Boris* (15) sitzt seit Juni wieder in einer Vollzugsanstalt. Er darf seine Mutter kaum sehen. Nachdem er mehrmals türmen wollte, bekam er ein strenges Regime aufgebrummt.
Besorgte Eltern aus Wettswil am Albis ZH haben sich nun bei BLICK gemeldet. Sie erzählen, dass Boris schon mehrmals im Dorf aufgetaucht sei und an verschiedenen Adressen geklingelt habe. Grund: Er wollte sich vor der Polizei verstecken. Als die Leute ihn wegschickten, drohte er laut und schrie in der Gegend herum. Immerhin: Es blieb jeweils bei hässlichen Worten.
Man kennt ihn im Ort. Schon im Kindergarten eckte Boris an, in der Schule das gleiche Problem. Die Mutter war mit den Gewaltausbrüchen überfordert, die Sonderpädagogen auch. Erste Settings folgten.
Teure Settings, trotzdem Gewalt
In die Schlagzeilen geriet Boris erstmals 2017, weil er von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) auf eine Odyssee durch Betreuungseinrichtungen geschickt wurde – mit eklatanten Kosten. Zu Spitzenzeiten verschlangen Betreuung und private Security-Überwachungen rund 85'000 Franken pro Monat. Auch therapeutische Pferdekutschenausflüge durch die Provence sorgten für Kopfschütteln (BLICK berichtete).
Erneut in den Strafvollzug geriet Boris vor zweieinhalb Jahren, weil er von zwei Buben, die mit ihm im gleichen heilpädagogischen Heim untergebracht waren, angezeigt wurde. Alles nur wenige Wochen, nachdem er im September 2017 aus der geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik in Basel entlassen wurde.
Keinen Halt in der Pflegefamilie
Nach dem Vorfall kam der Junge für zwei Jahre in eine Pflegefamilie in Luzern. Auch da wurde er nicht glücklich. Die Kinder der Familie waren schon ausgeflogen. Er blieb allein. Mehrmals türmte er und versuchte, irgendwo Unterschlupf zu finden. Immer wieder in Wettswil am Albis. Die letzte Flucht im Juni war den Behörden zu viel, sie schickten ihn in das Massnahmenzentrum in Uitikon ZH.
Für die Attacke auf die Buben im Heim sprach ihn das Jugendgericht des Bezirksgerichts Affoltern im Oktober 2019 in einem der beiden Fälle schuldig. Das Obergericht des Kantons Zürich hat das Urteil am 12. Mai 2020 aber wieder aufgehoben und das Verfahren zurückgewiesen. Dennoch: In den zweieinhalb Jahren, seit die Untersuchung gegen Boris läuft, ist nicht mehr die Kesb für ihn zuständig, sondern die Jugendanwaltschaft des Kantons Zürich.
Entsetzen über Einlieferung ins Massnahmenzentrum
Erziehungsexpertin und Buchautorin Sefika Garibovic (58) ist entsetzt, als sie von der Unterbringung ihres einstigen Schützlings im Massnahmenzentrum hört. Sie hatte die Familie über Monate begleitet und beraten. Garibovic hatte damals gewarnt, Boris auf diese Art sozial zu isolieren.
Sie sagt zu BLICK: «Ich habe damals mehrere Schulen gefunden, die Boris aufgenommen hätten. Die Kesb hätte auch mitgemacht. Nur die Beiständin war dagegen. Sie hatte so viel Macht. Obwohl sie Boris nie gesehen hat, durfte sie über alles entscheiden.» Die Expertin warnt und fühlt sich an den «Fall Carlos» erinnert: «Uitikon ist nicht der richtige Ort für Boris. In dem Zentrum für jugendliche Straftäter ist ja auch Carlos zu dem geworden, was er heute ist.»
Mittlerweile über 90 Kilo schwer
Aus Boris, dem Problemkind, das Probleme im Kindergarten und in der Schule hatte, ist mittlerweile ein echter Brocken geworden. Er ist über 90 Kilo schwer, weil er sich fast nicht mehr bewegt. Durch die Isolation leidet seine Sozialkompetenz zusätzlich.
Einen grossen Teil der Probleme sieht Erziehungsexpertin Sefika Garibovic in der starken Medikamentierung des Teenagers. Sie weiss: «Er bekommt starke Neuroleptika, wie Seroquel und Risperdal, die eigentlich für erwachsene Schizophreniekranke zugelassen sind und nicht für ein Kind. Er bewegt sich wegen der Medikamente viel weniger.»
Ausbildungsplatz als letzte Chance?
Einen beträchtlichen Teil seiner Jugend hat Boris bereits verloren. Schafft er vielleicht jetzt den Sprung in die Normalität? Laut seinem Umfeld hat er die Möglichkeit, bald eine Ausbildung zu beginnen. Wohl die letzte Chance.
Die zuständige Jugendanwaltschaft veröffentlicht nichts über die Behandlung von Boris. Sie schreibt auf BLICK-Anfrage nur: «Wegleitend für das Jugendstrafrecht sind der Schutz und die Erziehung des Jugendlichen.»
Auch die Mutter von Boris möchte sich gegenüber BLICK nicht weiter zum Geistes- und Gesundheitszustand ihres Sohnes äussern.
* Name geändert