«Haben zunehmend Eltern, die schneller aufgebracht sind»
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Notfall-Co-Leiter vom Kispi:«Haben zunehmend Eltern, die schneller aufgebracht sind»

Ein Tag im Ostschweizer Kinderspital
«Im Gegensatz zu früher gibts immer mehr aufgebrachte Eltern»

Das St. Galler Kinderspital im Fokus: Weihnachtliche Atmosphäre trifft auf medizinische Herausforderungen. Ärzte berichten von lustigen Patienten und schwierigen Eltern. CEO Guido Bucher (64) fordert bessere Finanzierung für die Kindermedizin.
Publiziert: 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 09:09 Uhr
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Klein-Eliot hat eine grosse Beule auf der Stirn. Er musste deswegen in den Kindernotfall im Kinderspital St. Gallen.
Foto: Kim Niederhauser

Auf einen Blick

  • Kinderspital St. Gallen: Weihnachtsstimmung und Herausforderungen im Notfall
  • Ärzte und Pfleger arbeiten engagiert, Wartezeiten sorgen für Konfliktpotenzial
  • CEO fordert Verbesserungen in der Tarifstruktur, Kindermedizin unterscheidet sich deutlich von Erwachsenenmedizin
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sandro ZulianReporter News

Die Weihnachtsstimmung im Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen ist spürbar. Beim Besuch von Blick sind Mitarbeiter damit beschäftigt, die letzten Girlanden und Dekorationen an die Decken und Wände zu montieren.

In der Cafeteria sitzt ein junges Paar am Tisch. Vor den beiden steht ein in der Medizin als «Christbaum» bekannter Infusionsständer. Der Infusionsschlauch verschwindet in einer Baby-Trage, die vor ihnen auf einem Stuhl steht. Das Kind ist unter einer dicken Decke versteckt. Freud und Leid sitzen hier wörtlich nebeneinander, hier prallen Welten aufeinander.

Strahlende Ärztin

Nina Notter (42) ist leitende Ärztin und Co-Leiterin der Notfallaufnahme. Sie ist mit Herz und Seele Kinderärztin. Es sei ein schönes Gefühl, ein Kind wieder auf dem Weg der Besserung zu sehen, sagt sie. Wenn Notter über ihre kleinen Patienten spricht, strahlt sie übers ganze Gesicht.

Auf der Notfallstation wird es hektisch. Auf engstem Raum hetzen Ärztinnen und Pfleger durch die Gänge. «Hier haben wir beispielsweise ein Kind, das auf den Kopf gefallen ist», sagt Roger Lauener (63), Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin, und deutet auf einen grossen Bildschirm, auf dem die Belegung der Notfallstation auf einen Blick zu sehen ist.

Atemnot und eine grosse Beule

Blick darf das Kind im Zimmer besuchen. Eliot (2) turnt schon wieder putzmunter auf dem Krankenbett umher, auf seiner Stirn eine riesengrosse, blaue Beule. Mutter Juliya Fedorova (48) sagt: «Er versucht, jeden Tag höher und höher zu kommen. Dabei ist er vom Stuhl auf den Fussboden geknallt.» Eliot bleibt zur Überwachung über Nacht im Spital, denn er erlitt nach seinem Sturz einen Krampfanfall.

Auch die kleine Marwa (2 Wochen alt) ist im Kinderspital. Das Neugeborene hatte plötzlich Probleme mit der Atmung. «Ich bin sehr zufrieden mit der Arbeit der Ärztinnen und Ärzte hier», sagt Mutter Nima Abdi Daher (37). Marwa geht es wieder besser, beide dürfen das Spital am selben Tag wieder verlassen.

«Jedes Kind kommt an die Reihe»

«Tolle Eltern» seien das, sagt Chefarzt Lauener. Die verständnisvollen und freundlichen Eltern stellen im Kinderspital mit geschätzten 90-95 Prozent den Grossteil dar. Doch es geht auch anders. Gerade die Wartezeiten im Notfall bergen ein grosses Konfliktpotenzial.

Notfall-Co-Leiter Martin Flade (41) berichtet von ungeduldigen und teils aggressiven Eltern. «Uns ist wichtig, dass man unsere Seite auch versteht. Wir nehmen jedes Kind ernst, jedes Kind kommt an die Reihe», sagt er. Doch bei der Triage kommen die medizinisch schweren Fälle zuerst dran, auch wenn jemand schon länger wartet.

Auch deswegen stellte man vor anderthalb Jahren einen Nachtportier ein. Fljorim Hasanaj (51) tritt vor die Kamera, ein grosser Mann mit Uniform, auf der das Wort «Sicherheit» steht. «Es gibt im Gegensatz zu früher immer mehr aufgebrachte Eltern, die Dampf ablassen», sagt er. Der Job ist relativ neu, aber offenbar nötig. Nur schon, indem er da sei, könne er viele Leute wieder beruhigen, so Hasanaj.

«Stolpersteine bei der Finanzierung»

Ein weiteres Problem, mit dem sich das Kinderspital schon länger herumschlagen muss, ist das liebe Geld. «Es gibt Stolpersteine bei der Finanzierung», sagt Guido Bucher (64), CEO der Stiftung Ostschweizer Kinderspital.

Zur Weihnachtszeit möchte er noch einmal der Politik ins Gewissen reden: «Es braucht dringend eine Verbesserung in der Tarifstruktur der Kinder- und Jugendmedizin.» Denn die Kindermedizin unterscheide sich grundlegend von der Erwachsenenmedizin, sagt Bucher.

Er bringt ein Beispiel: «Ein Kind kommt mit den Eltern und muss geröntgt werden. Es will aber nicht geröntgt werden. Es muss erst einmal beruhigt werden.» Danach müssten auch noch die Eltern verstehen, worum es geht. «Das braucht je nachdem so viel Zeit, dass es in diesem Tarifsystem, bei welchem Zeit ein zentrales Element ist, nicht mehr aufgeht.»

Neues Zuhause – neues Tarifsystem

Eine Chance zur Abhilfe gäbe es hier mit dem neuen Tarifsystem «Tardoc», das ab Januar 2026 das veraltete System «Tarmed» in der Schweiz ablösen wird. Mit entsprechenden Feinjustierungen könnte die Kinder- und Jugendmedizin finanziell entlastet werden. Bucher wünscht sich dort politische Unterstützung für die Anliegen der Allianz der Kinderspitäler der Schweiz (Allkids).

Eine aufregende Zeit kommt bald auf das Team des Kispi zu: Sie dürfen das alte, in den 1960er-Jahren erbaute Gebäude verlassen und ziehen in ein neues Zuhause auf dem Gelände des Kantonsspitals St. Gallen. Ein neues Kapitel beginnt – direkt nach der Weihnachtszeit in einem Jahr.

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