«Polizei fragte: Dürfen wir euch wegtragen?»
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Blick-Reporterin zur Räumung:«Polizei fragte immer: Dürfen wir euch wegtragen?»

Uno-Sonderberichterstatter kritisieren «exzessive Gewaltanwendung» bei Räumung von Klimacamp
Polizisten verteilten Besetzern Aprikosen

In einem Brief kritisieren drei Uno-Sonderberichterstatter die angeblich «exzessive Gewaltanwendung» bei der Räumung des Klima-Camps ZAD du Mormont. Blick-Recherchen zeigen ein anderes Bild.
Publiziert: 13.01.2022 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2022 um 08:10 Uhr
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Blick-Reporterin Luisa Ita war bei der Aktion im vergangenen Frühling vor Ort.
Foto: Blick
Fabienne Kinzelmann

Exzessive Gewalt, willkürliche Festnahmen von Demonstranten und medizinischem Personal, problematische Haftbedingungen: Nein, hier geht es nicht um die aktuelle Lage in Kasachstan, sondern um die Räumung des Klima-Protestcamps ZAD du Mormont bei Eclépens VD im vergangenen März.

So emotional war die Räumung
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Tränen bei den Aktivisten:So emotional war die Räumung

In einem Brief an Jürg Lauber, Schweizer Botschafter bei der Uno in Genf, äussern sich drei Uno-Sonderberichterstatter besorgt über die Vorwürfe der Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Sie seien der Ansicht, dass die Aktionen friedlichen zivilen Ungehorsam darstellen und durch das Völkerrecht geschützt sind, schreiben Clément Nyaletsossi Voule (Sonderberichterstatter für Versammlungsfreiheit), David Boyd (Umwelt) und Irene Khan (Meinungsfreiheit).

Zudem seien sie besorgt über die Strafen, zu denen einige Demonstranten verurteilt werden könnten. Diese «scheinen» den «berechtigten Zielen» dieser Personen «nicht angemessen» zu sein. Versendet wurde der erst jetzt veröffentlichte Brief bereits Anfang November.

«Dürfen wir euch wegtragen?», fragten die Beamten

Aufgeboten wurden die Uno-Sonderberichterstatter offenbar von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation sieht in der Räumung und den Strafen eine «unverhältnismässige Einschränkung der Grundfreiheiten».

Zankapfel ist der Hügel Mormont bei Eclépens im Kanton Waadt, wo der Zementmulti Holcim seinen Kalksteinabbau ausweitet. Aus Protest gegen den Ausbau erklärten Klimaaktivisten den Hügel im Oktober 2020 zur «Zone à défendre» (ZAD) – «Schutzzone».

Nach fünfmonatiger Besetzung evakuierten die Behörden das Protestcamp am Dienstag, dem 30. März 2021. Bei der Festnahme wurden mindestens 37 «Zadisten», die sich geweigert hatten, ihre Identität preiszugeben, per Strafbefehl zu 60 oder 90 Tagen Haft verurteilt. Insgesamt waren 200 Personen am Protest beteiligt, darunter auch zahlreiche Aktivisten aus dem Ausland.

Blick war während der Räumung vor Ort

Die Evakuierung des Mormont-Hügels verlief nach Einschätzung von Luisa Ita, Blick-Korrespondentin in der Westschweiz, allerdings sehr friedlich. «Die Polizisten fragten die Aktivistinnen und Aktivisten jeweils: Dürfen wir euch wegtragen oder möchtet ihr selbst laufen?» Journalisten hätten Presse-Westen und uneingeschränkten Zugang bekommen. Die Polizei sei extrem bedacht und langsam vorgegangen und habe den Einsatz zudem mit Polizei-Kameras dokumentiert.

Die Aktivistinnen und Aktivisten, die gegenüber Blick auch angekündigt hatten, nicht kampflos aufzugeben, wehrten sich mit Feuerwerk, fliegenden Dachziegeln und brennenden Barrikaden gegen die Räumung. Die Polizei wehrte sich einmal mit Tränengas und Gummischrot. Wie die Waadtländer Polizei am Abend mitteilte, zog sich ein Polizist gegen Ende des Einsatzes leichte Verletzungen an der Hand zu, nachdem es zu einer Explosion von pyrotechnischem Material gekommen war.

Anschliessend war die Räumung allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen. Erst am darauffolgenden Samstag – vier Tage nachdem die Polizei das Protest-Camp geräumt hatte – verliessen eine Klimaaktivistin und ein Klimaaktivist einen Baum. Insgesamt hatten sie rund 100 Stunden darauf ausgeharrt.

Baum-Besetzerin: «Die Polizisten verpflegen uns mit Aprikosen und Mandeln»

Nach Einschätzung von Blick-Reporterin Luisa Ita sei hier die einzige Situation gewesen, bei der die Sicherheitskräfte die Aktivisten etwas härter angepackt hätten. «Die Polizei nahm den Aktivisten auf dem Baum nach ein paar Tagen ihre Sachen weg.» Aus Sorge, dass sich eine oder einer der beiden verletzen könnte, verzichtete die Polizei auf ein gewaltsames Herunterholen der kletterfreudigen Aktivisten mit den Aktionsnamen «Grelinette» und «Écureil».

Die Behörden teilten auch mit, dass aus Sicherheitsgründen keine Seile durchgeschnitten wurden. Der Blick-Reporterin vor Ort sagten die Aktivisten, dass ein Seil abgeschnitten worden sei, mit dem sie sich freier in der Höhe hätten bewegen können. Dies sei aber nicht sicherheitsrelevant gewesen.

Die Polizisten seien nett, sagte die Aktivistin Écureil einen Tag nach der Räumung noch zu Blick. «Sie verpflegen uns mit Aprikosen und Mandeln.» Zusammen mit etwas Reis und Oliven sei das genug Nahrung, um nicht zu verhungern.

Erst am Donnerstagabend – zwei Tage nach der Räumung – wollten die Sicherheitskräfte die Sache offenbar beschleunigen. Nach Angaben von Grelinette und Écureil nahmen ihnen die Beamten einen Rucksack mit warmen Kleidern, einem Schlafsack und Nahrung für etwa eine Woche und Wasser weg. «Die Hängematte haben wir gerettet, aber ohne Schlafsack war es sehr kalt. Es hat gewindet», sagte Écureil zu Blick, nachdem sie freiwillig vom Baum gestiegen war. Deswegen seien auch Isolationsdecken, die ihnen die Polizei gab, «nutzlos» gewesen. «Wir haben uns dann zu zweit in die Hängematte gelegt und uns gegenseitig gewärmt.»

Klimastreik Schweiz verbreitete Fake News

Bereits während der Räumung hatten Aktivistinnen der Klimastreik-Bewegung versucht, den grösstenteils friedlichen Einsatz in ein anderes Licht zu rücken. So teilte etwa der Klimastreik Schweiz auf Twitter ein Video vom Mormont-Hügel, das Personen zeigte, die Steine auf eine Gruppe warfen, die sich im Wald versteckt hatte. «Die Polizei setzt jetzt massive Gewalt ein. Absolut inakzeptabel. Wir werden weiter für unsere Zukunft kämpfen», twitterte der Klimastreik Schweiz dazu. Dumm nur: Auf dem Video waren es die Aktivisten, welche die Steine warfen. Nach der Berichterstattung von Blick wurde der Tweet gelöscht.

Das Waadtländer Departement für Umwelt und Sicherheit (DES) bestreitet in seiner Antwort von Ende Dezember bei der Uno die Darstellung bestimmter Tatsachen. Das DES erklärt auch, dass die Aktivisten entgegen den an die Uno-Sonderermittler übermittelten Angaben nicht nur Verteidiger der Menschenrechte und der Umwelt waren. Sie seien Teil «heterogener Gruppen unterschiedlicher Überzeugungen, angetrieben von unterschiedlichen Ursachen, Zielen und Vorgehensweisen».

Ebenso weist das DES darauf hin, dass die Mehrheit der Zadisten zwar friedlich war, andere jedoch gewaltsam auf das durch eine Gerichtsentscheidung ermöglichte Eingreifen der Polizei reagierten. «Die Vorwürfe der exzessiven Gewaltanwendung durch die Polizei sind nicht begründet und werden vom Kanton Waadt bestritten», schreibt der Schweizer Uno-Botschafter Jürg Lauber an die drei Sonderberichterstatter. Schwerverletzte wurden nicht gemeldet, Journalisten und Beobachter waren anwesend.

Besetzer-Prozesse beginnen nächste Woche

Vom 17. bis 19. Januar findet eine Reihe von Einzelprozessen gegen die Besetzer des von Holcim genutzten Hügels Mormont statt. Nach zehn Monaten juristischen Tauziehens werden die Aktivisten diesen Termin nutzen, um ihren «bunten» Kampf gegen den Zementhersteller und die Waadtländer Justiz fortzusetzen.

Am Mittwoch errichteten Aktivisten aus Solidarität mit den Angeklagten ein Baumhaus auf dem Studersteinpark (Neufeld) in Bern. «Den Aktivist*innen des ZAD droht ein unverhältnismässiges Gerichtsurteil», schreiben die Organisatoren in einer Mitteilung. Es sei von «unbedingten Gefängnisstrafen» die Rede, «obwohl Holcim die Anzeigen zurückgezogen hat».

Die Organisatoren werfen dem zuständigen Richter Parteinahme vor, weil «Gutachten von anerkannten Expert*innen» zurückgewiesen worden seien – «unter anderem ein für die Angeklagten positiv ausgefallenes». Ob damit der Brief der Uno-Sonderberichterstatter gemeint ist, ist unklar. Die hatten allerdings selbst in ihrem Brief an den Schweizer Uno-Botschafter geschrieben, dass ihre Einschätzung kein abschliessendes Urteil darstelle.

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