Er will nur noch raus. Seit über fünf Jahren befindet sich Brian Keller (27), bekannt geworden unter dem Pseudonym «Carlos», ununterbrochen hinter Gittern. Jetzt hätte der bekannteste Häftling der Schweiz tatsächlich freikommen können. Das Zürcher Obergericht hatte seine Freilassung aus der Sicherheitshaft angeordnet, da bei Brian Keller Überhaft drohe. Das bedeutet, dass die bereits abgesessene Haftzeit die zu erwartende Strafe übersteigen könnte.
Doch die Zellentüren bleiben für Brian Keller wohl weiterhin verschlossen. Die Zürcher Staatsanwaltschaft gab am Donnerstag bekannt, dass sie für den 27-Jährigen Untersuchungshaft beantragen will. Allerdings wurde der Antrag noch nicht eingereicht, wie Erich Wenzinger (48) von der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft gestern auf Anfrage von Blick bestätigte.
In einem Fall geht es um schwere Körperverletzung
Es geht um insgesamt 33 Delikte, die der Dauerdelinquent hinter Gittern verübt haben soll. Und zwar zwischen November 2018 und Juni 2022. «Es geht dabei namentlich um einen Fall von versuchter schwerer Körperverletzung, um mehrfache Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, mehrfache Sachbeschädigung, mehrfache Drohung, einfache Körperverletzung», so Wenzinger zu Blick. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft besteht Wiederholungsgefahr.
Laut Brians Anwälten betreffen die Vorfälle ausschliesslich die Zeit, in der er in Einzelhaft sass. «Brian wehrte sich gegen diese unzulässige Form der Isolationshaft, er befand sich in einer Notstandssituation», sagte Rechtsanwalt Thomas Häusermann (39) gestern bei einer Pressekonferenz.
«Er hat sich gegen unmenschliche Haftbedingungen aufgelehnt»
Sowohl der Uno-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer (52), als auch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter hatten die Haftbedingungen von Brian zu dieser Zeit kritisiert. «Brian hat sich aufgelehnt gegen diese unmenschlichen Haftbedingungen. Und dafür soll er nun in Untersuchungshaft», sagte Häusermann. Er wolle gegen die erneute Untersuchungshaft vorgehen, auch wenn die Aussichten auf Erfolg bescheiden seien.
Die Anwälte kritisierten weiter, dass eine von ihnen eingereichte Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch und Folter im Zusammenhang mit Brians Haftbedingungen von den Behörden auf die lange Bank geschoben würde. Seit über einem Jahr sei in der Sache praktisch nichts passiert.
Entscheid über U-Haft fällt nächste Woche
Über den neuen Antrag auf Untersuchungshaft wird das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Zürich voraussichtlich nächste Woche entscheiden. Der Entscheid kann an das Obergericht und danach an das Bundesgericht weitergezogen werden.
Bis zu einem rechtskräftigen Entscheid muss Brian Keller laut seinen Anwälten auf jeden Fall im Gefängnis bleiben. Der Traum von der Freiheit ist erst mal geplatzt. «Du wirst entlassen, aber bleibst im Gefängnis. Stellen Sie sich einmal vor, wie diese Nachricht bei ihm angekommen sein muss», sagte Rechtsanwalt Bernard Rambert (75). Brian Keller habe gefasst, aber enttäuscht auf die Hiobsbotschaft reagiert.
Brian: «Ich werde gewinnen»
Und dann verlas der Jurist noch eigene Worte des Problemhäftlings. Es sei einfach nur traurig und eines Rechtsstaates unwürdig. «Jeden Tag, an dem ich im Gefängnis sitze, wird es schwieriger, mich zu integrieren. Im Gefängnis lernt man ein ganz anderes Sozialverhalten als draussen.» Der Staatsanwalt habe doch viel Zeit gehabt, das Verfahren abzuschliessen. Doch kurz bevor er freikommt, werde der Antrag auf Untersuchungshaft beantragt. Das sei einfach nur unfassbar. Dennoch gibt Brian Keller nicht auf. Er bleibt trotzdem zuversichtlich, wieder als freier Mann leben zu können. «Ich bin sicher, dass das Recht eines Tages auf meiner Seite sein wird. Ich werde gewinnen.»