«Je grösser das Vermögen, desto mehr kann man riskieren»
1:48
Wirtschaftsprofessor erklärt:«Je grösser das Vermögen, desto mehr kann man riskieren»

Schere zwischen arm und superreich in der Schweiz grösser als in den USA
Nidwaldner besitzen im Durchschnitt 1,5 Millionen

Superreiche konzentrieren in der Schweiz immer mehr Besitz auf sich. Die Verteilung hierzulande sei vergleichbar mit Ländern wie Brasilien, Mexiko und Russland, so ein Wohlstandsforscher.
Publiziert: 08.01.2023 um 12:47 Uhr
1/6
An der Spitze der Rangliste liegen nach wie vor die Gebrüder Jonas (55), Peter und Mathias Kamprad (v.l.), die Ikea-Erben.
Foto: Bilanz
Blick_Portrait_1606.JPG
Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

An dieser Frage scheiden sich die Geister: Wie gut geht es der Schweiz und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern? Nun liefert der Bundesrat zusätzliches Material für diese Diskussion.

Vermögen ist ungleich verteilt

Eine Analyse über die «Verteilung des Wohlstands in der Schweiz», die Mitte Dezember still und heimlich von der Landesregierung publiziert wurde, kommt zu folgendem Schluss: Im Zeitraum von 2005 bis 2018 stieg der Vermögensanteil des reichsten 1 Prozents der Eidgenossen von 38 auf 44 Prozent.

Laut Marius Brülhart (55), Wirtschaftsprofessor an der Universität Lausanne, sind die Vermögen in der Schweiz damit im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern äusserst ungleich verteilt. «Nicht einmal in den USA ist die Vermögenskonzentration des reichsten 1 Prozent so gross wie hierzulande», sagt der Mann, der seit vielen Jahren zur Wohlstandsverteilung forscht. Die Konzentration der verfügbaren Vermögen in der Schweiz – also ohne Pensionskassenguthaben – sei eher vergleichbar mit Ländern wie Brasilien, Mexiko oder Russland.

Vielfältige Gründe

Die Gründe dafür, dass die Vermögensanteile der Superreichen seit 2005 spürbar zugenommen haben, seien vielfältig, so Brülhart. «Eine Ursache dürften die tiefen Zinsen sein. Diese machten den Superreichen weniger zu schaffen als dem Mittelstand, weil ihre Vermögen vor allem aus Aktien und Immobilien bestehen, deren Preise stark gestiegen sind.»

Eine Rolle spielen könnte aber auch der Umstand, dass in den vergangenen Jahrzehnten von vielen Kantonen die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen abgeschafft worden ist.

Brülhart: «Jeder zweite Vermögensfranken entspringt einer Erbschaft.» 1990 sei pro vererbten Franken eine Erbschaftssteuer von 4,3 Rappen fällig geworden. Heute dagegen gingen pro vererbtem Franken nur noch 1,6 Rappen an den Staat. «Davon profitierten sehr vermögende Familiendynastien am stärksten.»

Von Kanton zu Kanton unterschiedlich

Der Siegeszug der Superreichen ist jedoch nicht in der ganzen Schweiz gleich ausgeprägt. «Die Entwicklung verlief in den Kantonen höchst unterschiedlich», heisst es in dem Bericht des Bundesrats, der von der Eidgenössischen Steuerverwaltung und dem Bundesamt für Statistik (BFS) erstellt wurde. Besonders stark ausgeprägt sei die Vermögensungleichheit in den Kantonen der Zentralschweiz.

Wie gross die kantonalen Unterschiede mittlerweile sind, zeigt das durchschnittliche Reinvermögen je steuerpflichtige Person. In den Kantonen Jura, Freiburg, Solothurn und Neuenburg lag dieser Wert 2019 bei weniger als 200'000 Franken. In drei Zentralschweizer Kantonen dagegen betrug das durchschnittliche Reinvermögen pro Steuerzahler im gleichen Jahr mehr als eine Million Franken: In Zug besitzen die Bürgerinnen und Bürger im Schnitt 1,1 Millionen Franken, in Schwyz 1,3 Millionen Franken und in Nidwalden gar fast 1,5 Millionen Franken.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Im Jahr 2005 waren die Abstände noch deutlich weniger gross. Damals lag das durchschnittliche Reinvermögen in Jura, Freiburg, Solothurn und Neuenburg zwischen 112'000 und 155'000 Franken, in Schwyz, Zug und Nidwalden zwischen 471'000 und 729'000 Franken. Für Brülhart ist klar, dass der Steuerwettbewerb der Kantone den Vermögenden ebenfalls zugutegekommen ist. Das ist für den Wohlstandsforscher aber nicht der zentrale Punkt: «Aus Sicht der Schweizer Bevölkerung ist die entscheidende Frage, ob dieser Wettbewerb hilft, Reiche aus dem Ausland anzuziehen – oder ob sich die Kantone gegenseitig die guten Steuerzahler abspenstig machen.»

Für den Kanton Luzern haben Brülhart und sein Team diesen Aspekt untersucht. Das Ergebnis: Internationale Umzügler haben etwa ein Sechstel zum Anstieg des Top-1-Prozent-Vermögensanteils beigetragen, nachdem die Vermögenssteuer halbiert worden war.

Einkommen gut verteilt

Im Gegensatz zu den Vermögen sind die Einkommen vergleichsweise gut verteilt. Im Wohlstandsbericht des Bundesrats heisst es: «Die Einkommensungleichheit lag in der Schweiz unter dem europäischen Durchschnitt.» Massgeblich dazu beigetragen habe «die Umverteilung in Form von staatlichen oder staatlich geregelten Transfers».

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Brülhart findet diesbezüglich insbesondere die Entwicklung des medianen verfügbaren Äquivalenzeinkommens interessant – also das Einkommen im Verhältnis zur Anzahl Personen in einem Haushalt. «Dieses hat bei den Erwerbshaushalten seit 2005 stetig zugenommen. Das ist erfreulich und widerspricht der These, dass der Wohlstand pro Kopf in der Schweiz in den vergangenen Jahren stagniert hat.»

Damit kommt Brülhart zurück auf die Wohlstandsdebatte, in der nicht zuletzt über die Vor- und Nachteile der Zuwanderung heftig gestritten wird. Im Zusammenhang mit dieser Kontroverse weisen Kritiker gerne darauf hin, dass das Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Kopf in den vergangenen Jahren weniger stark gewachsen sei als in anderen Ländern. Aus diesem Grund habe sich auch die Situation der einzelnen Bürger weniger vorteilhaft entwickelt. Der neue Bericht des Bundesrats zeigt nun, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist.

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?