«Solange er ausgeholt hat, habe ich weitergeschossen»
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Nanny-Killer getötet:Freispruch für St. Galler Polizisten

Andreas F.* (48) und Pascal T.* (29) wegen Todesschüssen auf Steve P.* (†22) vor Gericht
«Solange er ausgeholt hat, habe ich weitergeschossen»

Mit zehn Schüssen wurde Steve P. in St. Gallen erschossen. Der junge Ostschweizer war seinerseits dabei, ein Kindermädchen zu töten. Am Dienstag wurden beide Beamte freigesprochen.
Publiziert: 23.11.2021 um 08:46 Uhr
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Aktualisiert: 23.11.2021 um 17:50 Uhr
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Vor Gericht freigesprochen: Die St. Galler Polizisten Andreas F. (48)...
Foto: Marco Latzer
Marco Latzer

Zwölf Mal haben Polizisten in der Schweiz im letzten Jahr von ihrer Schusswaffe Gebrauch gemacht. Die Vorgaben sind klar: Nur wenn sie selbst oder andere Menschen an Leib und Leben gefährdet sind, dürfen die Gesetzeshüter den Abzug ihrer Dienstwaffe betätigen. Jeder einzelne Fall wird im Nachhinein minutiös aufgearbeitet.

Ein besonders dramatischer Waffeneinsatz ereignete sich im September 2020. Insgesamt 14 Mal schossen die beiden Stadtpolizisten Andreas F.* (48) und Pascal T.* (29) in einer St. Galler Wohnung auf den offensichtlich wahnhaften Steve P.* (†22). P. wurde zehn Mal getroffen – er kam ums Leben.

«Mussten nicht lange diskutieren»

Wegen des Vorfalls wurden F. und T. wegen versuchter Tötung und mehrfacher schwerer Tötung angeklagt. Am Dienstag standen beide Beamte vor Gericht. Dass es beim Prozess um Tötungsversuche ging, lag daran, dass nicht geklärt werden konnte, wer den tödlichen Kopfschuss auf Steve P. abgegeben hat. Wohl auch deshalb wollte die St. Galler Staatsanwaltschaft den aussergewöhnlichen Fall von den Richtern rechtlich beurteilt sehen.

Die Staatsanwaltschaft forderte einerseits Freisprüche für die beiden Beamten, verlangte in einer Alternativanklage aber auch Verurteilungen zu jeweils 13 Monaten Haft auf Bewährung.

Für das St. Galler Kreisgericht ist die Sachlage klar. Kurz vor Mittag werden beide Beamte freigesprochen. «Wir mussten in diesem Fall nicht lange diskutieren», sagt Gerichtspräsident Christoph Bossart. Es habe sich um Notwehrhilfe gehandelt.

«Es gab keine andere zumutbaren Mittel. Reine Körpergewalt anzuwenden, wäre nicht zumutbar gewesen», sagt Bossart weiter. Die Bilder vom Tatort seien schwer erträglich gewesen und die Polizisten hätten sich in einer Ausnahmesituation befunden.

Angreifer wurde am Tattag aus Psychiatrie entlassen

Rückblende: Steve P. wird im Herbst 2020 wenige Stunden vor seiner Erschiessung aus der Psychiatrie St. Gallen Nord in Wil SG entlassen. Der an einer bipolaren und schizophrenen Störung leidende Ostschweizer aus reichem Hause begibt sich danach in die Stadt St. Gallen, wo er sich offenbar mit Drogen berauscht.

Danach sucht er sich die Nanny Giuliana R.* (†46) als Zufallsopfer aus. P. folgt der Italienerin in die Wohnung einer Ärztefamilie, deren Kinder sie hütet. Dort geht er brutal auf das Kindermädchen los. Bei Eintreffen der Polizisten Andreas F. und Pascal T. schlägt Steve P. gerade den Kopf der bereits leblosen Frau auf den Fussboden.

Polizisten rechneten mit Messerattacke

Vor Gericht sagt Andreas F., schon beim Eintreffen hätten Leute gewunken und geschrien. Die Verzweiflung sei gross gewesen. «Schon im Treppenhaus hörten wir ein dumpfes Knallen, konnten es aber nicht einordnen. Wir sind hoch, sahen auf den ersten Blick sehr viel Blut. Wir erkannten durch die offene Wohnungstür einen Mann, der den Kopf einer bäuchlings liegenden Frau auf den Boden schlägt», schildert F. die Situation.

Als ihn die Beamten stellen, flüchtet der Angreifer in die Küche und durchsucht Schubladen. Die Polizisten befürchten, dass er sich mit einem Messer bewaffnen könnte. «Für mich war klar: Er holt ein Messer und der nächste Angriff gilt uns», erinnert sich Andreas F. Er sei unter enormem Stress gestanden, hätte viele Eindrücke verarbeiten müssen.

«Da war so eine Gewalt»

Doch Steve P. holt sich kein Messer. Stattdessen schnappt er sich einen Metallkochtopf, um weiter auf die in einer Blutlache liegende Giuliana R. einzuschlagen. Als er wieder vor die Türe tritt, eröffnen beide Beamten unabhängig voneinander das Feuer.

Pascal T. sagt am Dienstag vor Gericht, er habe verhindern wollen, dass Steve P. die Frau töte: «Da war so eine Gewalt, er war dermassen im Wahn. Der Kopf der Frau war in meinen Augen schon leicht deformiert.» Sein Kollege Andreas F. sagt, er habe so lange geschossen, bis eine Wirkung eingetreten sei. «So lange er ausgeholt hat, habe ich weitergeschossen.»

Für beide Beamte ist während der Befragung klar: Die Schüsse waren notwendig. Andreas F. meint: «Ich habe keinen Zweifel, dass ich in der gleichen Konstellation wieder genau gleich reagieren würde.» Und Pascal T. sagt in der Einvernahme: «Wir waren gezwungen, so zu handeln. Es gab keinen anderen Ausweg.»

*Name geändert

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