Trotti-Ärger auf dem Trottoir – jetzt redet eine E-Scooter-Chefin
«Für ein friedliches Nebeneinander braucht es Regulierungen»

Voi, Zürichs führender E-Scooter-Anbieter, verteidigt sein Geschäftsmodell. Und die Schweden wollen mehr Roller-Parkplätze von der Stadt – dem Frieden zuliebe.
Publiziert: 14.05.2023 um 15:45 Uhr
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Katharina Schlittler, Chefin Voi Schweiz, will mit Charme, besseren Algorithmen und Gratisminuten gegen Verkehrssünder vorgehen.
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Peter AeschlimannRedaktor

Elektrotrottinetts sollten den Stadtverkehr revolutionieren. Geschehen ist das Gegenteil, alles wurde komplizierter. Zu diesem Schluss kam 2022 eine Studie der ETH. Darin hiess es, E-Scooter führten keineswegs dazu, dass Städter aufs Auto verzichten. Zudem sei ihre Ökobilanz katastrophal, eine Fahrt auf dem Trotti produziere mehr CO2 als die gleiche Strecke in Tram oder Bus.

Alles Schnee von gestern, behauptet nun der führende Anbieter von E-Trottis in Zürich: «Die ETH hat mit Daten gerechnet, die aus der Anfangszeit der Trotti-Welle stammen», sagt die Schweizer Voi-Chefin Katharina Schlittler zu SonntagsBlick.

Damals habe es etwa noch keine austauschbaren Akkus gegeben. Inzwischen hätten sich Prozesse und Technik verbessert. Das aktuelle Modell, der 30 Kilo schwere «Voyager 5», bestehe zu hundert Prozent aus recyceltem Aluminium. In einer Werkstatt in Zürich-Altstetten würden die Scooter repariert und aufgefrischt: «So können wir die Lebensdauer der Gefährte auf fünf Jahre erhöhen.»

In Zürich seien die Transporter zum Einsammeln und Verteilen der Trottis mit Naturstrom unterwegs. Ein Voi-Scooter produziere dort 29 Gramm CO2 pro Personenkilometer – also etwa gleich viele Schadstoffe wie eine entsprechende Fahrt im ÖV.

Auch den Vorwurf, dass ihr Angebot hauptsächlich für Spassfahrten verwendet werde, lässt Schlittler nicht gelten. Erhebungen hätten ergeben, dass 59 Prozent der Voi-Kundinnen und -Kunden das E-Trotti mit einer Fahrt mit Tram, Bus oder Zug kombinieren.

Lascher Umgang der Behörden

So rosarot wie der Anstrich eines neuen Voi-Scooters ist die Trotti-Situation in Zürichs City allerdings nicht. Das zeigte vergangene Woche ein Spaziergang von SonntagsBlick mit Marionna Schlatter (42), Präsidentin von Fussverkehr Schweiz: Rücksichtslos abgestellte Trottis versperrten Gehwege in der Innenstadt, viele Nutzerinnen und Nutzer waren – trotz Verbot – auf dem Trottoir unterwegs. Ein Problem sei die lasche Haltung der Behörden, sagte die Grünen-Nationalrätin: Die Schweiz lasse zunächst alles zu und reguliere oft erst, wenn es zu spät sei. Marionna Schlatter plädiert für fixe Stellplätze sowie Halterhaftung. Und wenn das nichts nützt, für einen Übungsabbruch.

Rückendeckung bekommt die Fussverkehr-Präsidentin von SP-Nationalrat und Pro-Velo-Präsident Matthias Aebischer (55). Er verstehe, dass sich Städte wie Wetzikon ZH oder Paris gegen den E-Trotti-Verleih entschieden haben: «Zum einen stehen die E-Trottinetts überall herum und blockieren die Fusswege, zum anderen sind die ungeübten Fahrerinnen und Fahrer eine Gefahr für den gesamten Verkehr.»

Auch der Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena (51) hat sich schon oft über «kopflos» abgestellte Trottis genervt. Er sagt: «Man kommt wohl nicht darum herum, schärfere Regeln für Trottis aufzustellen.»

Zürichs Probleme mit E-Scootern haben auch andere europäische Städte. Die Rezepte dagegen gleichen sich: Verringerung der Flotte, fixe Abstellplätze. In Brüssel etwa kündigte die Stadtregierung kürzlich an, die Anzahl kommerzieller E-Scooter von 21'000 auf 8000 zu reduzieren. Nur noch zwei Anbieter sollen ab 2024 eine Bewilligung erhalten.

Und wer künftig ein Trotti ausserhalb der vorgesehenen Zonen abstellt, wird gebüsst. Solche oder ähnliche Massnahmen kennen auch Oslo oder Stockholm.

Wer den Reaktionstest nicht besteht, muss zu Fuss gehen

In Zürich buhlen fünf Anbieter um die Vorherrschaft im Trotti-Business, ein sechster steht in den Startlöchern. Für Voi-Chefin Schlittler ist klar: «Dafür ist Zürich zu klein.» Die Nutzungskonflikte in den Innenstädten nehme man ernst, Wildparkierer und Verkehrssündern helfe man mit Charme, besseren Algorithmen und Gratisminuten auf die Sprünge. Wer am Wochenende nach 23 Uhr einen Voi-Scooter ausleihen will, muss einen Reaktionstest auf dem Display des Rollers bestehen: Wer dort aufpoppende Helme nicht schnell genug antippt, muss zu Fuss gehen. Wer aber die App-Verkehrsschule macht oder das Gefährt bei einer von zwölf Parkstationen abstellt, bekommt einige Kilometer Trotti-Vergnügen geschenkt.

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«Damit ein friedliches Nebeneinander möglich ist, benötigt es Regulierungen.»
Katharina Schlittler, Chefin Voi Schweiz
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«Damit ein friedliches Nebeneinander möglich ist, benötigt es Regulierungen», sagt Katharina Schlittler. Dass die Stadt das Parkieren auf Brücken oder das Fahren durch die Bahnhofshalle verbietet, findet die Voi-Schweizchefin richtig und wichtig. Sie wäre sogar für eine einschneidende Änderung zu haben: Bewillige die Stadt alle 100 Meter eine E-Trotti-Station auf öffentlichem Grund, würde Voi ein stationsbasiertes System in der Innenstadt unterstützen.
Freie Parkplatzwahl gäbe es dann nur noch in den Aussenquartieren.

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