Auf einen Blick
- Rottweiler verletzt mehrere Personen und wird eingeschläfert
- Bissunfälle bei Kindern oft durch kleine Hunde verursacht
- Kurs-Obligatorium für Hundebesitzer in einigen Kantonen wieder eingeführt
- Expertin erklärt Fehler bei der Hundeerziehung
Am Montagabend nahm ein einjähriger Rottweiler in Adlikon in Zürich Reissaus und verletzte mehrere Personen, darunter zwei Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren. Das Tier wurde im Anschluss eingeschläfert.
Bereits seit einigen Jahren steigt die Zahl an Bissunfällen mit Hunden. Allein im Kanton Zürich ist die Zahl von Vorfällen mit Menschen im Jahr 2023 um fast ein Viertel auf 839 Fälle angestiegen. Eine veraltete Statistik aus dem Jahr 2007 zeigte, dass Kinder besonders häufig betroffen sind.
Ebenfalls auffällig ist, dass jeder vierte Bissunfall bei Kindern durch kleine Hunde verursacht wurde. «Dies macht deutlich, dass auch Halterinnen und Halter von kleinen Hunden ihre Tiere im Griff haben müssen», heisst es im Bericht vom Bundesamt für Veterinärwesen. Nationale Statistiken zu diesem Thema finden sich seither keine mehr.
Keine Daten über Hunderassen
Bei den Kantonen müssen Bissunfälle mit Hunden jedoch weiterhin gemeldet und festgehalten werden. In Zürich werde die Aufteilung nach Rassen statistisch nicht ausgewertet, heisst es beim Veterinäramt auf Anfrage von Blick. Auch in den Kantonen Luzern, wo es zu 278 Bissunfällen bei Menschen und beim Kanton Basel-Stadt, wo es zu 121 Bissunfällen kam, werden die Hunderassen nicht einzeln aufgeführt.
Im Kanton Schaffhausen kam es im Jahr 2023 zu 39 Bissunfällen bei Menschen. Dabei wird die Rasse von acht Hunden mit unbekannt angegeben. Am zweitmeisten haben Deutsche Schäferhunde Menschen verletzt (5), gleichauf mit Mischlingen (5) und gefolgt von Hunden der Rassen Spitz (3) und Terrier (4).
Kurs-Obligatorium vielerorts wieder eingeführt
Mit seinem Hund einen Kurs zu besuchen, ist in der Schweiz seit Januar 2017 nicht mehr in allen Kantonen obligatorisch. Einige haben jedoch daran festgehalten oder die Kurspflicht wieder eingeführt. Dazu zählen zum Beispiel Luzern, Zürich, Aargau und Wallis. Wie die Kurspflicht hingegen aussieht, ist auch hier von Kanton zu Kanton verschieden. In einigen Kantonen müssen Halterinnen und Halter zum Beispiel nicht mit jedem neuen Hund in einen Kurs, sondern nur, wenn sie vorher noch nie einen Hund hatten.
Expertin klärt auf
Die Chef-Hundetrainerin und Geschäftsführerin der Hundeschule Swiss Dog School Jennifer Swirta (38) weiss, worauf es ankommt, wenn man sich für einen Hund entscheidet. Neben ihrer mehrjährigen Erfahrung als Hundetrainerin ist sie auch als Verhaltensberaterin tätig und befindet sich in der Ausbildung zur Verhaltensmedizinischen Tierpsychologin.
Sie erklärt, dass Beissvorfälle auf viele verschiedene Auslöser zurückzuführen sein können. Das reiche von rassespezifischem Verhalten, wie Jagdinstinkt bei Jagdhunden, Schutzinstinkte bei Hütehunden, über Überreizungen des Gehirns durch zu wenig oder schlechten Schlaf, bis hin zu medizinischen Ursachen wie unentdeckte Tumore oder auch extreme Fehler im Hundetraining. Swirta betont auch: «Aggression entsteht immer aus Stress und Unsicherheit des Tieres. Ein souveräner Hund hat zusätzliche Strategien erlernt, um letztlich der Eskalation der Situation aus dem Weg gehen zu können.»
Unterschiedliche Regeln sorgen für Verwirrung
Ob die Halterin und der Halter aus Adlikon hätten vorsichtiger sein müssen, sei schwer zu beurteilen, da es von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein könne. «Jedoch empfehle ich schon vor dem Einzug eines Hundes, egal ob Welpe, aus dem Tierschutz oder als Übernahme, einen Theoriekurs zu absolvieren. Vor allem sind anspruchsvolle Rassen, egal ob kleine Hunde oder grosse, und Hunde mit Vorgeschichte nicht zu unterschätzen», sagt die Expertin.
Davon, dass die Hundekurse in der Schweiz nicht mehr obligatorisch sind, hält die Hundetrainerin nicht viel. Im Vergleich mit anderen Ländern sei die Schweiz zwar «schon etwas vorbildlich», ihrer Meinung nach sollte aber alles einheitlich sein. «Ich merke auch oft, dass viele Hundehalter verwirrt sind, was sie denn mit dem Hund machen sollten oder nicht», sagt sie.
Jennifer Swirta erklärt auch, dass es Rassen gibt, die besonders anspruchsvoll und nicht für jeden Mensch geeignet sind. «Wenn wir entlang der ‹Zuchtziele› Jagen, Schützen, Hüten, schauen, brauchen eigentlich alle Hunde aus dieser Kategorie mehr Training, mehr Auslastung und fundierteres Wissen.»
Social-Media- und Familienhunde
Jedoch können alle Hunde, deren Grundbedürfnisse Mangel aufweisen, problematische Verhaltensweisen entwickeln, und zwar vom arbeitswilligen Jaghund bis hin zum herzigen Familienhund. Bei den Grundbedürfnissen empfiehlt sie von denselben, wie bei Menschen auszugehen. «Dazu zählen Hunger, Durst, Schlaf, Versäubern, Wärme und das Bedürfnis einer entspannten Umgebung», so Swirta. Sie erklärt auch, dass ein Hund sich selbst entlang seines, «Zuchtziels» seine Aufgaben suche, was leider nicht mehr mit unseren Vorgaben im Alltag überein stimme. «Wir wollen keine Jäger und Beschützer mehr, sondern Social-Media- und Familienhunde – das passt leider oft nicht zusammen», sagt sie.
Bei ihrer Arbeit falle ihr auf, dass die Psychologie und Körpersprache der Hunde oft falsch interpretiert wird. «Wenn ich Ihnen zum Beispiel erzähle, dass Schwanzwedeln beim Hund nicht immer Freude bedeutet, sondern auch auf Stress hinweisen kann, sehe ich immer wieder grosse Augen.»
«Ein weiteres Problem, was ich stark sehe, ist, dass Hundehalter denken, dass ein problematisches Verhalten von allein wieder weggehen würde, wenn man es aussitzt. Dies ist fatal, denn ich kann definitiv voraussagen, dass dies nicht der Fall ist», führt die Hundetrainerin aus.
Zu schnell zum Hundetrainer
Sie erklärt auch, dass insbesondere Hunden mit Vorgeschichte und «Rucksack» besonderes Augenmerk geschenkt werden sollte. Auch der Maulkorb könne Sicherheit und Entspannung in den Alltag aller Beteiligten bringen, wenn ein Hund schon einmal gebissen habe.
«Der Maulkorb sollte wie die Leine, das Hundegeschirr und andere Trainingshilfsmittel noch mehr von Anfang an positiv verknüpft werden können. So sind Hunde, die diesen tragen müssen, nicht noch mehr gestresst», so Swirta. Ein Problem sieht sie auch bei der immer grösser werdenden Anzahl an Hundetrainerinnen und -trainern. «Man kann im Kanton Zürich eine Ausbildung in 13 Tagen machen und ist dann zertifizierter, vom Kanton anerkannter Hundetrainer für die obligatorischen Hundekurse», erklärt sie. «Ich finde es problematisch, dass der Endkunde oft nicht erkennen kann, welcher Hundetrainer wirklich fundiert Wissen vermittelt und vor allem die nötige Erfahrung dafür hat», so Swirta.
Zu dem, was in Adlikon passiert ist, meint sie: «Der Vorfall in Adlikon ist tragisch und man kann nicht wissen, was vorher mit dem Hund geschehen ist, dass dieser so reagierte. Eine Autopsie wäre zudem auch hilfreich gewesen, um etwaige neurologische Ursachen ausfindig machen zu können. Jedoch: so oder so ändert es nichts an dem Geschehen und mir tun die Personen aufrichtig leid, die hier zu Schaden kamen.»