Schaffhauser Terror-Teenager in Online-Games radikalisiert?
So rekrutiert der IS in unseren Kinderzimmern

Die mutmasslichen IS-Anhänger aus Schaffhausen und der Messerstecher von Zürich waren begeisterte Gamer. Die Computerspiele, die sie nutzen, sind auch bei Dschihadisten beliebt, die neue Anhänger suchen.
Publiziert: 19.04.2024 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2024 um 10:51 Uhr
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Screenshot aus einem Spiel auf der Gaming-Plattform Roblox. Der virtuelle Charakter imitiert einen Kämpfer des Islamischen Staates (IS).
Foto: Screenshot
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Helena GrafReporterin

Als Skater über Züge springen, als Ninja mit Doppelschwertern angreifen, oder als letzter Mensch Zombies besiegen: Acht von zehn Schweizer Kindern zwischen 11 und 15 Jahren tauchen mindestens einmal pro Woche in die virtuellen Welten eines Computerspiels ein. Dort erleben sie Abenteuer, erfüllen Missionen, treffen Gleichgesinnte.

Doch was, wenn diese Spiele statt in Zombie-Welten in einem islamistischen Kalifat stattfinden? Wenn statt Ninja-Uniform Turbane und Sprengstoffwesten getragen werden? Und wenn es nicht das Ziel ist, zu überleben, sondern ein Attentat zu verüben?

Blick-Recherchen zeigen: Valentin S.* (16) und Aras P.* (15) aus Schaffhausen haben Gaming-Plattformen genutzt, die auch Spiele mit dschihadistischen Elementen anbieten. Die Teenager sitzen in Untersuchungshaft, weil sie gewalttätige Anschläge im Namen des Islamischen Staates (IS) geplant haben sollen. Wie sie mutmasslich radikalisiert wurden, müssen die Schweizer Behörden nun ermitteln.

So werden Spieler radikalisiert

Die deutsche Extremismusexpertin Linda Schlegel (31) hat zu Extremismus in Videogames geforscht. Für sie ist klar: «Extremistische Gruppen nutzen Gaming-Plattformen, um ihre Propaganda an ein möglichst breites Publikum zu streuen und neue Mitglieder zu gewinnen.»

Extremisten würden potenzielle Anhänger oft in Chats innerhalb des Spiels ansprechen. Schlegel: «Meistens geht es zunächst um Alltägliches. Dann kommen langsam leicht extremistische Kommentare oder Scherze dazu.»

Terror-Buben spielten dasselbe Videogame

Je nachdem, wie der Spieler reagiere, würden die Nachrichten radikaler. «Nach einigen Wochen oder Monaten wird der Spieler auf Chat-Plattformen wie Discord oder Whatsapp gelockt. Dort verabreden sich Gleichgesinnte zum Gamen und teilen extremistische Inhalte», sagt die Expertin.

Auf diese Weise kann auch ein Schweizer Kind, das wenig oder sogar keinen Bezug zum Islam hat und kein Arabisch spricht, plötzlich radikalisiert werden.

Die mutmasslichen Terror-Teenager Aras P. und Valentin S. waren beide Spieler auf der Gaming-Plattform Roblox. Ihre Accounts gründeten sie vor vier bis sieben Jahren – waren damals noch Kinder.

Roblox für Terroristen «hochrelevant»

Roblox gilt als die beliebteste Gaming-Seite unter jungen Teenagern. Hier können sie Welten mit eigenen Spielregeln und Missionen erschaffen. Laut Linda Schlegel ist Roblox für die Verbreitung von dschihadistischer Propaganda hochrelevant.

Die Roblox-Accounts der Schaffhauser Teenager zeigen, für welche Spiele sie Abzeichen gewonnen haben. Darunter sind keine Spiele mit offensichtlich dschihadistischen Inhalten. Aras P. etwa war auf Roblox als Superheld unterwegs oder löste als Detektiv Mordfälle. Valentin S. spielte unter anderem einen Ninja-Attentäter oder einen Alien-Jäger.

Blick hat sich in ein dschihadistisches Game auf Roblox eingeloggt. Dessen Spieler verabreden sich in einer geschlossenen Whatsapp-Gruppe, zu der Blick über mehrere Stunden Zugang hatte.

IS-Geiselnahmen nachgespielt

Die 33 Mitglieder der Gruppe kommen aus unterschiedlichen Regionen in Indonesien und kennen sich meist nicht persönlich. Im Minutentakt tauschen sie sich über das Spiel aus. Die Mission in ihrem Roblox-Game: Gegner des Propheten Mohammed zu töten.

Über einen Link wechseln die Chatmitglieder gleichzeitig in ihre Roblox-Welt. Dort nehmen sie Geiseln gefangen, bedrohen sie mit Waffen. Ihre Geiseln tragen orangefarbene Anzüge – angelehnt an die Anzüge der Gefangenen, die der IS während des Syrienkriegs vor laufender Kamera enthauptete.

Die Spieler tragen dschihadistische Uniformen und versuchen, die normal gekleideten Gegner Mohammeds mit Waffen zu vernichten. Einer ihrer virtuellen Krieger posiert dann schwer bewaffnet vor einer IS-Flagge. 

Valentin S. folgte extremistischen Accounts

Screenshots von solchen Szenen aus dem Spiel publizieren die Mitglieder der Whatsapp-Gruppe dann in den sozialen Medien, um neue Gruppenmitglieder zu finden.

Auch Valentin S. verbreitete Videos aus seinen Roblox-Spielen in den sozialen Medien. Auf Instagram folgte er vielen Nutzern aus Pakistan und Indien, die mutmasslich dem Islam angehören. Unter ihnen sind auch mögliche Extremisten: «Imran Issaki» posiert beispielsweise mit Turban und Gewehr, postet dazu Verse aus dem Koran. «Sheikh Vaseem» feiert den Drohnenangriff des Irans auf Israel und «Skamil» hat ein ganzes Album mit Propaganda zum Islamischen Staat publiziert.

Ein weiterer radikalisierter Schweizer, der Videogames gespielt hat, ist Edon T.* (15). Letzten Monat ging er mit einem Messer auf einen Juden in Zürich los.

Anschlag auf Kirche nachgespielt

In einer Videobotschaft hatte er sich zum IS bekannt. Doch nicht Edon T. selbst hat sein Bekennervideo im Internet verbreitet, sondern der Nutzer «Smidgesrev», auch ein sehr aktiver Roblox-Spieler, der seine virtuellen Erfolge im Internet publiziert: In einem seiner Videos verübt er einen Anschlag auf eine Kirche, im Hintergrund sind «Allahu Akbar»-Rufe zu hören.

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Es sei enorm schwierig, Extremisten auf Gaming-Plattformen zu identifizieren, sagt Linda Schlegel. Denn: «Die Ermittler können nicht einfach nach bestimmten dschihadistischen Schlagworten suchen, wie etwa in den sozialen Netzwerken.»

In der Schweiz wurde Radikalisierung auf Gaming-Plattformen bislang kaum öffentlich diskutiert. Inwiefern Schweizer Ermittler auch auf Gaming-Plattformen unterwegs sind, ist unklar. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) äussert sich gegenüber Blick nicht dazu. Klar ist aber: Wer extremistische Propaganda stoppen will, muss dort hinschauen, wo diese verbreitet wird.

*Namen geändert 

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