«Cannabis wird immer stärker»
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Janina Bauer über Suchtgefahr:«Cannabis wird immer stärker»

Regulierung zum Schutz der Konsumenten
Gefährliches Gras

Cannabis ist in Europa so stark wie nie zuvor. Während die Schweiz den Kon sum erleichtern will, nehmen Abhängigkeit und Erkrankungen zu.
Publiziert: 03.07.2022 um 17:51 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2023 um 11:39 Uhr
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Cannabis ist die Lieblingsdroge der Schweizer: 2017 konsumierten vier Prozent aller Schweizer mindestens einmal im Monat.
Foto: Keystone
Janina Bauer

Rund ein Drittel der Drogentherapien in West- und Zentraleuropa dreht sich um den Konsum von Cannabis – in Lateinamerika, Afrika und Ozeanien sogar die Hälfte oder mehr. Wie der neue Jahresbericht des Uno-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) belegt, steigen gleichzeitig die Fälle psychischer Erkrankungen aufgrund von Hanfderivaten. Die Organisation warnt: Besonders betroffen seien Jugendliche – weltweit konsumieren sie keine Droge häufiger.

Cannabis ist auch eine Lieblingsdroge der Schweizer und Schweizerinnen. Statistiken des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) aus dem Jahr 2017 zeigen: Vier Prozent der Bevölkerung – 225'000 Personen – konsumieren mindestens einmal im Monat Haschisch oder «Gras». Bei den 15- bis 19-Jährigen liegt die Quote mit 7,7 Prozent fast doppelt so hoch.

Schweiz wagt Liberalisierung

Dennoch ist der Cannabiskonsum hierzulande nur für 15 Prozent aller Drogentherapien verantwortlich, so der Bericht des Schweizer Suchtmonitoring-Systems für 2020. Jährlich begeben sich zwischen 3500 und 4000 Personen in stationäre oder ambulante Behandlung, wobei die Unispitäler in Bern und Zürich einen leichten Anstieg der Behandlungsnachfragen feststellen.

Währenddessen wagt die Schweiz erste Schritte in Richtung einer möglichen Liberalisierung von Marihuana und Co.: Ab 1. August tritt die neue Medizinalcannabis-Verordnung in Kraft, die den Zugang zumindest für Patienten stark vereinfacht.

Nachdem Basel im April die Bewilligung des BAG für das erste Pilotprojekt zur regulierten Cannabis-Abgabe erhielt, zieht die Stadt Zürich diese Woche nach. Die Probanden der Versuche werden über ausgewählte Apotheken freien Zugang zu Cannabis haben.

Uno warnt

Wie werden sich diese Schritte auf steigende Sucht- und Erkrankungsfälle auswirken?

Das Uno-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung warnt, dass Cannabis-Produkte heute immer stärker wirken. In Europa hat sich der Anteil des psychoaktiven Wirkstoffs THC seit 2002 verdoppelt. In den 1960er-Jahren enthielt Schweizer «Gras» rund drei Prozent THC – 2021 waren es durchschnittlich 12 Prozent in Blüten und 20 Prozent im Haschisch, wie eine Auswertung des Drogeninformationszentrums Zürich zeigt.

Marcus Herdener (48), Chefarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, erklärt: «Cannabis-Sucht und andere psychische Erkrankungen wie Psychosen werden vor allem durch die hoch potente Wirkstoffzusammensetzung des Cannabis begünstigt.»

Auf Schwarzmarkt oft gestreckt

Hinzu kommt: Oftmals ist das Genussmittel auf dem Schwarzmarkt zusätzlich mit synthetischen Cannabinoiden gestreckt. Oder reines CBD-Cannabis, das hierzulande legal produziert werden darf, wird mit synthetischem Cannabis versetzt. Das Risiko für Konsumenten ist hoch, wie Jochen Kindler (43), Chefarzt an der Berner Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, sagt: «Synthetisches Cannabis wirkt deutlich stärker auf das Nervensystem als natürliches. Das kann zu Herz-Kreislauf-Störungen bis hin zum Tode führen.»

Kindler ergänzt: «Konsum ist nicht gleich Konsum. Entscheidend sind die Menge und das Alter beim Erstkonsum.» Das Nervensystem von Jugendlichen sei noch formbar und deshalb vulnerabler. «In der Jugend reifen die Teile des Gehirns, die für die Kontrolle von Emotionen und den Aufschub von Belohnung zuständig sind – Funktionen, die für unser psychisches Gleichgewicht sehr wichtig sind.» Laut wissenschaftlichen Studien kann die Reifung dieser Hirnareale bei chronischem und frühem THC-Konsum beeinträchtigt werden.

Liberalisierung kann beim Schutz helfen

Der Psychiater sieht in der Debatte um eine Liberalisierung deshalb auch eine Chance: «Durch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Cannabis können vulnerable Gruppen wie beispielsweise Jugendliche besser informiert und gezielter geschützt werden als bisher.» Einer Liberalisierung ohne Kontrolle steht Kindler jedoch skeptisch gegenüber.

Marcus Herdener, der den Pilotversuch in Zürich leitet, sieht es ähnlich: «Tatsache ist: Ein grosser Anteil der Schweizer Bevölkerung hat schon einmal Cannabis konsumiert. Gleichzeitig ist der Konsum nicht völlig problemlos. Eine sachliche Diskussion ist deshalb wichtig.» Durch Regulierung könne man aber Qualität und Reinheit des Cannabis positiv beeinflussen sowie durch Informations-, Beratungs- und Hilfsangebote dem problematischen Konsum vorbeugen. «Beides könnte sich positiv auf die steigenden Therapie- und Erkrankungszahlen auswirken.»

Ärzte sehen keine Gefahr

In der neuen Medizinalcannabis-Verordnung sehen die beiden Ärzte keine Gefahr. Sie rechnen zwar mit einem Anstieg der Verschreibungsquote. Doch Medizinalcannabis werde nach wie vor streng kontrolliert.

«Medizinalcannabis gehört weiterhin zu den Betäubungsmitteln, weshalb es nur bei bestimmten entsprechenden medizinischen Indikationen verabreicht werden darf. Durch die neue Regelung wird die Therapie leichter zugänglich, wodurch der Patient profitiert», sagt Marcus Herdener.

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