Die Corona-Sommerwelle schwappt über die Schweiz. Verantwortlich dafür: die Omikron-Untervarianten BA.5 und BA.4. In der Schweiz und in Liechtenstein sind am Dienstag innerhalb einer Woche 24'704 neue Coronavirus-Ansteckungen gemeldet worden. Das sind 48,7 Prozent mehr als in der Vorwoche (16'610 Neuinfektionen). Auch die Spitaleinweisungen nehmen zu: Während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vergangene Woche 131 Hospitalisationen registrierte, waren es am Dienstag bereits deren 251.
Noch deutlicher wird der Trend bei der Betrachtung einer zweiwöchigen Zeitspanne: Die Werte haben sich im Vergleich zu den am 7. Juni bekanntgegeben Zahlen mehr als verdoppelt. So stiegen die Spitaleinweisungen von 107 auf 251, die Neuinfektionen von 10'289 auf 24'704. BAG-Sprecher Simon Ming: «Wir beobachten seit Anfang Juni eine signifikante Zunahme des Infektionsgeschehens, sowohl bei den Fallzahlen, der Positivitätsrate als auch bei der relativen Viruslast im Abwassermonitoring.»
Kantone müssten reagieren
Obwohl auch die Anzahl von Corona-Patienten in Schweizer Spitälern und auf Intensivstationen wieder etwas steigt, kann dort von Überlastung derzeit nicht die Rede sein. Der Anteil von Corona-Patienten befindet sich sowohl bei den Spitälern insgesamt als auch bei den Intensivstationen im niedrigeren einstelligen Prozentbereich. «Wir gehen angesichts der breiten Immunität in der Bevölkerung und der Saisonalität von Sars-CoV-2 nicht von einer schweren Belastung des Gesundheitssystems aus», sagt Ming. Für eine allfällige Anordnung von Massnahmen seien in der derzeit bestehenden normalen Lage die Kantone zuständig.
Laut der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) stehen erneute Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie derzeit nicht zur Debatte. Es gebe zurzeit noch keine Anzeichen dafür, dass die Gesundheitsversorgung durch diese Sommerwelle einer besonderen Belastung ausgesetzt sein werde, sagt GDK-Sprecher Tobias Bär gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Man werde die Situation aber weiter beobachten und bei einer schweizweit oder überregional angespannten epidemiologischen Lage Massnahmen-Empfehlungen zuhanden der Kantone prüfen, sagt Bär weiter. Zugleich betont er, nur die Kantone und nicht die GDK könnten Massnahmen erlassen.
In Deutschland machen Länder Druck
In Deutschland, wo die Fallzahlen ebenfalls steigen, gibt es vermehrt Rufe, man möge angesichts einer drohenden Herbst-Welle möglichst schnell die gesetzliche Grundlage für schärfere Corona-Massnahmen schaffen. «Dazu zählen insbesondere Maskenpflicht in Innenräumen, 3G/2G-Zugangsregeln, Testpflichten, Personenobergrenzen und Kontaktbeschränkungen», heisst es in einem an die Bundesregierung gerichteten Vorschlag von vier Bundesländern.
In der Schweiz gibt es derzeit kaum Forderungen nach einer Wiedereinführung von Corona-Massnahmen. Vor wenigen Tagen erklärte Ex-Taskforce-Chefin Tanja Stadler (41) gegenüber Blick zwar, in der aktuellen Welle könnten sich in der Schweiz über eine Million Menschen infizieren. «Mit den aktuell zirkulierenden Varianten müssen wir keine Überlastung der Intensivstationen mehr fürchten», stellte Stadler jedoch zugleich klar.
«Keine generellen Schutzmassnahmen notwendig»
Ähnlich äussert sich auf Anfrage der Tessiner Epidemiologe Andreas Cerny (66): «Ich denke, dass im Moment keine generellen Schutzmassnahmen notwendig sind. Bei einem weiteren Anstieg wird möglicherweise eine vierte Impfung notwendig. Im Moment würde ich den Akzent bei Massnahmen sehen, welche besonders gefährdete Personen betreffen.» Diese sollten laut Cerny Risikosituation meiden und dort die Maske tragen. «Auch sollten sie den Booster, falls noch nicht erhalten, nachholen.»
Der Anteil der Corona-Patienten, welche auch auf die Intensivstation müssen, ist laut Cerny heute deutlich tiefer als früher. «Das liegt weniger am Virus als an der Tatsache, dass ein Grossteil der Bevölkerung geimpft oder genesen ist.»
BAG will vor Sommerferien informieren
Auf Twitter wird angesichts der steigenden Corona-Zahlen verschiedentlich erneut zum Tragen von Masken geraten. So schreibt etwa die Genfer Virologin Isabella Eckerle (42): «Wer keinen Bock auf Covid-19 hat, der ist mit Maske in Innenräumen (FFP2) gut beraten.» Das BAG appelliert nach der Aufhebung der Massnahmen an die Verantwortung jedes Einzelnen. Es werden weiterhin die folgenden Grundprinzipien empfohlen: Impfen, Maske tragen, mehrmals täglich lüften.
Die Impfstrategie für den Herbst wird laut BAG-Sprecher Ming derzeit vorbereitet. Noch vor den Sommerferien werden das BAG und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif) demnach über den aktuellsten Stand betreffend Impfempfehlungen für Herbst und Winter informieren.