Die Pandemie hat die Grenzen der Finanzpolitik pulverisiert. Die Schweiz, ein Land, das sich mit der Schuldenbremse zur Sparsamkeit verpflichtet hat, hantiert seit bald zwei Jahren munter mit irrwitzigen Beträgen.
Ausgerechnet der knausrige Finanzminister Ueli Maurer (71, SVP) war es, der über Nacht ein Notprogramm auf die Beine stellte, das Milliarden in die schockgefrorene Wirtschaft pumpte.
Selbst seine politischen Gegner sind bis heute von der Hauruck-Übung beeindruckt, doch die Abstimmung über die Emissionsabgabe reisst alte Gräben auf. Die Linke wittert einmal mehr grosse Ungerechtigkeiten: «Grosskonzerne und die Finanzindustrie werden immer stärker privilegiert», so ihr Vorwurf. Die bürgerliche Mehrheit in Bundesrat und Parlament hält mit bekannten Parolen dagegen: Die Vorlage stärke den Wirtschaftsstandort Schweiz, bringe Wachstum und Arbeitsplätze.
Fakt ist: Dem Bund entgehen bei einem Ja jährlich bis zu 250 Millionen Franken. Eine Summe, die angesichts der Corona-Milliarden allerdings kaum noch erschreckt.
Kaskade von Steuerentlastungen
Jacqueline Badran (60, ZH) aber warnt: «Hallo, viele Peanuts geben auch ein Snickers!» Die SP-Nationalrätin sieht die Abstimmung über die Emissionsgabe als Teil eines grossen Plans der Bürgerlichen: «Seit 25 Jahren machen wir nichts anderes, als das Kapital steuerlich zu subventionieren. Um das aber auszugleichen, werden Löhne und Konsum immer stärker belastet.»
Ein Blick zurück zeigt: Badrans happige Vorwürfe sind nicht aus der Luft gegriffen. Seit Ende der 90er-Jahre gab es eine bemerkenswerte Kaskade von Steuerentlastungen, die vor allem Besitzern grossen Kapitals zugutekamen.
1998 wurde die Unternehmenssteuerreform I beschlossen. Sie schaffte die Kapitalsteuer auf Bundesebene ab, brachte Holdinggesellschaften Sondertarife und beseitigte bei der Gewinnsteuer jegliche Progression.
Von 2001 bis 2012 gab es Erleichterungen bei den Stempelabgaben. Freibeträge wurden erhöht, die Umsatzabgabe im Aktienhandel reduziert und die Emissionsabgabe auf Obligationen ganz gestrichen.
2008 folgte die Unternehmenssteuerreform II. Firmeninhaber, die sich Kapitaleinlagen zurückbezahlen liessen, wurden steuerbefreit. Auch Dividenden müssen seitdem nicht mehr voll besteuert werden, sofern der Empfänger mindestens zehn Prozent der Firma besitzt.
Schädliche Fehlinformation
Der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz (79, FDP) schätzte die Steuerausfälle infolge der Reform auf 80 Millionen Franken pro Jahr. Später musste diese Zahl korrigiert werden – auf 400 bis 600 Millionen.
Diese Fehlinformation war wohl mit ein Grund, wieso die Unternehmenssteuerreform III 2017 abgelehnt wurde, die Gewinnsteuersätze weiter absenken sollte.
2019 wurde die Steuerreform mit der AHV-Finanzierung verknüpft (STAF). Mit Erfolg: Seither besteht die Möglichkeit, dass bei Unternehmen die Gewinne aus Patenten tiefer besteuert und Abzüge für Forschung und Entwicklung gemacht werden können.
Immerhin: Die Privilegien für international tätige Unternehmen wurden gleichzeitig aufgehoben und der AHV ein Zwei-Milliarden-Zustupf garantiert. Dennoch bedeutete die Reform für den Fiskus Mindereinnahmen.
Gestiegen sind derweil die Erträge aus indirekten Steuern, die von Konsumenten und Arbeitnehmenden getragen werden.
Badran ermahnt zum Kurswechsel
Der grösste Brocken war die schrittweise Erhöhung der Mehrwertsteuer. Bei der Einführung 1995 betrug der Normalsatz sechs Prozent, heute sind es 7,6. Diese Erhöhung bezahlen alle Konsumenten im gleichen Masse. Wer aber jeden Rappen zweimal umdrehen muss, den schmerzt der Preisaufschlag auf Güter des täglichen Bedarfs deutlich mehr als den vermögenden Firmeninhaber.
Das Gleiche gilt für andere Abgaben, die in den vergangenen 20 Jahren eingeführt oder erhöht wurden: die Tabaksteuer, die CO2-Abgabe auf fossile Brennstoffe wie Heizöl oder Erdgas, die VOC-Abgabe auf Farbe, Reinigungsmittel oder Körperpflegeprodukte. Hinzu kommen Gebührenerhöhungen in fast allen Kantonen und Gemeinden, sei es für Abfallsäcke oder Parkkarten.
Kapital entlasten, Arbeit und Konsum belasten – die Sozialdemokratin Badran ist sich sicher, dass dies kein Zufall sein kann: «Es passiert nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt. Das ist clever, denn in kleinen Portionen sind die Vorlagen schwieriger zu bekämpfen. So werden wir gezwungen, uns jedes Mal aufs Neue zu fragen: Lohnt sich ein Referendum überhaupt?»
Badran ist der festen Überzeugung, dass es in den kommenden Jahren im gleichen Stil weitergeht, wenn bei der Abstimmung über die Emissionsabgabe kein Kurswechsel gelingt.
Das stärkste Argument für diese These stammt ausgerechnet aus Ueli Maurers Ministerium. Vor einem Jahr publizierte das Finanzdepartement den 43-seitigen Bericht «Steuerstandort Schweiz». Es ist ein Gemeinschaftswerk einer von Maurer berufenen Expertengruppe: Der Bund stellte Vertreter, ebenso die Kantone. Und auch Wirtschaftsverbände wie Economiesuisse und Swissholding waren mit an Bord. Gemeinsam formulierten die Fachleute und Interessenvertreter eine Reihe von Leitsätzen, «die als Kompass für die künftige steuerpolitische Diskussion dienen sollen».
Im Februar stimmt die Schweiz über die Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital ab. Diese wird fällig, wenn ein Unternehmen Eigenkapital beschafft, indem es etwa Aktien ausgibt. Ab einem Betrag von einer Million Franken wird die Steuer fällig. Um das Wachstum zu fördern, wollen Bundesrat und Parlament die Abgabe streichen, was SP, Grüne und Gewerkschaften per Referendum bekämpfen.
Im Februar stimmt die Schweiz über die Abschaffung der Stempelsteuer auf Eigenkapital ab. Diese wird fällig, wenn ein Unternehmen Eigenkapital beschafft, indem es etwa Aktien ausgibt. Ab einem Betrag von einer Million Franken wird die Steuer fällig. Um das Wachstum zu fördern, wollen Bundesrat und Parlament die Abgabe streichen, was SP, Grüne und Gewerkschaften per Referendum bekämpfen.
Umverteilung? Nein danke!
Den Kurs, den dieser Kompass zeigt, offenbart der erste Leitsatz: «Vorwiegend werden Einkommen und Konsum besteuert.» Nicht die Gewinne der Unternehmen also, ebenso wenig die Dividenden der Aktionäre haben für den Fiskus Priorität, sondern die Lohntüten und Portemonnaies der Bevölkerung.
Den Superreichen hingegen werden keine Steine mehr in den Weg gelegt. Sie sollen ihr Kapital für sich arbeiten lassen dürfen, ohne vom Staat behelligt zu werden. Konkret heisst es dazu im Bericht: «Steuern sind neutral bezüglich verschiedener Finanzierungsformen, sie behindern Kapitalakkumulation nicht.»
Umverteilung? Nein danke!
SonntagsBlick wollte vom Finanzdepartement wissen, ob diese Leitsätze von Bundesrat Maurer geteilt werden, welchen Einfluss das Papier auf die steuerpolitische Agenda des Bundes hat und weshalb keine Arbeitnehmervertreter oder Konsumentenorganisationen eingebunden wurden. Das Finanzdepartement zeigte wenig Neigung, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen: «Das erwähnte Papier ist ein Beitrag von vielen zur Meinungsbildung. Im Übrigen verweisen wir auf die angekündigte Medienkonferenz vom 21. Dezember 2021», so die mehr als sparsame Stellungnahme.
Bleibt zu hoffen, dass das Finanzdepartement künftig nicht noch sparsamer mit seinen Antworten wird, sobald die 250 Millionen Franken aus der Emissionsabgabe nicht länger in die Staatskassen fliessen.