Die Welt muss lernen, mit dem Coronavirus zu leben. Allein durch die Impfung verschwindet der Erreger nicht: Mit der Omikron-Variante infizieren sich auch viele doppelt Geimpfte und Geboosterte. Um diese Herausforderung zu meistern, kommt Medikamenten eine wichtige Rolle zu, die Covid-19-Verläufe abmildern und Infizierte vor einer Virusausbreitung im Körper bewahren.
Hierfür kamen bisher vor allem Medikamente in Frage, die bereits bei anderen Erkrankungen im Einsatz stehen. Einige davon haben sich in bestimmten Phasen der Infektion und je nach Corona-Variante als wirkungsvoll erwiesen. Doch Wissenschaftler arbeiten weltweit auch an neuen Therapien, die speziell auf Corona ausgelegt sind.
Grundsätzlich drei Therapieformen
Urs Karrer (55), Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Winterthur und Vizepräsident der wissenschaftlichen Covid-19-Task-Force des Bundes, erklärt Blick, es gebe bei einer Covid-19-Erkrankung grundsätzlich drei verschiedene Therapieformen. «Es gibt Medikamente, die verhindern, dass das Virus in die Zellen eindringt. Zweitens gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die einer schädlichen Überreaktion des Immunsystems entgegenwirken. Drittens wurden Wirkstoffe entwickelt, die verhindern, dass sich das Virus in den Zellen vervielfältigen kann.»
In der Schweiz kommen die beiden erstgenannten Behandlungen bereits zur Anwendung. Karrer: «Will man verhindern, dass das Virus überhaupt erst in die Zellen eindringt, ist es wichtig, dass die Erkrankung möglichst früh erkannt und die Behandlung umgehend begonnen wird.» Bei dieser Therapie mit sogenannten monoklonalen Antikörpern wird die Immunantwort des Menschen simuliert, indem im Labor hergestellte Antikörper gespritzt werden. «Diese docken dann beim Virus ans sogenannte Spike-Protein an», erklärt Karrer. «Somit kann das Virus nicht mehr in die Zellen eindringen.»
Trump-Cocktail wirkt nicht mehr gegen Omikron
Das Problem bei dieser Behandlung ist, dass sich das Coronavirus verändert. «Deshalb wirkt etwa der Cocktail, den der damalige US-Präsident Donald Trump bei seiner Covid-19-Erkrankung bekommen hat, heute nicht mehr gegen Omikron.» Bei dem Medikament handelt es sich um eine Kombination der künstlichen Antikörper Casirivimab und Imdevimab. Entwickelt hat das Mittel das US-Biotechnologieunternehmen Regeneron Pharmaceuticals in Partnerschaft mit dem Schweizer Pharma-Riesen Roche.
«Dieser Antikörper-Cocktail wurde in der Schweiz bis Ende Dezember gegen die Deltavariante häufig eingesetzt und hat sicher einigen Patienten das Leben gerettet», sagt Karrer. Doch Omikron warf alles über den Haufen – die Behandlung mit dem Antikörper-Cocktail war plötzlich wirkungslos. Karrer: «Zum Glück fand sich mit Sotrovimab eine Alternative mit gleichem Wirkungsprinzip, welche auch gegen Omikron wirksam ist.»
Kortison-Abkömmling rettete viele vor dem Tod
Therapien, die aufs Immunsystem zielen, kommen hingegen dann zum Einsatz, wenn eine Infektion schon länger besteht und zu einer starken Lungenentzündung geführt hat. «Ein Teil der Lungenschädigung wird nicht direkt durch das Virus verursacht, sondern durch eine überschiessende Immunreaktion», erklärt Karrer. «Hier ist das Timing wichtig, da ein zu früher Einsatz auch schädlich sein kann. Am häufigsten werde dazu der Kortison-Abkömmling Dexamethason eingesetzt.
«Mit dieser Therapie konnten sehr viele schwer erkrankte Menschen vor der Beatmungsmaschine und vor dem Tod bewahrt werden», sagt der Chefarzt. Die Behandlung erfolgt dabei ausschliesslich im Spital. Bei milderen Covid-Erkrankungen werde in der Hausarztpraxis gelegentlich ein Kortison-Spray eingesetzt, um die Erholung zu beschleunigen.
Tabletten stehen kurz vor Zulassung
Die Medikamente, die eine Virus-Reproduktion in den Zellen verhindern, werden in Kürze in der Schweiz verfügbar sein, die entsprechenden Zulassungsgesuche werden aktuell von Swissmedic geprüft. «Beispiele sind etwa Paxlovid oder Molnupiravir», sagt Karrer. «Diese Tabletten hemmen zwei spezifische Eiweisse des Virus, sodass sich das Virus nicht mehr effizient vermehren kann.» Da sich auch diese Medikamente direkt gegen die Virusvermehrung richteten, seien sie umso wirksamer, je früher sie nach der Ansteckung eingenommen würden. In erster Linie sollten sie laut Karrer an Menschen verabreicht werden, die ein Risiko haben, schwer zu erkranken.
«Im Vergleich zu den monoklonalen Antikörpern haben diese Medikamente den grossen Vorteil, dass sie in Tablettenform eingenommen werden können», sagt Karrer. Damit gehe weniger Zeit verloren und es sei weniger Infrastruktur und Personal nötig, um eine Behandlung zu gewährleisten. Die neuen Pillen haben laut dem Chefarzt einen weiteren Pluspunkt: «Die Tabletten sind zudem auch wirksam gegen alle bisher aufgetretenen Virusvarianten, weil sie nicht gegen das Spike-Protein gerichtet sind.»
Keine Spritzenangst dank Nasen-Sprays?
Die Impfung als präventive Massnahme würden diese Medikamente jedoch nicht ersetzen, betont Karrer. «Sie können die Epidemie nicht wirklich bremsen, denn bis sie bei einer infizierten Person wirken, hat sich das Virus bereits weiterverbreitet.» Trotzdem: «Die verfügbaren Daten für Paxlovid sehen gut aus. Für die jetzige Welle kommt das Mittel möglicherweise ein paar Wochen zu spät, aber in Zukunft wird es sicher nützlich sein.»
Ebenfalls eine interessante Entwicklung sind Impfungen mit Nasen-Sprays. «Der erste Vorteil damit wäre, dass die Spritzenangst wegfällt», sagt Karrer. «Zweitens würde dort geimpft, wo die Immunantwort tatsächlich primär gebraucht wird, nämlich in den Schleimhäuten der Atemwege.» Eine solche «Schleimhautimpfung» konnte sich allerdings im klinischen Alltag beim Menschen noch keine durchsetzen.
Innovationskraft der Schweizer Forschung
Bei der Entwicklung von Corona-Innovationen kommen nicht zuletzt auch aus der Schweiz wichtige Forschungsimpulse. So entwickelt etwa die Firma Molecular Partners, ein Spin-off der Universität Zürich, ein Medikament, das sich als Alternative für die monoklonalen Antikörper erweisen könnte. Vor wenigen Tagen hat der Schweizer Pharma-Riese Novartis, mit dem Molecular Partners bei der Entwicklung des Medikaments zusammenarbeitet, in den USA ein Gesuch um Notfallzulassung für Ensovibep eingereicht.
Auch Sotrovimab, das erfolgreich gegen Omikron eingesetzt wird, wurde von Schweizer Forschern mitentwickelt. «Dies unterstreicht die Innovationskraft der Schweizer Forschung und ist das beste Argument, dass universitäre Forschung und Entwicklung weiterhin unterstützt werden sollte», sagt Karrer.