Basel, November 2004. SP-Politikerin Eva Herzog (43) gelingt die Wahl in den Basler Regierungsrat. Frage eines Journalisten: «Sie sind Mutter zweier kleiner Kinder. Wie werden Sie sich nun organisieren?»
Basel, August 2010. Regierungsrätin Herzog gibt ihre Kandidatur für den Bundesrat bekannt. Frage eines Journalisten: «Sie haben zwei kleine Kinder. Hätten Sie als Bundesrätin noch Zeit für sie?»
Bern, November 2022. Ständerätin Herzog kandidiert erneut für den Bundesrat. Frage eines Journalisten: «Sie sind 60 Jahre alt. Wie lange wollen Sie im Bundesrat bleiben?»
Ob sie solche Fragen störten, wird Eva Herzog am Tag darauf gefragt. «Es ist halt immer das Gleiche», antwortet die Kandidatin. «Zuerst sind die Frauen zu jung und unerfahren, dann haben sie Kinder und es geht nicht, und am Schluss sind sie zu alt. Männer werden in diesen Fragen anders beurteilt als Frauen.»
Verschiedene Massstäbe für Männer und Frauen: Damit wurde Herzog seit ihrer Kandidatur für den Regierungsrat von Basel-Stadt im Jahr 2004 konfrontiert. Damals waren ihre beiden kleinen Kinder in jedem Interview ein Thema. Nicht so bei ihren männlichen Kollegen.
Als Mutter unter Generalverdacht
Die promovierte Historikerin schaffte den Sprung in die Kantonsregierung trotzdem. Aber sie stand unter Beobachtung. Die Tatsache, dass sie als Mutter ein hohes Amt bekleidete, erzeugte Druck. Wie hat sie darauf reagiert? «Ich habe versucht, mir als Regierungsrätin meine Kinder möglichst nicht anmerken zu lassen», erinnert sich Herzog heute. Dass die Sitzungen der Regierung jeweils frühmorgens stattfanden, machte die Sache nicht leichter. «Ich hätte mich nie getraut zu fragen, ob wir die Sitzung verschieben können», sagt sie. «Ich wollte ja kein Hindernis sein.»
Am Freitag hat mit Elisabeth Baume-Schneider eine vierte Politikerin ihre Kandidatur für den Bundesrat bekannt gegeben – nach Eva Herzog, Evi Allemann und Daniel Jositsch. Die Ständerätin kommt aus dem Jura und damit aus der französischsprachigen Schweiz. Doch wie gut stehen die Chancen, dass die Bundesversammlung eine dritte Romande bzw. eine vierte Lateinerin in den Bundesrat wählt? Im bürgerlichen Lager gibt es sowohl Stimmen dafür wie auch dagegen. So spricht sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi gegen die Wahl einer Westschweizerin aus. Andere SVP-Mitglieder wie Nationalrat Michael Graber sehen darin kein Problem. Auch FDP und Mitte-Partei sind in der Frage gespalten. Völlig chancenlos wäre eine welsche Kandidatin damit nicht.
Am Freitag hat mit Elisabeth Baume-Schneider eine vierte Politikerin ihre Kandidatur für den Bundesrat bekannt gegeben – nach Eva Herzog, Evi Allemann und Daniel Jositsch. Die Ständerätin kommt aus dem Jura und damit aus der französischsprachigen Schweiz. Doch wie gut stehen die Chancen, dass die Bundesversammlung eine dritte Romande bzw. eine vierte Lateinerin in den Bundesrat wählt? Im bürgerlichen Lager gibt es sowohl Stimmen dafür wie auch dagegen. So spricht sich SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi gegen die Wahl einer Westschweizerin aus. Andere SVP-Mitglieder wie Nationalrat Michael Graber sehen darin kein Problem. Auch FDP und Mitte-Partei sind in der Frage gespalten. Völlig chancenlos wäre eine welsche Kandidatin damit nicht.
Fast 20 Jahre sind seit Herzogs Kandidatur als Regierungsrätin vergangen. Am letzten Mittwoch gab die Berner SP-Regierungsrätin Evi Allemann (44) ihre Kandidatur bekannt. Frage einer Journalistin: «Ihre Kinder sind sieben und zwölf Jahre alt, Sie leben nicht mehr mit ihrem Vater zusammen. Würden Sie das alles unter einen Hut bringen?»
SP-Ständerat Daniel Jositsch (57) treiben derweil ganz andere Fragen um. Auch der Zürcher Rechtsprofessor will Bundesrat werden. Er sagt: «Ich würde das gut machen.» Dass die SP-Fraktionsspitze nur Frauen für die Nachfolge von Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62) aufstellen will, findet er «diskriminierend».
Das erinnert an den damaligen SP-Ständerat Jean Studer (65), der 2002 unbedingt Nachfolger von SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss (82) werden wollte – mit der Begründung, man könne die Männer doch nicht auf Dauer von der Bundesratswahl ausschliessen.
Bei Jositsch fragt keiner
Was bei Jositsch im Gegensatz zu seinen Parteikolleginnen kein Thema ist: sein Alter (er ist drei Jahre jünger als Herzog) und seine Familie (er ist Vater eines Sohnes). Auch seine mangelnde Exekutiverfahrung spielt keine Rolle. Stattdessen wird regelmässig auf seinen breiten «Rucksack» verwiesen. Wobei der kaum grösser ist als diejenign von Eva Herzog, Evi Allemann und Elisabeth Baume-Schneider (58): Die drei Kandidatinnen bringen nicht nur langjährige Parlaments-, sondern auch Regierungs- erfahrung mit.
Trotzdem begründet Daniel Jositsch seinen Vorwurf, er werde als Mann diskriminiert, mit dem Hinweis auf seine Fähigkeiten. Er fordert: «Entscheidend sollten die Kompetenzen sein.» Rückendeckung erhält der SP-Mann von bürgerlichen Kollegen. Er teile Jositschs Meinung, sagte SVP-Präsident Marco Chiesa (48) in der SRF-«Arena»: «Das ist Gender-Politik, das ist ideologische Politik.» FDP-Ständerat Josef Dittli (65) findet: «Das hat mit Gleichberechtigung nicht mehr viel zu tun.»
Daniel Jositsch hat die Biologie ins Zentrum der politischen Debatte gerückt – und den Vorwurf der Diskriminierung umgedreht. Frauen werden weiterhin gefragt, ob sie als Mütter Führungsämter leiten könnten. Doch nun beklagen sich die Männer, wegen ihres Geschlechts benachteiligt zu werden.
Ironie der Geschichte: In einem Leserbrief aus dem Jahr 2000 befürwortete Jositsch gar die Geschlechterquote. Sie habe nämlich auch Vorteile für das männliche Geschlecht. «Nach Einführung der Quote kandidieren wir mit gutem Gewissen und ohne die Gefahr, zum ‹Ladykiller› zu werden, für diejenigen Ämter, die uns zur Verfügung stehen, und das sind immerhin 50 Prozent.»
Eva Herzog kann mit dem Argument, Männer würden durch ein reines Frauenticket benachteiligt, nichts anfangen. Es sei nun einmal so, dass sich Ämter in Führungsfunktionen nicht auf wundersame Art und Weise vermehrten. «Frauenförderung führt dazu, dass es weniger Platz für Männer gibt», sagt Herzog. «Dies Diskriminierung zu nennen, finde ich schwierig.»
Die Bundesratskandidatin macht Diskriminierung an einem ganz anderen Ort aus: Noch immer sei die Familie nur bei Frauen ein Thema. «Es ist so, als ob man uns mit irgendwelchen Argumenten von diesen Ämtern fernhalten will.»
Strategische Dummheit
Im Parlament hat derweil manch einer die Nase voll vom Geschlechterstreit. «Es nervt», sagt ein bürgerlicher Parlamentarier. Es sei eine strategische Dummheit der SP-Spitze gewesen, die Männer von Beginn an auszuschliessen. «Die Sozialdemokraten haben sehr gute Frauen, das wäre alles gar nicht nötig gewesen.» Statt um Inhalte drehe sich nun alles um Nachwuchs und Alter der Kandidatinnen.
Bleibt die Frage, ob die SP-Spitze nicht ebenso scharf kritisiert worden wäre, wenn sie kein Frauenticket empfohlen hätte. Der Vorwurf, die Gleichstellung nicht ernst zu nehmen, hätte kaum lange auf sich warten lassen. Sicher ist hingegen: Diverse SP-Frauen haben genug. «Mir reichts», sagt eine von ihnen hinter vorgehaltener Hand.
Eva Herzog hat als Regierungsrätin erlebt, wie junge Väter mit der grössten Selbstverständlichkeit fragten: «Können wir eine Viertelstunde später anfangen, damit ich die Kinder in die Kita bringen kann?» Als sie das hörte, habe sie erst einmal leer schlucken müssen, sagt sie. «Dann habe ich mir gesagt: Gut, wir sind einen Schritt weiter!»