Im Dezember hiess es, der berühmteste Häftling der Schweiz, Brian Keller (28) kommt frei. Doch das Obergericht sah ein zu grosses Risiko darin, ihn freizulassen und beantragte U-Haft. Das Anwaltsteam zog den Fall ans Bundesgericht – und scheiterte. «Brian wird aufgrund purer Vermutungen jede Chance auf ein Leben in Freiheit genommen», sagt Rechtsanwalt Philip Stolkin.
Das Zürcher Obergericht stützte sich bei der Abweisung von Brians Beschwerde gegen die Anordnung der Untersuchungshaft auf ein psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2019.
In seinem Beschluss habe das Obergericht jedoch zutreffend festgehalten, dass für eine zukünftige Haftprüfung eine neue Analyse erstellt werden müsse. Dies schreibt das Bundesgericht in einem am Freitag veröffentlichten Urteil.
Wegen neuer Delikte in Haft
Die Haft wurde von der Staatsanwaltschaft wegen der Untersuchung von Delikten angeordnet, die Brian in der Zeit von November 2018 und Ende Juni 2022 unter anderem in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf ZH begangen haben soll. Dem Häftling wird unter anderem versuchte schwere Körperverletzung vorgeworfen.
So soll er das Sicherheitsglas der Zellentür zerschlagen haben. Ein handflächengrosses, 1,2 Zentimeter dickes Stück davon habe er in Richtung der leicht geöffneten Zellentür geschleudert. Dabei streifte das Bruchstück den Kopf eines Wärters, der leichte Schnittverletzungen davontrug.
Brian habe gewusst, dass sich Personen hinter der Türe befunden hätten. Es sei dem Zufall zu verdanken, dass das Glasstück den Angestellten nicht mitten im Gesicht oder gar am Auge traf, hielt das Obergericht in seinem Beschluss fest. Zu dieser Tat kommen 32 weitere hinzu. Dabei geht es immer wieder um Gewalt und Drohung gegen die Wärter.
Laut Gericht besteht Wiederholungsgefahr
Das Bundesgericht folgt der Sicht des Zürcher Obergerichts, das die Wiederholungsgefahr mit den Vortaten begründete und der im Gutachten festgestellten dissozialen Persönlichkeitsstörung mit ausgeprägten psychopathischen Wesenszügen. Dass Rückfallgefahr bestehe, ist für die Anwälte von Brian nicht nachvollziehbar. «Alle Delikte, die Brian vorgeworfen werden, fanden, wenn überhaupt, innerhalb der Gefängnismauern statt und waren gegen Aufseher gerichtet. Weshalb sollte er da eine Gefahr in Freiheit sein?», sagt Rechtsanwalt Thomas Häusermann.
Es zitiert aus dem Gutachten, wonach Brian eine andauernde oppositionelle Haltung ohne Rücksicht auf die Konsequenzen einnehme. Er eskaliere sein Verhalten regelmässig – sei es, um in eine andere Anstalt versetzt zu werden oder dem von ihm feindlich eingestuften System einen möglichst grossen Schaden zuzufügen.
Nicht so viel Gewicht wie der Betroffene misst das Gericht dessen deutlich besserer Führung im Gefängnis Zürich bei, in welches er im Januar 2022 verlegt wurde. Einen Teil der neuen Delikte hat Brian gemäss Urteil dort begangen.
Brian wurde vom Zürcher Obergericht im Mai 2021 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt. Von einer Massnahme oder einer Verwahrung – wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte – sah das Obergericht ab.
«Unser höchstes Gericht begründet ihr Urteil mit schieren Vermutungen und Unterstellungen, und stellt noch dazu auf einen alten Bericht eines befangenen Gutachters ab», ergänzt Rechtsanwalt Bernard Rambert.
Es drohte Überhaft
Die vorgeworfenen Delikte, die von Sachbeschädigung über Drohung, Beschimpfung bis zu versuchter schwerer Körperverletzung reichen, ereigneten sich alle während eines Freiheitsentzugs in verschiedenen Gefängnissen. Das Bundesgericht hob das Urteil im November 2021 auf und wies es zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück.
Vergangenen Oktober ordnete das Obergericht eine Entlassung von Brian aus der Sicherheitshaft an. Es befand, dass die Dauer der Haft angesichts der zu erwartenden Freiheitsstrafe nicht mehr verhältnismässig sei. Noch bevor Brian freigelassen wurde, liess ihn die Zürcher Staatsanwaltschaft erneut verhaften und wegen der neuen Delikte in Untersuchungshaft versetzen. (jwg/SDA)