragen. Er sagt: «Derartige Auseinandersetzungen haben in den letzten Jahren nicht unbedingt zugenommen. Sie sind durch die Informationsflut in den sozialen Medien aber offensichtlicher geworden.

Es geht um Anerkennung, Aufmerksamkeit, ein falsches Ehrgefühl und das Bedürfnis, der Stärkste zu sein. Nach dem Adrenalin während der Schlägerei folgt der Dopaminkick durchs Posten der Tat auf Social Media.

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Anerkennung und Verständnis von «Freunden»

Welchen Einfluss haben solche Videos auf Jugendliche? Wie gehen sie mit Szenen physischer und psychischer Erniedrigungen um? In unserer Umfrage sind die Meinungen klar: Gewaltvideos werden weggeswipt und sogar gemeldet, die Taten gelten keinesfalls als cool. «Dieses Verhalten trifft aber nicht auf alle Jugendliche zu», sagt Lothar Janssen. Junge Menschen, die gefestigt sind, beispielsweise in einen Sportverein gehen und ein stabiles Umfeld haben, ignorieren Gewalt in den sozialen Medien. «Labile Jugendliche aber können dafür durchaus empfänglich sein. Die Gewalttäter werden zu Helden stilisiert, schaffen eine Identifikationsgrundlage für perspektivlose Jugendliche und verleihen ein Gefühl der Hoffnung auf Anerkennung und Macht.»

Die Onlineradikalisierung islamistischer oder rechtsextremer Gruppierungen fusst auf dem gleichen Prinzip: Die Jugendlichen erfahren Anerkennung und Verständnis von ihren neuen «Freunden», schotten sich immer mehr ab und befinden sich bald schon in einer virtuellen Echokammer, in der alle die gleiche Meinung teilen. Am Ende des Weges stehen Gewalttaten.

Dranbleiben ist der Schlüssel zum Erfolg

Was also tun, um die Verbreitung von Gewaltvideos einzuschränken und Jugendliche zu schützen? Für Chantal Billaud (55), stellvertretende Geschäftsleiterin der Schweizerischen Kriminalprävention, ist Zensur im Netz in offenen Gesellschaften nicht realistisch. Viel wichtiger sei es, den Jugendlichen die Risiken der dunklen Orte im Netz aufzuzeigen und ihnen dabei zu helfen, sie richtig einzuordnen. «Die Eltern müssen ihre Kinder in der digitalen Welt begleiten.» Dabei spielt es für Billaud keine Rolle, dass Eltern oft selbst nicht technisch versiert sind: «Ich muss auch nicht Snowboarden können als Elternteil, wenn ich meinen Kindern eine Helmpflicht auferlege.»

Problematisch sind oft jene Kinder, die zu Hause vernachlässigt und damit von ihren Eltern auch nicht an die Hand genommen werden im richtigen Umgang mit den sozialen Medien. Hier müssten die Schulen diese Funktion übernehmen, sagt Lothar Janssen. Er selber versucht diese Rolle als Lehrer und Schülerberater an den Zürcher Kantonsschulen Uster und Uetikon am See auszufüllen. Stetes Dranbleiben an den Jugendlichen ist für ihn der Schlüssel zum Erfolg. «Es braucht Ansprechpersonen, die glaubwürdig und immer bereit sind, den Jugendlichen zu helfen, und sie im Umgang mit den sozialen Medien sensibilisieren.» So können Konflikte an ihrem Ursprung bekämpft werden und die Schüler lernen Probleme zivilisiert untereinander zu lösen.

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