Erziehungsexpertin Sefika Garibovic über Kritik an der Kesb
«Bei Boris versagte das System»

Erziehungsexpertin Sefika Garibovic schlägt Alarm: Schlechte Ausbildung verursache teure Sondersettings.
Publiziert: 02.05.2017 um 17:23 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2018 um 20:18 Uhr
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Sefika Garibovic ist Konfliktmanagerin bei Problemkindern.
Foto: Philippe Rossier
Peter Marjanovic

Seit Tagen bewegt die Kindheit eines Zwölfjährigen das Land. Angefangen bei seinem Vater, den Boris* nie kennengelernt hat. Dann die Auswanderung aus Weissrussland, weil sich seine Mutter Tatsiana Zahner (40) in einen Schweizer verliebte. Die Scheidung kam rasch.

Immer mittendrin der kleine Boris, der kein Wort Deutsch sprach. Und die Rebellion gegen diese Existenz durch Gewalt und Provokationen auslebte. Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) ordnete deshalb seine Rundumüberwachung an. Für bis zu 85'000 Franken im Monat.

Seither fragt sich die Schweiz: Können Kinder so gewalttätig sein, dass man schwerstes Geschütz auffahren muss? Und was sagt eigentlich der Mann, der Tatsiana und Boris in die Schweiz holte?

Der Ex will nichts vom Thema wissen

SonntagsBlick wollte ihn diese Woche in Rorschach SG besuchen, seine Ver­sion hören. Doch er schweigt. Per SMS teilt er nur mit: Das Thema sei für ihn seit der Scheidung abgeschlossen. Verantwortung übernehmen? Fehlanzeige!

Ganz allein auf sich gestellt ist die Mutter nicht: Seit Tagen erhält sie Schützenhilfe von Sefika Garibovic (58), Expertin für Nacherziehung.
Für sie ist Boris «kein schlechtes Kind». «Wir ­Erwachsenen bestimmen, was aus den Kindern wird. Und hier zeigt sich einmal mehr, woran die Pädagogik krankt», sagt Garibovic zu SonntagsBlick: «Die Ausbildung fokussiert sich auf Erziehungsprobleme mit Schweizer Kindern. Sobald andere Kulturen, Einflüsse und Mentalitäten aufkommen, scheitert das System.»

Fehler beim Eintritt in den Kindergarten

«Im weissrussischen Dorf hatte Boris überall Verwandte. Jeder war irgendwie ein ‹Onkel› für ihn.» Er erhielt die Zuneigung, die ein lebhaftes Kind benötigt. Beim Übertritt in den Kindergarten sei der Fehler passiert: Man habe Boris nicht auf den Alltag dort vorbereitet.

«Statt ihm erst die Sprache beizubringen, wollte man ihn gleich mit Ritalin behandeln. Eine schamlose Geldmacherei ist das!», ärgert sich Garibovic.

Aus Hilflosigkeit überliess Mutter Tatsiana Zahner ihr Kind den Behörden. Gegen eine Behandlung mit Psychopharmaka wehrte sie sich anfangs zwar. Doch weil ein Sondersetting nach dem anderen wirkungslos blieb, landete Boris aus Kostengründen in der geschlossenen Abteilung der psy­chiatrischen Klinik Basel. Also dort, wo auch Straftäter und Drogensüchtige behandelt werden.

«Ich will das stoppen und Boris die Kindheit wieder zurückgeben», sagt sie. Die Beiständin ist aber bislang nicht auf das Angebot eingegangen.

* Name geändert

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